Von Ulrich Delius
Bozen, 18. Dezember 2003
Als Namibia im März 1990 ein unabhängiger Staat
wurde, kündigte die von der Freiheitsbewegung SWAPO
gebildete Regierung an, vor allem die Lage der besonders
benachteiligten San-Ureinwohner verbessern zu wollen. Dreizehn
Jahre später ist die Bilanz äußerst mager.
Statistiken des Welt-Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen
zeichnen jenseits aller Lippenbekenntnisse der namibischen
Regierung ein düsteres Bild von der Situation der 31.000
San.
Ureinwohner verelenden
Die durchschnittliche Lebenserwartung der Urbevölkerung ist
mit 48 Jahren rund dreizehn Jahre geringer als der
Landesdurchschnitt. 77 Prozent der San sind noch immer
Analphabeten. Trotz immer wieder von der Regierung
verkündeter Programme zur Förderung der Ausbildung der
San, besuchen nur 21 Prozent der Ureinwohner
regelmäßig Schulen. Auch das Einkommen der San
beläuft sich nur auf ein Drittel des Landesdurchschnitts.
Viele San verfügen nicht über ein eigenes Einkommen und
sind auf staatliche Unterstützung angewiesen.
San verlieren ihr Land
Verstärkt wurde die Marginalisierung durch den Landverlust
der meisten San. Vor allem in den 60er- und 70er-Jahren verloren
die Ureinwohner viel Land, so dass sie immer abhängiger
wurden von der übrigen ländlichen Bevölkerung. Zu
Beginn der 70er-Jahre lebten nur noch zwei Prozent der San auf
ihrem traditionellen Land, das ihnen juristisch zustand. Die
meisten San siedelten damals bereits auf Farmen von
Europäern, wo Alkoholismus, Rechtsmissbrauch und Verelendung
alltäglich sind. Weitere 31 Prozent der Ureinwohner hielten
sich in Schutzgebieten auf, die von traditionellen Führern
der Herero, Ovambos und anderer Nationalitäten kontrolliert
wurden. Wurden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft
entlassen, so waren es meist die San, die als erste ihre
Arbeitsstelle verloren. So nahm die Verelendung der San in den
70er- und 80er-Jahren so sehr zu, dass die Regierung nach der
Unabhängigkeit besondere Fördermaßnahmen für
die Urbevölkerung beschloss.
Unerfüllte Versprechungen
Ein 1995 verabschiedetes Landreform-Gesetz sieht eine besondere
Förderung der besonders marginalisierten Minderheiten vor.
Es ermächtigt die Regierung, Ackerland zu erwerben, um
darauf Landlose anzusiedeln. Bis 1999 hat Namibias Regierung 51
landwirtschaftliche Betriebe mit insgesamt 305.000 Hektar Land
gemäß dem Landreform-Gesetz gekauft, doch nur auf den
Farmen Skoonheid und Hedwigslust konnten sich inzwischen mehr als
vierhundert San niederlassen. Ungeachtet der Versprechungen der
Regierung ist die Bilanz der staatlichen
Fördermaßnahmen für die San sehr
enttäuschend. Die Regierung Namibias ist nicht dazu in der
Lage und nicht Willens mit der Umsetzung spezieller
Förderprogramme den Kreislauf der immer fortschreitenden
Verelendung der San zu stoppen. Daran ändern auch nichts die
öffentlichkeitswirksamen Einweihungen von Schulen und
Übergaben an Häusern für die San durch
Staatspräsident Sam Nujoma. Auch die Tatsache, dass die San
heute durch einen Abgeordneten im namibischen Parlament vertreten
sind, sagt wenig über ihren tatsächlichen Status im
politischen und gesellschaftlichen Leben Namibias aus.
Denn auf lokaler und regionaler Ebene fehlt es vollkommen an
einer glaubwürdigen Vertretung der Interessen der
Minderheit. Da hilft auch nichts, wenn die Regierung angesichts
der wachsenden Kritik an der Verelendung der San nun über
die Ernennung eines San als Minister nachdenkt. Zwar
begrüßte die unabhängige Nationale Gesellschaft
für Menschenrechte Namibias die Ankündigung des
Vizepräsidenten und Ministers für Landfragen,
Hifikepunye Pohamba, die SWAPO erwäge die Ernennung eines
San als Minister, um ein Zeichen gegen die Verelendung dieser
Bevölkerungsgruppe zu setzen. "Die San sind die am meisten
vernachlässigte Gemeinschaft in unserem Land", kritisierte
der Vorsitzende der Nationalen Gesellschaft für
Menschenrechte, Phil ya Nangoloh, das Versagen der namibischen
Behörden. "Die San leiden unter massiver Diskriminierung und
Verletzung ihrer Bürger- und Umweltrechte sowie ihrer
kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte,
obwohl die Verfassung Namibias ein breites Spektrum grundlegender
Menschenrechte absichert, darunter auch den Gleichheitsgrundsatz
und ein Anti-Diskriminierungsverbot", beklagte der namibische
Menschenrechtler.
San-Gemeinschaften werden nicht anerkannt
Viele Bemühungen um ein Ende der Diskriminierung der San
scheitern daran, dass mindestens vier der sechs traditionellen
Gemeinschaften der San bislang von den Behörden die
Anerkennung verweigert wird. Trotz Beschwerden und Eingaben beim
Untersuchungs-Ausschuss für Stammeskonflikte war der
Staatspräsident bis heute nicht bereit, seine Entscheidung
zu überdenken. Kritiker werfen der Regierung vor, nur
aufgrund parteipolitischer Interessen San-Gemeinschaften, die den
Oppositionsparteien nahe stehen, die Anerkennung zu verweigern.
Erst Mitte August 2003 hatte es Präsident Nujoma erneut
abgelehnt, die Khwe offiziell anzuerkennen. Zur Begründung
verwies Nujoma darauf, Khwe hätten während des
Unabhängigkeitskrieges als Fährtenleser für die
südafrikanische Armee gearbeitet und ihr geholfen,
SWAPO-Unabhängigkeitskämpfer aufzuspüren. Auch
hätten die Khwe nach der Unabhängigkeit Namibias die
Unita-Rebellen im Nachbarland unterstützt und auch für
diese Organisation Terrorakte begangen. Trotz der Vorbehalte des
Staatspräsidenten forderten alle Minderheiten Namibias auf
einer Konferenz in der Hauptstadt Windhuk im Juli 2003 die
offizielle Anerkennung aller Minderheiten des Landes.
Wachsende Spannungen
Das Zusammenleben zwischen den traditionell von der Jagd lebenden
San und anderen Bevölkerungsgruppen, die sich von ihren
Viehherden ernähren, ist in Namibia gelegentlich
konfliktreich. In diesem Jahr der Dürre, wo der Ausfall des
Regens die Viehzüchter empfindlich getroffen hat, eskalieren
die Konflikte zwischen San und Herero, Ovambo sowie Kavango.
Immer wieder ist der Zugang zu Quellen und Brunnen zwischen
Jäger- und Hirtenvölkern umstritten. San beklagen,
ihnen würde von Viehzüchtern oftmals der Zugang zum
Land verwehrt, solange dort Tiere grasten. Immer mehr Menschen
müssen sich immer weniger bewässertes Land oder
Wasserstellen teilen, eine Fehlentwicklung,, die
zwangsläufig zu Konflikten führt. Schon warnen Experten
der Arbeitsgruppe für Indigene Völker im Südlichen
Afrika (Working Group for Indigenous Minorities in Southern
Africa (WIMSA) vor einer weiteren Verschärfung der Konflikte
zwischen Jäger- und Hirtenvölkern.
Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 221 - 5/2003).