Von Ulrich Delius
Bozen, 18. Dezember 2003
Im Januar 2004 jährt sich zum hundertsten Mal der
Völkermord an den Herero und Nama in der Kolonie
Deutsch-Südwestafrika (Namibia) durch kaiserliche Truppen
des Deutschen Reiches. Am 12. Januar 1904 begann der Aufstand der
Herero, nachdem deutsche Siedler ständig gegen die
Bestimmungen des "Schutzvertrages" verstießen. In ihm
hatten sich die Kolonialherren verpflichtet, die bestehenden
Sitten und Gebräuche zu beachten. Die Erhebung des
Nomadenvolkes gegen den fortschreitenden Verlust ihres Landes und
Entrechtung durch die deutsche Kolonialregierung endete mit dem
ersten von Deutschen verübten Völkermord, dem über
65.000 Herero und 10.000 Nama zum Opfer fielen. Nachdem in den
ersten Tagen des Aufstandes 150 deutsche Siedler von den
Aufständischen getötet wurden und es der kaiserlichen
Schutztruppe nicht gelang, die Revolte zu zerschlagen, wurde ein
Expeditionskorps unter Generalleutnant Lothar von Trotha nach
Südwestafrika entsandt. Nach der Niederschlagung der
Rebellion ignorierte von Trotha Friedensangebote der Herero und
ordnete ihre Vernichtung an. Nicht besser erging es den Nama, als
sie sich im Oktober 1904 erhoben, nachdem deutsche Siedler dazu
aufgerufen hatten, mit den Herero auch gleich die Nama
auszurotten.
Seit 1995 fordern die Nachkommen der Herero-Opfer
Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland und
deutschen Unternehmen, die nach Ansicht der Herero vom Genozid
profitierten. Deutschland bekennt sich laut einer
Entschließung des Bundestages von 1989 aufgrund der
kolonialen Vergangenheit zu seiner besonderen Verantwortung
für Namibia. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog
bezeichnete den Vernichtungsfeldzug als eines der dunkelsten
Kapitel in der Geschichte beider Staaten. Finanzielle
Wiedergutmachung lehnten jedoch sowohl Herzog als auch
Außenminister Joschka Fischer ab. Auch in Namibia ist die
Entschädigungsforderung umstritten. So fürchtet die
namibische Regierung um ihre guten Beziehungen zu Berlin, kein
Staat in Afrika erhält mehr deutsche Entwicklungshilfe. Die
regierende SWAPO tut sich in dieser Frage aber auch besonders
schwer, weil die Herero traditionell den Oppositionsparteien nahe
stehen. Ernster zu nehmen sind schon die Bedenken, spezielle
Hilfen für die Herero könnten bestehende
Rivalitäten zwischen Bevölkerungsgruppen
anheizen.
Da politische Ansprüche auf finanzielle Wiedergutmachung
für Herero in Deutschland kaum durchsetzbar sind, reichten
Herero im September 2001 beim Obersten Gericht des Distrikts der
amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. Klage ein. Die
Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Bank, die Reederei
Deutsche Afrika-Linie/Safmarine (als Rechtsnachfolgerin der
Woermann Linie) und das Unternehmen Terex (als Rechtsnachfolgerin
des Eisenbahnbauers Orenstein & Koppel) sollen insgesamt vier
Millionen US-Dollar Entschädigung zahlen. Das Verfahren
verläuft schleppend, hatte jedoch zur Folge, dass die im
Jahr 2000 und 2003 von der GfbV an den Deutschen Bundestag und
die Bundesregierung gerichteten Appelle, Deutschland möge
sich offiziell bei den Herero und Nama entschuldigen, abgewiesen
wurden. Als Ende Juni 2003 das Gericht in Washington D.C. seine
Zuständigkeit in Frage stellte, da die Safmarine im
Gerichtsbezirk nicht als Unternehmen tätig ist, reichten in
New York lebende Herero eine neue Klage bei dem dortigen Obersten
Gericht des Bundesstaates ein.
Während die Gerichte in den USA über die
Entschädigungsansprüche verhandelten, kündigte der
Herero-Chef Kuaima Riruako im Juli 2003 ein breites Programm von
Gedenkveranstaltungen für das kommende Jahr an. In dem Ort
Okahandja, der Heimatstadt des 1923 gestorbenen legendären
Herero-Führers Samuel Maharero, möchte Riruako ein
Herero-Museum aufbauen.
Noch ist nicht absehbar, wie die namibische Regierung auf die
zahlreichen Gedenkfeiern reagieren wird. Staatspräsident Sam
Nujoma hatte am 7. August 2003 eine geplante Gedenkveranstaltung
für die Opfer der Schlacht vom Waterberg verboten. Am 11.
August 1904 hatten sich die Herero mit Frauen, Kindern und ihren
Viehherden in Erwartung eines Friedensangebotes der deutschen
Soldaten am Waterberg eingefunden. Doch vergeblich hofften sie
auf ein friedliches Ende ihres Aufstandes. Sie wurden vernichtend
von der Armee geschlagen und es begann der völkermordartige
Ausrottungsfeldzug der kaiserlichen Truppen. Die
Gedenkveranstaltung am Waterberg verbot Präsident Nujoma,
weil es eine "enorme Provokation" sei und den "Frieden im Land
gefährde". Doch mit der Tabuisierung des Völkermordes
trägt die namibische Regierung sicher nicht zur
Aussöhnung bei.
Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 221 - 5/2003).