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Von Ulrich Delius
Göttingen, Oktober 2019
Kasachstans Hauptstadt Nur-Sultan strotzt vor Modernität. Doch die Regierung hat das Land in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von China gebracht. Foto: Ben Dalton/Flickr CC BY 2.0.
Ob in Duisburg, Athen oder Colombo - überall ist Chinas
Seidenstraßen-Strategie zum vermeintlichen Zauberwort
geworden. Im wirtschaftlich gebeutelten Duisburg erhofft man sich
von Chinas Containerzügen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch
in Griechenlands Hauptstadt Athen soll der Hafen in neuerdings
chinesischer Hand helfen, die Wirtschaftskrise zu
überwinden. In Colombo in Sri Lanka schürt die
Strategie dagegen Ängste. Das Land hat sich mit einem neuen
Tiefseehafen in große Abhängigkeit von der
Volksrepublik gebracht.
Die Abhängigkeit vom großen und mächtigen Bruder
in Peking ist vor allem in Zentralasien eine der großen
Ängste in vielen Staaten. Das gilt besonders für das
rohstoffreiche Kasachstan. Dort hat Chinas Präsident Xi
Jinping im September 2013 in einer Rede an der Nazarbajev
Universität in der damaligen Hauptstadt Astana (heute
Nur-Sultan) die Seidenstraßen-Strategie aus der Taufe
gehoben. Niemand erahnte damals den gigantischen Umfang des
Projekts. Es ist kein Zufall, dass Chinas Präsident gerade
in Kasachstan den Startschuss für das Großprojekt gab:
Der zentralasiatische Staat, der flächenmäßig
fast achtmal so groß ist wie Deutschland, spielt eine
zentrale Rolle in Chinas wirtschaftlicher und politischer
Expansion nach Westen. So geht beim Gütertransport auf dem
Landweg nach Europa so gut wie kein Weg an Kasachstan
vorbei.
Das Duisburg Kasachstans heißt Khorgos. Die Stadt in der
Nähe der chinesischen Grenze ist die neue Drehscheibe im
Ost-West-Handel entlang der Seidenstraße. Noch leben in der
Stadt nur etwa 1.200 Einwohner. Doch schon bald soll sie auf bis
zu 100.000 Bewohner anwachsen. Ihre Bedeutung als Drehkreuz des
Handels bekommt sie dadurch, dass die aus China eintreffenden
Container dort auf andere Eisenbahnwaggons verladen werden
müssen, weil die Bahnen in Kasachstan und Russland eine
größere Spurbreite haben. Wurden im Jahr 2010 noch gar
keine Container auf dem Landweg nach Europa geschickt, so wurden
2017 bereits 100.000 Container in Khorgos umgeschlagen. Im Jahr
2020 sollen es nach Schätzungen in der New York Times sogar
500.000 sein. Kasachstan erhofft sich von dem Umschlag rund 5
Milliarden US-Dollar an Transitgebühren.
In Khorgos ist der nächste Meereszugang fast 2.000 Kilometer
entfernt. Trotzdem vergleicht man die Stadt als neuen "Hafen" oft
mit Seestädten. Während die über See von China
nach Europa transportierten Güter rund 45 bis 50 Tage
unterwegs sind, können sie auf dem Landweg in der
Hälfte der Zeit ihr Ziel erreichen. Selbst in der vom
China-Handel lebenden Hafenstadt Hamburg verfolgt man dies mit
Sorge. Doch bisher ist der Weg mit der Eisenbahn deutlich teurer
als der Seetransport.
Noch ist Russland mit 21 Prozent der bedeutendste Handelspartner
der früheren Sowjetrepublik Kasachstan. Doch China holt
schnell auf und ist mit 18 Prozent der zweitwichtigste
Wirtschaftspartner. So wurden seit dem Jahr 2009 auch Öl-
und Erdgaspipelines nach China gebaut, um den Export von Energie
voranzutreiben. Kasachstan hat schnell auf die
Seidenstraßen-Strategie Chinas reagiert und ein
Infrastruktur-, Industrie- und
Landwirtschafts-Entwicklungsprogramm aufgelegt. Dieses wird
maßgeblich von China gefördert.
Allein bis April 2017 hat China rund 305 Milliarden US-Dollars in
Zentralasien investiert, um den Handelsaustausch zu
intensivieren. Das berichtet das Onlineportal East Asian Forum
(dt.: Ostasiatisches Forum) Ende Juni 2019. Die
aserbaidschanische Zeitung Azernews informierte darüber,
dass Chinas Exim Bank im März 2019 der Regierung Kasachstans
einen Kredit von 307,4 Millionen US-Dollar zugesagt hatte, um die
Infrastruktur in den Grenzstädten zu verbessern.
Die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit Kasachstans
von China hat ihren Preis. Peking erwartet Gehorsam und das
Unterlassen jeder Kritik an der chinesischen Politik. Wie
problematisch dies auch für Kasachstans Politiker ist, zeigt
das Beispiel der kasachischen Nichtregierungsorganisation
Atajurt. Obwohl die Menschenrechtsgruppe schon vor mehr als sechs
Jahren die Anerkennung als Nichtregierungsorganisation beantragt
hat, verweigern ihr die Behörden bis heute diesen
offiziellen Status - denn Atajurts Themen sind brandexplosiv: Sie
fordert nicht nur mehr Demokratie und ein Ende der Korruption in
Kasachstan, sondern auch mehr Engagement ihres Heimatlandes.
Atajurt hat die dramatische Lage der in der chinesischen Provinz
Xinjiang von den chinesischen Behörden in Umerziehungslagern
zwangsweise eingesperrten Kasachen zu einem großen und
bedeutenden Thema im eigenen Land gemacht.
Systematisch befragte die Menschenrechtsorganisation alle aus
Xinjiang geflohenen Kasachen zu ihren Erlebnissen in den Lagern
oder zu ihren in den Lagern eingesperrten Angehörigen. Als
China im Jahr 2018 noch die Existenz der Camps offiziell
leugnete, waren es Atajurts Recherchen, die deutlich machten,
dass Chinas Behörden logen. Die New York Times, die
Washington Post und der Guardian bezogen sich in ihrer
Berichterstattung über diese Verbrechen gegen die
Menschlichkeit immer auf die Recherchen Atajurts und deren
Interviews mit den Betroffenen.
im Frühsommer 2018 versuchten Kasachstans Behörden auf
Chinas Drängen, die aus Xinjiang geflohene kasachische
Lehrerin Sayragul Sauytbay nach China abzuschieben. Ihr Fall war
besonders wichtig, weil die Lehrerin zum Mandarin-Unterricht in
einem Umerziehungslager in Xinjiang gezwungen worden war und
somit über Insider-Informationen des Lagerbetriebs
verfügte. Atajurt mobilisierte beispiellose Massenproteste,
die die Abschiebung der Kronzeugin gegen die Verbrechen Chinas
für Kasachstans Behörden unmöglich machten. Ihnen
hätte ein Gesichtsverlust und eine Revolte im eigenen Land
gedroht, wenn sie dem Drängen des mächtigen
Nachbarlandes nachgegeben hätten.
Doch Sauytbays Status in Kasachstan blieb monatelang
ungeklärt. Die kasachischen Behörden schreckten aus
Angst vor Chinas Reaktion davor zurück, ihr politisches Asyl
zu gewähren. Schließlich gelang es der Gesellschaft
für bedrohte Völker in Zusammenarbeit mit dem European
Kazakh Forum (europäisch kasachisches Forum), Schweden zu
überzeugen, Sayragul Sauytbay und ihrer Familie Asyl zu
gewähren.
Für Atajurt hatte dieses Engagement für die Opfer der
Verbrechen in Xinjiang Konsequenzen. Denn chinesischen
Unternehmen und der Botschaft der Volksrepublik nahe Kreise
betreiben seit Herbst 2018 systematisch die Kriminalisierung der
Menschenrechtsorganisation. So wollen sie die Menschenrechtler
einschüchtern und mundtot machen. In einem offenen Brief an
die Behörden forderten sie eine strenge Bestrafung der
Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation. Ihr Vorwurf: Die
Mitarbeiter der Organisation gefährdeten angeblich die
Freundschaft mit China und würden Hass gegen Chinesen
säen. Nach Artikel 174 des Strafgesetzbuchs kann dies mit
bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.
Auf Druck aus dem In- und Ausland konnte eine längere Haft
des am 10. März 2019 festgenommenen Atajurt-Gründers
Serikzhan Bilash verhindert werden. Doch seither steht er unter
Hausarrest und muss sich seit dem 29. Juli 2019 in einem Prozess
vor Gericht verantworten. Am 16. August 2019 kam er nach einem
kurzen Prozess vor dem Gericht in Almaty unter der Auflage, seine
Arbeit einzustellen, Almaty drei Monate nicht zu verlassen sowie
einer Geldstrafe von umgerechnet 300 US-Dollar frei. Im Juni 2019
hat bedrohte Völker - pogrom seine ehemalige
Rechtsanwältin Aiman Umarova in Berlin getroffen, die auch
Sayragul Sauytbay vor Gericht verteidigt hatte (siehe hierzu S.
44). Juristisch war das Verfahren gegen Bilash eine Farce. Es
verdeutlicht aber, wie lang Chinas Arm in Kasachstan aufgrund der
wirtschaftlichen Abhängigkeit des Landes von der
Volksrepublik geworden ist.
Aus pogrom-bedrohte Völker 313 (4/2019)
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