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Ostturkestan

Guantanamo-Uiguren in Europa Schutz gewähren

Menschenrechtsreport Nr. 51 der Gesellschaft für bedrohte Völker - Mai 2008, von Ulrich Delius

Bozen, Göttingen, Mai 2008

INDEX

1. Zusammenfassung | 2. Hintergrund: Die Uiguren in Ostturkestan | 3. Die Odyssee des Intellektuellen Adel Noori | 4. Tragisches Ende einer Handelsreise - Der Fall Abdul Razak | 5. Zweifelhafter Schutz für Bahytiyar Mahnut | 6. Juristisches Nachspiel in Washington | 7. Das hässliche Gesicht Amerikas | 8. Unschuldig und doch nicht frei | 9. Ein bewegender Brief aus der Haft | 10. Chinas Führung profitiert von Terroranschlägen des 11. September | 11. Etims umstrittene Registrierung als internationale Terrororganisation | 12. Etim wird auch von der UN zur Terrororganisation erklärt | 13. US-Militärbehörden missachten Rechte der Gefangenen | 14. US-Behörden sind von Unschuld überzeugt | 15. Fünf Internierte dürfen nach Albanien ausreisen | 16. Hoffnungslos in Albanien | 17. Zuflucht in Schweden | 18. Guantanamo-Uiguren in Europa Schutz gewähren | 19. Liste der in Guantanamo inhaftierten Uiguren | 20. Im Mai 2006 freigelassene Uiguren, die in Albanien/Schweden Aufnahme fanden


Die Lage der Guantanamo-Bucht.
Die Lage der Guantanamo-Bucht.

1. Zusammenfassung [ top ]

Sechseinhalb Jahre nach ihrer Festnahme in Afghanistan und Pakistan werden noch immer 17 Uiguren aus der chinesischen Region Xinjiang / Ostturkestan im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba festgehalten. Es sind die ersten Opfer des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus. Der vorliegende Menschenrechtsreport stellt nicht nur viele der Verhafteten erstmals persönlich vor und beschreibt die Umstände ihrer Inhaftierung. In dem Bericht wird auch deutlich, dass den Festgenommenen im Falle einer Abschiebung nach China akute Lebensgefahr droht. Alle Verhafteten weisen den Vorwurf der Unterstützung des Terrornetzwerkes El Kaida und des internationalen Terrorismus glaubwürdig zurück. In dem Bericht wird ausführlich dokumentiert, dass die US-Militärbehörden nach den ersten Verhören zwei Jahre lang von der Unschuld der Verhafteten ausgingen und erst Ende des Jahres 2004 willkürlich die meisten Festgenommenen zu "feindlichen Kämpfern" erklärten, um ihre Freilassung herauszuzögern.

Zudem sind die Fluchthintergründe und Umstände der Verhaftungen der offiziell zu "feindlichen Kämpfern" erklärten Uiguren die gleichen wie die der von den Militärbehörden für unschuldig erklärten. Trotz ihrer Unschuld werden diese Uiguren seit sechs Jahren von den US-Militärbehörden wie Terroristen und Schwerstverbrecher behandelt. Sie leben unter unmenschlichen Bedingungen in Isolationshaft. Ihre Zellen bestehen aus kleinen Metallkäfigen ohne natürliches Licht. Mit Schlaf- und Essensentzug, Schlägen und Einschüchterungen werden sie von Wärtern misshandelt. Nachdem sich die Uiguren im Jahr 2004 weigerten, der Aufforderung der US-Militärbehörden nachzukommen und Mitgefangene auszuspionieren, wurden ihre Haftbedingungen weiter verschärft.

Die US-Militärbehörden missachten die Rechte der Gefangenen. So wurde chinesischen Ermittlungsbeamten entgegen konkreter Zusicherungen Einsicht in die Akten der Internierten eingeräumt. Auch durften chinesische Sicherheitskräfte sie in Guantanamo verhören, einschüchtern, bedrohen und photographieren. Für die uigurischen Regimekritiker und Flüchtlinge wurde dieser Vertrauensbruch zu einem traumatischen Erlebnis. Die US-Militärbehörden beziehen sich bei ihren Vorwürfen vor allem auf offizielles chinesisches "Beweismaterial", das aus zahlreichen Anschuldigungen besteht, die jedoch nicht konkret belegt sind. Im Mittelpunkt steht dabei die "Islamische Bewegung Ostturkestans" (East Turkestan Islamic Movement, ETIM), die von Peking als "terroristische Bewegung" angesehen wird und der die Verhafteten angehört haben sollen. Viele der Guantanamo-Uiguren kannten aber vor ihrer Verhaftung noch nicht einmal den Namen ETIM. Unabhängige Experten gehen davon aus, dass es sich bei der ETIM um eine kleine Splittergruppe handelt, deren Bedeutung von China bewusst überschätzt wird, um Teil der weltweiten Koalition gegen den Terror zu werden. Die US-Regierung hat die ETIM nur deshalb als "terroristische Bewegung" registriert, um Chinas Unterstützung für ein militärisches Eingreifen der USA im Irak zu sichern.

So sind die Guantanamo-Uiguren letztlich zum Spielball der Machtpolitik zwischen den USA und der Volksrepublik China geworden. Dringend muss eine humanitäre Lösung für die 17 Internierten gefunden werden, da sich ihr Gesundheitszustand stetig verschlechtert. Europa soll den Guantanamo-Uiguren Zuflucht gewähren, fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in ihrem Report. Nur gemeinsam können Staaten der Europäischen Union, Norwegen und die Schweiz eine humanitäre Lösung für die 17 in dem Camp auf Kuba Internierten finden. Neben den EU-Staaten Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Schweden, Finnland, Großbritannien, Frankreich und Österreich lebten auch in Norwegen und Schweden uigurische Gemeinschaften, die sich um die Integration der Neuankömmlinge kümmern könnten. Auch sei es nicht zumutbar, dass ein europäischer Staat allein die Last der Aufnahme aller 17 Guantanamo-Uiguren trage, da die chinesische Regierung mit Protesten auf jede Gewährung des Schutzes für diese Uiguren reagieren werde.

2. Hintergrund: Die Uiguren in Ostturkestan [ top ]

Die Uiguren, eine von 55 ethnischen Minderheiten in der Volksrepublik China, sind vorrangig in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang - Mandarin für "Neue Grenze" - im Nordwesten Chinas angesiedelt und stellen die größte Gruppe unter den dortigen Turkvölkern. Die Uiguren sind mehrheitlich sunnitische Muslime und bezeichnen Xinjiang als Ostturkestan. Die Provinz wurde von der chinesischen Regierung aufgrund ihrer reichen Erdöl-, Gasund Mineralienvorkommen zur strategisch bedeutsamen Region erklärt. Peking duldet hier keine Eigenständigkeit - weder im kulturellen noch im religiösen oder gar politischen Leben. Alte uigurische Schriften wurden öffentlich verbrannt, Moscheen der Uiguren geschlossen. Politisch aktive und regimekritische Uiguren werden verfolgt. Auch wer nur Traditionen erhalten möchte riskiert Freiheit und Gesundheit, schlimmer noch: sein Leben. Mindestens 700 Uiguren wurden seit 1998 aus politischen Gründen hingerichtet, 8.000 gelten seit der Niederschlagung von Protesten in der Stadt Gulja 1997 als vermisst. Aus Nachbarstaaten zurückgeschobene uigurische Flüchtlinge wurden vielfach hingerichtet. 2006/2007 gab es rund 16.000 uigurische Gewissensgefangene.

3. Die Odyssee des Intellektuellen Adel Noori [ top ]

Adel Noori ist ein sensibler und gebildeter Mensch, dem jeder Extremismus fern liegt. Als er noch in seiner Heimat Ostturkestan in der Volksrepublik China lebte, die offiziell Autonome Uigurische Region Xinjiang genannt wird, hatte der Universitätsabsolvent viele Freunde unter Schriftstellern und Intellektuellen. Trotzdem trägt der 28 Jahre alte Uigure seit sechs Jahren Gefangenenkleidung. Der Internierte Nummer 584 wird seit Beginn des Jahres 2002 im berüchtigten US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf der Insel Kuba festgehalten. Festgenommen unter dem Verdacht der Unterstützung des "internationalen Terrorismus" wenige Monate nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan, ist seine Unschuld seit mindestens vier Jahren erwiesen. Doch der junge Uigure kommt nicht frei. In die Volksrepublik China kann er nicht zurückkehren, da ihm allein aufgrund des Verdachts der Unterstützung regierungskritischer uigurischer Organisationen dort bereits Todesurteil und Hinrichtung drohen. Mit Rücksicht auf die chinesische Führung möchte ihm jedoch auch kein anderes Land Zuflucht und Schutz gewähren. Kein Staat möchte mit dieser humanitären Geste Pekings Machthaber verärgern.

Schon als Kind hat Adel Noori Verfolgung ganz real erfahren müssen. So wurde sein Freund Abdulhamid von chinesischen Sicherheitskräften getötet, als er zehn Jahre alt war. Das geschah am 5. April 1990. Damals schlugen chinesische Sicherheitskräfte in der südlich der Stadt Kashgar gelegenen Ortschaft Baren (Distrikt Akto) Proteste von Uiguren gewaltsam nieder. Rund 50 Demonstranten starben, als Sicherheitskräfte das Feuer auf demonstrierende Dorfbewohner eröffneten. Viele der Getöteten wurden von Kugeln in den Rücken getroffen, als sie zu fliehen versuchten. Offiziell räumten die chinesischen Behörden nur den gewaltsamen Tod von 22 Menschen ein und bezeichneten die Demonstration in einem Untersuchungsbericht als "konterrevolutionäre Rebellion"(Das Massaker in Baren wird in dem 1999 von Amnesty International veröffentlichten Report "Gross Violations of Human Rights in the Xinjiang Uyghur Autonomous Region" ausführlicher dargestellt, S. 64). Das Massaker von Baren gilt als Beginn des offenen Aufbegehrens der Uiguren gegen die chinesische Herrschaft. Bis heute verweigern die chinesischen Behörden einer unabhängigen Untersuchung der Hintergründe und des Verlaufs des Massakers die Zustimmung. Sieben Jahre später demonstrierten Anfang Februar 1997 mehr als 10.000 Uiguren in Gulja (chinesisch Yining) für mehr Religionsfreiheit und die freie Betätigung von Jugendorganisationen. Diese so genannten "Meshreps" hatten sich erfolgreich für eine Eindämmung des Drogenmissbrauchs eingesetzt, waren aber von den Behörden verboten worden. Demonstranten wurden festgenommen, ihre Angehörigen protestierten und verlangten ihre Freilassung. Am 5. und 6. Februar 1997 wurde ihr Protest von chinesischen Sicherheitskräften blutig niedergeschlagen: Demonstrationen wurden gewaltsam aufgelöst. Schätzungen zufolge wurden dabei mehrere hundert Uiguren getötet. Mehr als 20.000 Uiguren wurden in der Region in den darauf folgenden Tagen festgenommen. Wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Protesten in Gulja wurden seither rund 400 Uiguren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Inzwischen wird auch Adel Noori verdächtigt, als 17-Jähriger an den Protesten in Gulja beteiligt gewesen zu sein.

Er wird deswegen jetzt steckbrieflich gesucht. Im Falle seiner Rückkehr in die Volksrepublik China droht ihm wegen dieser Demonstration eine drakonische Bestrafung. Aber auch Freundschaften könnten Adel Noori zum Verhängnis werden. So zählt zu seinen engsten Freunden der bekannte uigurische Schriftsteller Abdrahim Otkur, der von den chinesischen Behörden während der Kulturrevolution verhaftet worden war. Ein weiterer guter Freund ist Husein Celil, der 1994 wegen der Gründung einer politischen Partei der Uiguren zu einer Haftstrafe in China verurteilt worden war. Im Gefängnis wurde Celil gefoltert. Nach einem Monat gelang ihm die Flucht, er kaufte sich falsche Papiere und floh über Kirgisien in die Türkei. Von dort aus betrieb er seine legale Umsiedlung nach Kanada. Der seit 2001 mit dreien seiner sechs Kinder in der kanadischen Provinz Ontario lebende Imam wurde im November 2005 kanadischer Staatsbürger. Seine weiteren drei Kinder durften ihm aber nicht in das Exil nach Kanada folgen. Daher reiste Celil wenige Monate, nachdem er seinen kanadischen Pass erhalten hatte, nach Usbekistan, um dort seine übrigen Kinder zu treffen. Als er am 27. März 2006 bei den usbekischen Behörden um die Verlängerung seines Visums ersuchte, wurde er auf Betreiben Chinas festgenommen. Mehrere Monate verbrachte Celil in Abschiebehaft, da auch Kirgisien seine Auslieferung beantragt hatte. Die ihm dort zur Last gelegten Delikte konnte er aber gar nicht begangen haben, weil er sich zur Tatzeit nicht in Kirgisien aufgehalten hatte. Schließlich wurde er den chinesischen Behörden im Juni 2006 übergeben. Nach seiner Abschiebung aus Usbekistan wurde Celil in China erneut gefoltert, um ein Geständnis zu erpressen. Die chinesischen Behörden betrachteten ihn weiterhin als chinesischen Staatsbürger und ignorierten daher alle Proteste der kanadischen Regierung gegen die Festnahme. Im August 2006 begann in China ein Strafprozess gegen ihn, in dem er zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde.

Mehrfach wurde Adel Noori nach Aussage seiner Rechtsanwälte bei Verhören in Guantanamo die Abschiebung in die Volksrepublik angedroht, um ihn unter Druck zu setzen. So sollte er im Januar 2004 dazu gezwungen werden, Mitgefangene in Guantanamo auszuspionieren, - eine besonders perfide Instrumentalisierung eines unschuldigen Insassen des Gefangenenlagers. Zwar war den US-Ermittler sehr schnell klar, dass alle 22 Uiguren, die zu Beginn des Jahres 2002 in das Gefangenenlager auf Kuba überstellt wurden, nichts mit El Kaida und dem Kampf gegen den weltweiten Terror zu tun hatten. Doch als sich Noori weigerte, dem Druck der Mitarbeiter des US-Geheimdienstes (Central Intelligence Agency, CIA) und des Militärischen Abschirmdienstes des US-Verteidigungsministeriums (Department of Defense Intelligence, DoD) nachzugeben, wurde er mit einem Jahr erschwerten Haftbedingungen streng bestraft. Ähnlich erging es anderen Uiguren, die dem Druck des Geheimdienstes nicht nachgaben. Nachdem Adel Noori in den ersten zwei Jahren seiner Gefangennahme als unschuldig galt, wurde er nach erneuten Anhörungen durch das "Combatant Status Review Tribunal (CSRT)" im Herbst 2004 als "feindlicher Kombattant" eingestuft. Noori war kein Einzelfall. Nach nachdrücklicher Einflussnahme durch die US-Administration, die dazu aufforderte, weiteres "Beweismaterial" zu berücksichtigen, wurden nun fast alle Uiguren, die zuvor als unschuldig galten, zu "feindlichen Kämpfern erklärt.

Als "feindliche Kämpfer" gelten "Personen, die Teil der Taliban oder El Kaida-Kräfte waren oder diese unterstützen beziehungsweise mit diesen Kräften verbündet waren, die die USA oder ihre Koalitionspartner bekämpften". Bei einer Akten-Einsicht durch seine Rechtsanwälte stellte sich heraus, dass diese Ermittlungsunterlagen nur zwei Seiten umfassen. Der darin geäußerte Hauptvorwurf ist die angebliche Mitgliedschaft Nooris in der "Islamischen Bewegung Ostturkestans" (East Turkestan Islamic Movement, ETIM), die von den USA und China als terroristisch angesehen wird. Beweise für seine angebliche Mitgliedschaft in der ETIM werden jedoch nicht aufgeführt. Bedenklich stimmt seine Rechtsanwälte auch, dass ihr Mandant nach einem ersten CSRT-Prozess in Guantanamo nicht als "feindlicher Kämpfer" angesehen wurde. Daraufhin setzte das Pentagon einen zweiten CSRT-Prozess an und wies das Gericht an, weiteres Beweismaterial zu sichten und zu bewerten. Adel durfte in diesem Verfahren weder einen Rechtsbeistand haben, noch wurde er über das Ergebnis des ersten CSRT-Prozesses informiert. Außerdem wurde ihm keine Einsicht in das neu vorgelegte so genannte "Beweismaterial" gewährt. Trotzdem wurde er in dem zweiten Verfahren schließlich ohne stichhaltige konkrete Beweise zum "feindlichen Kämpfer" erklärt. Dabei lebte Adel in Afghanistan im gleichen Dorf und mit den gleichen Leuten zusammen wie die uigurischen Guantanamo-Insassen, die für unschuldig erklärt und im Mai 2006 von Albanien als Flüchtlinge aufgenommen wurden. Er wurde sogar gemeinsam mit ihnen verhaftet, so dass es umso unverständlicher ist, warum die einen freigesprochen und die anderen zu feindlichen Kämpfern erklärt wurden.

Adels Werdegang unterscheidet sich kaum vom Schicksal der übrigen 21 Uiguren, die nach Guantanamo gebracht wurden. Ende 90er-Jahre floh er nach seiner Teilnahme an den friedlichen Demonstrationen in Gulja vor Strafverfolgung aus der Volksrepublik China nach Afghanistan. Wie 17 weitere Guantanomo-Gefangene fand er schließlich Aufnahme in einem kleinen Bergdorf in den White Mountains Afghanistans, nahe der Stadt Jalalabad und der Grenze zu Pakistan. In dem Dorf, das nur aus einer handvoll ärmlicher Hütten bestand, lebten weder Afghanen noch Araber. Nur verarmte uigurische Flüchtlinge hatten sich in der kleinen Siedlung mangels anderer Alternativen niedergelassen. Adel Noori wurde in dem Dorf aufgenommen und bekam Nahrung zur Verfügung gestellt, im Gegenzug leistete er Hilfe bei Reparaturarbeiten an den Häusern und arbeitete auf den Feldern mit.

Die Dorfbewohner waren nicht militärisch aktiv. Sie kämpften weder an der Seite der Taliban, noch bekämpften sie in irgendeiner Weise die US-Streitkräfte. Auch ein militärisches Training erhielten sie nicht. In der Siedlung gab es nur ein AK-47 Gewehr (Kalashnikow), mit der gelegentlich auf Tiere geschossen wurde. Seit der Besetzung Afghanistans durch die frühere Sowjetunion im Jahr 1979 kursieren im ganzen Land hunderttausende Waffen. Jedes Dorf verfügt über Waffen, daraus kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass in diesen Dörfern militärische Trainings abgehalten werden, wie fälschlicherweise von den US-Militärbehörden behauptet wurde. Im Oktober 2001 wurde bei Bombardements von US-Kampfflugzeugen irrtümlich auch das Dorf der uigurischen Flüchtlinge angegriffen. Die Region nahe dem Höhlenkomplex Tora Bora in den White Mountains galt bei den US-Militärs als Rückzugsgebiet von Osama Bin Laden, dem Führer des Terrornetzwerkes El Kaida. Es war Pech für die uigurischen Flüchtlinge, das ihr Dorf gerade in dieser um den Jahreswechsel 2001 besonders umkämpften Region gelegen war. Viele Dorfbewohner konnten sich vor dem Luftangriff retten. Eine Gruppe von 18 Männern floh in die Berge, um ihr Leben zu retten. Später verbrachten diese jungen Uiguren mehrere Jahre gemeinsam im Gefangenenlager Guantanamo, in das sie nach ihrer Verhaftung bis zum Juni 2002 überstellt wurden. Inzwischen fanden fünf der damals Verhafteten als Flüchtlinge in Albanien Aufnahme, die übrigen warten noch immer in Guantanamo auf ein Land, das bereit ist, ihnen Zuflucht zu gewähren.

In den Bergen wären Adel Noori und die anderen Uiguren fast verhungert, schließlich flohen sie nach Pakistan und fanden dort in einem Dorf Aufnahme und Nahrung. Doch diese Hilfe war nicht Ausdruck der traditionellen Gastfreundschaft, sondern die Dorfbewohner verfolgten Hintergedanken. Denn die US-Militärs hatten eine umstrittene Flugblatt-Aktion in der Region gestartet. Zehntausende Flugblätter waren über dem unzugänglichen Bergland abgeworfen worden, in denen hohe Geldsummen für Tipps zur Verhaftung von verdächtigen Terroristen und Taliban angekündigt wurden. So heißt es in einem Flugblatt: "Werde reich und bekomme Macht, wie Du es Dir selbst nicht in Deinen Träumen vorstellen kannst. Helfe der Anti-Taliban-Streitmacht, Afghanistan von Mördern und Terroristen zu befreien. Du kannst Millionen Dollars bekommen, wenn Du der Anti-Taliban-Streitmacht hilfst, El Kaida- und Taliban-Mörder zu fangen. Das ist genug Geld, um Deine Familie zu versorgen, Dein Dorf und Deinen Clan für den Rest Deines Lebens. Es gibt genug Geld für neues Vieh, Arztbesuche, Schulbücher und für gute Häuser für alle Deine Leute." Das Kopfgeld war eine Einladung zur Diffamierung von Ausländern, Fremden, persönlichen Feinden und anderen Personen, derer man sich schon länger entledigen wollte. Außerdem machten sich professionelle Kopfgeldjäger auf den Weg in die unwegsame Region, um von dem in Aussicht gestellten amerikanischen Geldsegen zu profitieren. Hunderte Menschen wurden den US-Militärs so überstellt.

Im Dezember 2001 wurde Adel Noori gemeinsam mit den übrigen 17 aus den White Mountains geflohenen Uiguren von den Dorfbewohnern der pakistanischen Grenzsiedlung, in der die Gruppe aufgenommen worden war, zu einer Moschee gebracht. Kurze Zeit später war das Gebetshaus von pakistanischen Soldaten umstellt, die die Uiguren verhafteten. Sie übergaben ihre Gefangenen später den US-Militärs. Weitere Uiguren, die in Pakistan verhaftet wurden, wurden direkt nach China abgeschoben. Dort seien sie hingerichtet worden, heißt es in Berichten der US-Polizeibehörde FBI. Die Dorfbewohner erhielten nach Adel Nooris Aussage 7.000 US-Dollars als Kopfgeldprämie für seine Ergreifung. Für andere Guantanamo-Insassen wurden nach deren eigenen Aussagen gegenüber Rechtsanwälten zwischen 3.000 und 25.000 US-Dollars gezahlt. Anfang 2002 an wurden Adel Noori und seine 17 Leidensgenossen in die US-Militärbasis nach Kandahar gebracht. Es war die Zeit, als dort auch 60 deutsche Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) den äußeren Ring um einen Gefängnistrakt überwachten, um die US-Truppen zu unterstützen. Die US-Truppen hatten die deutschen Elitesoldaten um Unterstützung bei der Bewachung der Gefangenen gebeten. Mehrfach wurden die Uiguren von US-Militärs und zivilen Regierungsangestellten verhört. Einigen versicherten die verhörenden Beamten, sie seien irrtümlich aufgegriffen worden und würden sicherlich bald wieder freigelassen werden. Das war im Januar 2002. Bis heute haben die Uiguren ihre Familienangehörigen nicht wieder gesehen. Bis zum Juni 2002 wurden Adel Noori und die übrigen dann in das US-Gefangenenlager nach Kuba verlegt.

4. Tragisches Ende einer Handelsreise - Der Fall Abdul Razak [ top ]

Der Gefangene Nummer 219 in Guantanamo, Abdul Razak, kommt aus Artush, einer kleinen landwirtschaftlich geprägten Stadt in den Tian Shan-Bergen im Norden Ostturkestans. Abdul Razak verließ die Volksrepublik China aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. Nach seiner Flucht betätigte er sich in Usbekistan als Händler für Tierfelle und verschiedenste andere Produkte. Nachdem er sich verschuldet hatte und es ihm wirtschaftlich immer schlechter ging, fasste er im Jahr 2001 den Entschluss, sein Glück als Händler in Afghanistan zu versuchen. Auch dort wollte er mit Tierfellen und Teppichen handeln. In der afghanischen Hauptstadt Kabul traf er Uiguren, die ihm einen Monatslohn anboten, wenn er ihnen helfen würde, Nahrungsmittel und Kleidung in ihr Dorf in den "White Mountains" zu bringen, in dem nur uigurische Flüchtlinge lebten. Razak wollte nicht lange in dem Dorf bleiben, doch versorgte der Händler es mehrfach mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern, die er in Jalalabad und in anderen Städten in der Umgebung einkaufte.

Seine Flucht und Gefangennahme verliefen ähnlich wie im Fall Adel Nooris, da er zur gleichen Gruppe von Flüchtlingen zählte. Abdul Razak erfuhr später, dass die Informanten, die seine Gefangennahme ermöglichten, dafür 5.000 US-Dollar erhielten. Im US-Gefangenenlager Kandahar wurde Razak während Verhören auch geschlagen. Nachdem das Oberste Gericht der USA in einem Urteil am 28. Juni 2004 erklärt hatte, jeder Gefangene in Guantanamo habe das Recht, die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung von einem zivilen föderalen Gericht in den USA überprüfen zu lassen, beeilten sich die Militärbehörden, "Combatant Status Review Tribunals" (CSRT) einzurichten, um zu klären, ob es sich bei den Festgenommenen um "feindliche Kämpfer" handelt. Am 12. Oktober 2004 wurde ein Gerichtsprozess einberufen, um den Status von Abdul Razak zu klären. Vor diesem Hearing wurde der Gefangene mit dem Ergebnis der bisherigen Recherchen konfrontiert, ohne Einsicht in die Beweise zu erhalten. Demzufolge soll Razak eingeräumt haben, Mitglied der als terroristisch eingestuften "Islamischen Bewegung Ostturkestans" (East Turkestan Islamic Movement, ETIM) zu sein, die über Verbindungen zu El Kaida und den Taliban verfüge. Außerdem soll Razak in einem von El Kaida unterhaltenen Lager nördlich der Stadt Jalalabad eine militärische Ausbildung erhalten und sich im Übungslager Tora Bora von El Kaida aufgehalten haben. Als US-Truppen den Stützpunkt angriffen, sei er mit einer Waffe geflohen und habe später ein konspiratives Haus von El Kaida in Jalalabad bewacht, behaupteten die US-Ermittler.

Razak hielt in seiner Anhörung vor Gericht den US-Ermittlern entgegen, er habe niemals von der ETIM gehört, geschweige denn Kontakt mit ihr gehabt. Er habe weder jemals eine Waffe getragen noch eine militärische Ausbildung erhalten oder ein Versteck von El Kaida in Jalalabad bewacht. Er habe nichts gegen die USA, die sein Land niemals angegriffen habe, erklärte Razak. Warum solle er sie dann bekämpft haben? Er habe eine andere Kultur wie die El Kaida-Leute und stamme auch nicht aus deren Land, bekräftigte Razak. Doch trotz seiner Dementis legten die US-Militärs in der Verhandlung keine Beweise für ihre Anschuldigungen vor. Nach Aussage seiner Rechtsanwältin erklärte der Vorsitzende Richter daraufhin: "Sie haben hier alle Informationen liegen, die Sie jetzt sehen dürfen. Wir werden weiteres Material später sehen, das Sie jedoch nicht sehen dürfen." Razak antwortete daraufhin: " Wenn dies ein ordentliches Gericht ist, dann sollte ich die Möglichkeit haben, mich selbst zu verteidigen. Ich bin unschuldig." Vergeblich bat der Beschuldigte darum, seine Familie anzuhören, die bezeugen könne, dass er Geschäftsmann sei und sich nur aufgrund seiner großen Schulden in Afghanistan aufgehalten habe. Auch zwei Entlastungszeugen bekräftigten, dass sie Razak niemals mit einem Gewehr gesehen hätten und dass er kein Kämpfer gewesen sei.

Obwohl in den ersten Verhören seine Unschuld festgestellt worden war und dies auch von den ermittelnden USMilitärs eingeräumt worden war, empfahl ein CSRT in einem zweiten Verfahren am 23. Oktober 2004, ihn zum "feindlichen Kämpfer" zu erklären. Das Gericht betonte jedoch, dass es sich bei ihm um einen minderschweren Fall handele, so dass eine Berufungsinstanz, das "Administrative Review Board", ihn bald als nicht mehr gefährlich einstufen könne. Am 20. Dezember 2004 wurde die Entscheidung amtlich, dass Razak ein "feindlicher Kämpfer" ist. Die Rechtsanwälte Razaks warfen dem Gericht zahlreiche Verfahrensfehler, insbesondere bei der Vorlage und Bewertung des "Beweismaterials" vor. Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" sei vom Gericht vollkommen ignoriert und sogar in das Gegenteil verkehrt worden. Auch bezweifelten sie grundsätzlich die Verfassungsmäßigkeit der CSRT. Darüber hinaus sei es nicht verfassungsmäßig, dass das CSRT unbegrenzt so genannte "feindliche Kämpfer" in Gewahrsam halten könne, erklärten die Rechtsanwälte.

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5. Zweifelhafter Schutz für Bahytiyar Mahnut [ top ]

Der am 18. Januar 1976 in der Stadt Gulja in Ostturkestan geborene Bahtiyar Mahnut lebt heute als Gefangener Nummer 277 in Guantanamo. Er strebte in der Volksrepublik China nicht nur nach mehr politischer Freiheit, sondern wollte sich auch wirtschaftlich mehr verwirklichen. Da dies in China für ihn als Uigure nicht möglich war, floh er mit zwei Gleichgesinnten in das benachbarte Kasachstan. Später ging er nach Pakistan, um dort ein Geschäft zu eröffnen. Als Startkapital brachte er seine Ersparnisse in Höhe von 700 US-Dollars mit ein. Um seine Geschäfte auszuweiten, nahm er Kontakt mit uigurischen Flüchtlingen in Afghanistan auf und kam schließlich in das abgelegene Bergdorf der Uiguren in den "White Mountains". Nach den Bombardements durch die USLuftwaffe floh er mit den anderen uigurischen Dorfbewohnern nach Pakistan, wo sie sich sicherer glaubten.

Gemeinsam mit Adel Noori und Abdul Razak wurde Bahtiyar Mahnut den Sicherheitskräften übergeben. So wollten sich pakistanische Dorfbewohner eine Belohnung sichern. Pakistanische Behörden behaupteten später, Bahtiyar sei bei seiner Verhaftung im Besitz einer Kalashnikow und von 17 US-Dollars gewesen. Der Beschuldigte streitet ab, Waffen getragen zu haben. In dem CSRT-Verfahren war sowohl dem Gericht wie dem Beschuldigten deutlich, wie verfahren die Situation für die Gefangenen ist. Auf die Frage des Richters, was er denn tun würde, wenn er freigelassen würde, erklärte er: "Wenn ich nach China zurückgehe, werden sie mich umbringen. Aber wenn ich hier bleiben möchte, muss ich mich wohl schuldig bekennen."

Tatsächlich hat das Gericht ihn dann mit Rücksicht auf seine schwierige Lage und um eine schnelle Abschiebung nach China zu verhindern, zum "feindlichen Kämpfer" in einem minderschweren Fall erklärt. Doch die Entscheidung hatte fatale Folgen, da er so nicht wie seine für unschuldig erklärten Freunde im Jahr 2006 nach Albanien abgeschoben werden konnte. Aber Albanien betonte immer wieder, es sei nur dazu bereit, eine kleine Zahl von Uiguren aufzunehmen. Immer wieder begehren Häftlinge in Guantanamo gegen die unmenschlichen Haftbedingungen auf. Nach Jahren der Trennung von ihren Familien und der Isolationshaft kommt es manchmal zu Protesten der Lagerinsassen gegen die Haftbedingungen. Ihre Nerven liegen blank. So wurde am 4. März 2003 ein Disziplinarverfahren gegen Bahtiyar Mahnut eröffnet, weil er mit Mehl, Wasser und Milch um sich geworfen und Wärter angegriffen haben soll.

6. Juristisches Nachspiel in Washington [ top ]

Selten ist so viel über die Guantanamo-Uiguren in den Medien berichtet worden, wie im April 2008. Rechtsanwälte des 37 Jahre alten Houzaifa Parhat hatten Klage beim Berufungsgericht des Distrikts von Columbia eingelegt, um genau zu klären, worin der Status eines "feindlichen Kämpfers" besteht und wie er festzulegen ist. Nur dieses föderale Berufungsgericht darf über solche Fragen entscheiden und so war die Aufmerksamkeit groß, als am 4. April 2008 die Verhandlung in Washington D.C. eröffnet wurde. Es war die erste Verhandlung über eine Klage, die die Modalitäten der Festlegung des Status eines "feindlichen Kämpfers" betraf, und diese Klage könnte Modellcharakter für viele weitere Insassen des Gefangenenlagers Guantanamo haben. Die Anwälte des Uiguren wollen damit erreichen, dass Houzaifa Parhat zukünftig nicht mehr als "feindlicher Kämpfer" angesehen wird und aus der Haft in Guantanamo Bay in die USA entlassen werden muss. Doch bislang hat nur die mündliche Verhaftung stattgefunden. Angesichts der möglichen Tragweite des Urteils für andere Gefangene in Guantanamo, wird das Urteil mit Spannung erwartet.

Die Rechtsanwälte des US-Verteidigungsministeriums räumten in der mündlichen Verhandlung zwar ein, sie hätten keine Beweise dafür, dass der Uigure US-Einrichtungen bekämpft habe oder tatsächlich Mitglied der ETIM sei. Entscheidend sei nur, dass er mit der ETIM in lockerer Verbindung stehe und von dieser Organisation eine Ausbildung an der Waffe bekommen habe. Parhats Anwälte halten dem entgegen, dass von einer militärischen Ausbildung keine Rede sein könne und dass die Vorwürfe gegen ihren Mandanten identisch seien mit den Anschuldigungen gegen in Guantanamo festgehaltene Uiguren, die nicht zu "feindlichen Kämpfern" erklärt worden seien. Dies gelte besonders für die fünf Uiguren, die im Jahr 2006 nach Albanien ausreisen konnten.

Der am 11. Januar 1971 in der Stadt Gulja geborene Houzaifa Parhat hatte in seiner Heimatstadt nach dem Massaker vom Februar 1997 bereits viele Einschüchterungen, Massenverhaftungen und politisch motivierte Hinrichtungen erlebt, bevor er im Mai 2001 aus China floh. Zuerst hatte er in Pakistan Zuflucht gesucht, war dann jedoch aus Angst vor einer Abschiebung nach China in das benachbarte Afghanistan weitergereist. Zahlreiche uigurische Flüchtlinge sind in den letzten zehn Jahren von Pakistan in die Volksrepublik China abgeschoben worden, wo sie dann zu langjährigen Gefängnisstrafen oder zum Tode verurteilt wurden. Im Lager Guantanamo wird er seit Juni 2002 in Isolationshaft gehalten.

7. Das hässliche Gesicht Amerikas [ top ]

Der 28-jährige Yusef Abbas träumte immer davon, in die USA zu kommen. Als langjähriger Hörer der Radioprogramme von Radio Free Asia hatten die USA für ihn immer eine besondere Anziehungskraft. Seit sechs Jahren ist er auf amerikanischem Boden (wenn auch in einer Exklave auf der Insel Kuba), doch aus dem Traum wurde ein Albtraum. Statt amerikanische Maßanzüge trägt er Gefängniskleidung. Er ist der Insasse Nummer 275 des Lagers Guantanamo.

Der auf einem Bauernhof nahe der Stadt Aksu in Ostturkestan / Xinjiang aufgewachsene Uigure war auf der Suche nach einem neuen Leben, als er die Volksrepublik China verließ. In seiner Heimat beklagte er nicht nur die Unterdrückung der Glaubens- und Meinungsfreiheit, sondern auch die Zerstörung der traditionellen Kultur. Ermutigt von den Radioprogrammen von Radio Free Asia reiste er zuerst nach Kasachstan, wo die lokale Polizei ihm die meisten seiner Ersparnisse stahl. Nachdem er von guten wirtschaftlichen Bedingungen in Pakistan gehört hatte, versuchte er in dem muslimischen Land sein Glück. Dort traf er einen Uiguren, der ihm empfahl, nach Afghanistan zu gehen. In Afghanistan wurde ihm geraten, in das Dorf der uigurischen Flüchtlinge in den "White Mountains" zu gehen, wo er im August 2001 eintraf. Zwei Monate später wurde die Siedlung dann von USKampfjets bombardiert.

Im Oktober 2004 wurde Yusef Abbas von einem CSRT zum "feindlichen Kämpfer" erklärt. Wie im Falle anderer in Guantanamo inhaftierter Uiguren lagen auch gegen ihn keine konkreten Beweise einer Mitgliedschaft in der ETIM vor. Doch die US-Ermittler zeigten sich ungeachtet unzähliger gegenteiliger Zeugenaussagen davon überzeugt, dass das uigurische Dorf in den "White Mountains" in Wahrheit ein militärisches Ausbildungslager von El Kaida gewesen sei. Im Februar 2007 wurde er schließlich formal von den US-Militärbehörden von jedem Verdacht freigesprochen und eine baldige Freilassung in Aussicht gestellt. Doch sechseinhalb Jahre nach seiner Verschleppung nach Guantanamo, wo er ohne formelle Anklage oder Urteil unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurde, erscheint seine Lage heute auswegloser denn je zuvor. Denn nun ist er zwar offiziell von jedem Terrorverdacht freigesprochen, doch er kann weder nach China zurückkehren, noch ist ein anderer Staat bereit ihn aufzunehmen.

8. Unschuldig und doch nicht frei [ top ]

Ein ganz ähnliches Schicksal wie Yusef Abbas hat Ali Mohammed. Im Juni 2001 floh der in dem Dorf Tashkuraq in der Nähe der Stadt Gulja am 25. Januar 1974 geborene Uigure aus Angst vor Übergriffen der chinesischen Sicherheitskräfte nach Kirgisien. In der Hauptstadt Bishkek hielt er sich zwei Monate auf. Da er jedoch ständig von der lokalen Polizei erpresst wurde, die Geld von ihm forderte, um eine Abschiebung nach China abzuwenden, floh er weiter in die kasachische Stadt Almaty. Doch auch dort erging es ihm nicht viel besser. In Pakistan wollte er nicht bleiben, weil er fürchtete, in die Volksrepublik China abgeschoben zu werden. So reiste er weiter nach Afghanistan. An der Grenze wurde er zunächst von den Taliban festgenommen, weil er keinen Bart trug und weder Afghane noch Araber war. Nach einiger Zeit wurde er freigelassen und von Afghanen auf das Dorf der uigurischen Flüchtlinge in der Nähe von Jalalabad aufmerksam gemacht.

Gemeinsam mit den übrigen Dorfbewohnern floh er nach einem Luftangriff von US-Flugzeugen in das benachbarte Pakistan, wo die gesamte Gruppe verhaftet wurde. Im Januar / Februar 2002 traf er in Guantanamo ein. Häftling Nummer 250 wurde in einem ersten CSRT-Verfahren am 16. November 2004 nicht zum "feindlichen Kämpfer" erklärt. Da die US-Militärbehörden jedoch unliebsame Fragen von Juristen und Journalisten fürchteten, die sich über die unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen aus dem gleichen Dorf wundern könnten, wurde eine erneute Verhandlung über seinen Status anberaumt. In diesem zweiten CSRT-Verfahren wurde er schließlich am 25. Januar 2005 zum "feindlichen Kämpfer" erklärt. Im Februar 2007 wurde dieser Verdacht jedoch fallengelassen und ihm eine Entlassung aus der Gefangenschaft in Aussicht gestellt.

9. Ein bewegender Brief aus der Haft [ top ]

Schlaglichtartig wurde die dramatische Lage der uigurischen Gefangenen in Guantanamo deutlich, als das US-Verteidigungsministerium am 20. März 2008 einen im Dezember 2007 von dem Gefangenen Abdul Ghappar Turkistani abgesandten Brief zur Veröffentlichung freigab. Das Schreiben ist an seinen Rechtsanwalt und an seine Anwältin gerichtet und lautet wie folgt:

"Wie geht es Ihnen, Herr J. Wells Dixon und Frau Seema Saifee? Ich hoffe, dass dieser Brief Sie erreicht, bevor sie zu mir herüberkommen, und ich hoffe, dass er ein bisschen helfen wird, die Lage unserer turkestanischen Brüder hier zu verbessern. Wir, die turkestanischen Brüder, haben unsere Heimat verlassen, um vor brutaler Verfolgung und unfairer Behandlung unserer Landsleute durch die chinesische Regierung zu fliehen. Die jugendlichen Uiguren zu Hause wurden entweder auf der Grundlage falscher Anschuldigungen eingesperrt oder angeklagt und hingerichtet aufgrund fingierter Behauptungen. Es war extrem schwierig für jeden Uiguren, irgendeine Zukunft für sich in der Heimat zu sehen, und so begannen sowohl junge als auch mittelalte Uiguren Ostturkestan zu verlassen, um zu versuchen, im Ausland zu überleben, wenn irgend jemand es überhaupt schaffte, aus dem Land herauszukommen. Wir, die Uiguren in Guantanamo, sind auch so wie diese Uiguren. Wir haben unsere Heimat aus dem gleichen Grund verlassen und suchten Schutz in den Nachbarländern.

Wie Sie wissen, endete unsere Reise aus ganz speziellen Gründen in Afghanistan. Als wir in Afghanistan eintrafen, marschierte die US-Armee ein. Wir mussten nach Pakistan fliehen, denn wir konnten nicht in Afghanistan bleiben. Da wir niemanden kannten, der uns dort helfen konnte, hatten wir keine andere Wahl, als das Land zu verlassen. Die Pakistanis verhafteten uns dann und übergaben uns der pakistanischen Regierung. Daraufhin verkaufte uns die pakistanische Regierung an die US-Armee, um das Kopfgeld zu erhalten. Die US-Armee brachte uns dann nach Guantanamo.

Seit dem Beginn unserer Verhöre haben wir das erklärt. Unsere Umstände sind der US-Regierung, der US-Armee und mit ihnen verbundenen Behörden durchaus bewusst. Bisher hat das Volk Ostturkestans und haben wir Uiguren in Guantanamo trotzdem zu keinem Zeitpunkt Abscheu gegen die USA gehabt. Und dies wird auch niemals geschehen, da unsere Heimat besetzt ist und wir auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Zu Beginn waren wir sehr glücklich, als die Pakistanis uns in den amerikanischen Gewahrsam überstellten. Wir hofften damals ganz stark, dass Amerika freundlich zu uns sein würde und uns helfen würde. Leider waren die Fakten andere. Obwohl uns im Jahr 2004 und 2005 gesagt wurde, wir seien unschuldig, wurden wir in den vergangenen sechs Jahren bis zum heutigen Tag in der Haft festgehalten. Wir wissen nicht mehr warum wir hier noch immer in Haft sind.

Wir hoffen noch immer, dass uns die US-Regierung bald freilassen wird und uns an einen sicheren Platz bringen wird. Weg von der Familie zu sein, weg von unserer Heimat zu sein, und weg von der Außenwelt zu sein und jeden Kontakt mit irgendjemand zu verlieren, ist nicht gut für ein menschliches Wesen, genau wie es auch nicht gut ist, wenn einem der Kontakt mit dem normalen Sonnenlicht und der natürlichen Luft verboten wird, und wenn man nur umgeben ist von Metallkäfigen auf allen Seiten. Früher war ich sehr gesund. Doch seit ich zum Lager 6 gebracht wurde, habe ich Rheuma bekommen. Meine Gelenke tun mir ständig weh und es wird immer schlimmer. Vor zehn Tagen begannen auch meine Nieren mir weh zu tun. Mein Landsmann Abdul Razak hatte schon Rheuma seit einiger Zeit und seit er in das Lager 6 gekommen ist, ist alles noch schlimmer geworden. Irgendwann zu Beginn des Monats August erklärte die US-Armee Abdul Razak, dass er zur Freilassung freigegeben sei und übergaben ihm auch ein schriftliches Formular, das die Freilassung bestätigte. So beantragte Abdul Razak aus gesundheitlichen Gründen seine Verlegung in ein Lager mit besseren Bedingungen. Als seine Anfrage ignoriert wurde, begann er einen Hungerstreik, der nun schon seit mehr als einen Monat andauert.

Momentan ist er gerade in der Arrestzelle und seine Lage ist sogar noch schlimmer geworden. Er ist an einen Stuhl gefesselt und wird zweimal am Tag von Wärtern zwangsweise ernährt, die Schutzschilde aus Glas über ihren Gesichtern tragen. Das hat er jetzt die letzten 20 Tage erlebt. Für jemanden, der lange Zeit nicht gegessen hat, ist das keine menschliche Behandlung. Abdul Razak hat niemals einen Hungerstreik beginnen wollen. Doch die Umstände haben ihn dazu gezwungen, da er keine andere Wahl hatte. Wer würde sich schon ins brennende Feuer stürzen, wenn nicht wirklich die Verfolgung nicht auszuhalten wäre? Ist es gemäß der US-Verfassung ein Verbrechen, nach Schutz für seine Gesundheit zu fragen und seine Rechte einzufordern? Wenn dies als ein Verbrechen gilt, was ist dann der Unterschied zwischen der US-Verfassung und einer kommunistischen Verfassung? Was ist dann der Unterschied zwischen dem und Hitlers Politik während des Zweiten Weltkriegs? Ich habe gehört, dass einem Ägypter das Rückgrat gebrochen wurde und er nun behindert ist, während er von einem Team im Lager 1 oder 2 betreut wurde. Und dann wurde er als gebrochener Mann, der für sein ganzes Leben gezeichnet ist, nach Hause gesandt (Sami El-Leithi, freigelassen im Oktober 2005). Einem Libyer haben sie den Arm gebrochen. Ich fürchte, dass Abdul Razak ein ähnliches oder noch schlimmeres Schicksal erleiden kann, wenn er für eine längere Zeit zweimal am Tag zwangsweise ernährt wird. Und ich bin auch besorgt über seine psychische Situation, da es unter solchen Bedingungen sehr schwer ist, seinen Verstand zu behalten.

Kürzlich fragte ich mich, "warum sind wir hier in der Haft seit so langer Zeit?" Ich frage mich, ob wir schließlich freigelassen werden, nachdem unsere inneren und äußeren Organe sowie unsere Arme und Beine nachhaltig beschädigt sind. Oder müssen erst einige Turkestanis sterben, wie es in der Vergangenheit in diesem Gefängnis geschehen ist, bevor andere auf uns aufmerksam werden und sich um uns kümmern? Diese Gedanken gehen mir nicht aus dem Kopf. Der Grund, warum ich Ihnen diesen Brief schreibe ist, dass ich aufrichtig hoffe, dass Sie und andere, die mit den Gesetzen und ihrer Umsetzung zu tun haben, diesen Fall schnell lösen können und uns praktische Hilfe leisten können.

Abdul Ghappar Turkistani
12. Dezember 2007
Guantanamo Bay Gefängnis, Lager 6

Abdul Ghappar Abdul Rahman (auch Turkistani genannt) wurde am 15. März 1973 in Kucha in Ostturkestan / Xinjiang geboren. In Guantanamo ist er als Internierter Nummer 281 registriert und lebt wie alle anderen 17, im Lager verbliebenen uigurischen Gefangenen in Isolationshaft. Obwohl der Lagerkommandeur Rick Haupt bekräftigt, die Lebensbedingungen im Camp seien "sicher und menschlich", empfinden die Lagerinsassen ihr Dasein als unmenschliche Qual. Das vom Kommandeur angekündigte neue moderne Lager 6, das im Dezember 2006 eröffnet wurde, ist auch noch immer sehr mangelhaft. Eine angekündigte Gemeinschaftszone, in der Gefangene sich austauschen können, wurde bis heute nicht eröffnet.

10. Chinas Führung profitiert von Terroranschlägen des 11. September [ top ]

Nur wenige Wochen nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den USA versuchte Chinas Führung, Profit aus den Anschlägen zu ziehen und sein Ansehen bei der internationalen Gemeinschaft durch Beteiligung am weltweiten Antiterror-Kampf zu verbessern. Damit wollte Peking nicht nur seine Position im Kreis der Weltmächte stärken und Kritiker in den Reihen der US-Administration besänftigen, die unablässig vor der aufstrebenden neuen Weltmacht in Ostasien warnen. Denn ein gemeinsamer Kampf gegen den Terror schafft Verbindung und baut gegenseitiges Misstrauen ab, so das Kalkül der chinesischen Führung. Insbesondere die wachsende wirtschaftliche Konkurrenz zwischen beiden Mächten könnte so in den Hintergrund gedrängt und kaum mehr wahrgenommen werden, wurde spekuliert. So stimmte Chinas Führung zwei Resolutionen des Weltsicherheitsrates zu, in denen der weltweite Terrorismus verurteilt wurde.

Darüber hinaus versprach man sich von der neuen weltweiten Antiterror-Allianz auch Rückendeckung bei der Bekämpfung hausgemachter Probleme wie in Ostturkestan/Xinjiang. Die Terroranschläge in den USA boten die Gelegenheit, unter dem Deckmantel des weltweiten Antiterror-Kampfes die Autorität der chinesischen Regierung im unruhigen Nordwesten des Landes unter Beweis zu stellen. Auch sollten die Nachbarstaaten über den Aufbau der "Schanghai Organisation zur Kooperation" (Shanghai Cooperation Organisation, SCO) dazu gedrängt werden, dem Antiterror-Kampf mehr Bedeutung beizumessen und uigurischen Flüchtlingen aus der Volksrepublik China nicht mehr Zuflucht zu gewähren. Dutzende uigurische Flüchtlinge aus Xinjiang wurden seither aus Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan in die Volksrepublik China abgeschoben und dort zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Chinas Sicherheitsbehörden nutzten die allgemeine Sorge um mehr Sicherheit vor Terroristen, um in Ostturkestan die Kampagne "Schlag hart zu!" nochmals zu verstärken. Die Kampagne sorgte bereits seit den Protesten in Gulja im Februar 1997 mit Razzien und Massenverhaftungen für Furcht und Schrecken im Nordwesten des Landes. Durch die Reaktionen auf die Terroranschläge des 11. September 2001 fühlte sich Chinas Führung ermutigt, pauschal jeden Uiguren, der mehr Rechte für die muslimische Minderheit forderte, als "Terrorist" und "Separatist" zu verteufeln und zu kriminalisieren. Diese Strategie hat fatale Folgen, da es uigurischen Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtlern nicht ermöglicht wird, legal gegen die Verletzung ihrer Rechte in der Volksrepublik zu demonstrieren. Die chinesische Führung nimmt somit zumindest billigend in Kauf, dass sich der uigurische Widerstand radikalisiert. Somit ist Chinas Führung mit ihrer brutalen Verfolgung indirekt dafür mitverantwortlich, wenn uigurische Splittergruppen gewaltsam Widerstand gegen die chinesische Herrschaft leisten. Gerade einmal zwei Monate nach den Terroranschlägen in den USA präsentierte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhu Bangguo, in einer Pressekonferenz neue Detailinformationen der chinesischen Sicherheitsbehörden über die "Aktivitäten uigurischer Separatisten". Sie seien für Bombenanschläge in den Jahren 1992, 1993 und 1997 sowie für eine Gefängnisrevolte im Jahr 1996 verantwortlich gewesen. Auch hätten uigurische "Terroristen" im Jahr 1998 einen Bombenanschlag auf das chinesische Konsulat in Istanbul verübt und im Mai 2000 in Kirgisien einen chinesischen Beamten ermordet, erklärte der Außenamtssprecher.

Als die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson bei einem China-Besuch im November 2001 vor einem Missbrauch des Antiterror-Kampfes für die Verfolgung der Uiguren warnte, behauptete der stellvertretende Ministerpräsident Qian Qichen, rund 1.000 Uiguren seien in Afghanistan und anderswo von El Kaida zu Terroristen ausgebildet worden. In Afghanistan kämpften heute noch rund 100 Uiguren auf der Seite der Taliban. Nachdrücklich forderte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Zhang Qiyue, die US-Regierung am 11. Dezember 2001 auf, alle in Afghanistan festgenommenen Uiguren nach China abzuschieben. Dort sollten sie nach chinesischem Recht vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Die chinesische Regierung sah in dem Appell einen Test, um die Terrorismus-Definition der US-Behörden zu überprüfen. Aus der Perspektive von Peking fiel dieser Test im Dezember 2001 zumindest noch negativ aus, weil der US-Sondergesandte für Fragen der Terrorismusbekämpfung, General Francis X. Taylor, die Abschiebung der festgenommenen Uiguren nach China ablehnte. Zur Begründung verwies der General darauf, dass die USA uigurische Separatisten nichts als Terroristen ansehen würden.

Am 21.Januar 2002 veröffentlichte das Bundespresseamt der chinesischen Regierung einen ausführlichen Bericht über die Aktivitäten uigurischer "Separatisten". Darin erhob Peking schwere Vorwürfe gegen die "Islamische Bewegung Ostturkestans" (East Turkestan Islamic Movement, ETIM), die "uneingeschränkte Unterstützung von Bin Laden" erhalte und "ein wichtiger Teil seiner terroristischen Kräfte" sei. Sowohl die Taliban als auch Osama Bin Laden hätten die Gruppe mit Waffen versorgt. Zwischen den Jahren 1990 und 2001 sollen demzufolge uigurische "Separatisten für den Tod von 162 Menschen" verantwortlich gewesen sein. Rund 440 Menschen seien bei Anschlägen der ETIM verletzt worden. Die Opfer seien bei Angriffen auf Regierungsbeamte, auf dem Regime zugewandte religiöse Führer und bei anderen Attacken zu Tode gekommen sein, heißt es in dem Report. Die für einen so langen Zeitraum relativ geringe Zahl von Opfern macht deutlich, dass die ETIM sehr klein ist. Im Sommer 2002 begannen die USA, mehr Verständnis für die Repression Chinas in Ostturkestan zu zeigen. So dankte am 3. August 2002 der US-Botschafter in Peking, Clark Randt, öffentlich den Behörden in Xinjiang für ihren Kampf gegen den Terrorismus. Innerhalb weniger Monate hatte Washington seine Position zum Antiterror- Kampf Chinas vollends geändert. Eine fatale Entwicklung für den Respekt der Menschenrechte der Uiguren.

11. Etims umstrittene Registrierung als internationale Terrororganisation [ top ]

Ende des Sommers 2002 suchte die US-Regierung in den Vereinten Nationen händeringend um Unterstützung ihrer Irak-Politik. Um von den Veto-Mächten im Weltsicherheitsrat grünes Licht für eine bewaffnete Intervention in Bagdad zu bekommen, überdachte Washington seine China-Politik. Denn China war nicht nur aufgrund seines Vetorechtes wichtig, sondern verfügte auch in der arabischen Welt über viel Einfluss. Ohne Pekings Zustimmung musste jede bewaffnete US-Intervention im Irak scheitern.

So reisten Ende August nicht nur hochrangige Vertreter des US-Außenministeriums, sondern auch des irakischen Außenministeriums nach Peking, um dort um Unterstützung ihrer jeweiligen Position zu bitten. Am 26. August 2002 traf der stellvertretende US-Außenminister Richard Armitage in Peking mit führenden Vertretern der chinesischen Regierung zusammen, um Chinas Zustimmung zu einer militärischen Intervention im Irak zu erhalten. In der anschließenden Pressekonferenz bestätigte Armitage, dass man auch über die ETIM gesprochen habe. Auf Nachfrage gegenüber einem Journalisten bestätigte der stellvertretende US-Außenminister in der anschließenden Pressekonferenz, dass die USA die ETIM als eine terroristische Organisation ansieht und ihre Registrierung in der Liste der Terrororganisationen unterstützt. Eine Sprecherin der US-Botschaft in China behauptete sogar: "(Wir) haben einiges Beweismaterial dafür, dass die ETIM Anschläge gegen US-Interessen im Ausland geplant hat."

Das meiste Beweismaterial stamme von der Regierung Kirgisiens, dass Uiguren bei der Auskundschaftung ausländischer Botschaften beobachtet und am 8. Mai 2002 festgenommen habe, erklärte die Vertreterin der amerikanischen Botschaft. Die beiden verdächtigen Männer, Mamet Yasin und Mamet Sidik, waren im Mai 2002 von Kirgisien nach China abgeschoben worden und der chinesischen Polizei übergeben worden. Doch auch dieser Fall wirft zahlreiche Fragen auf: Warum machte erst die US-Botschaft in Peking den versuchten Anschlag auf die US-Vertretung in Kirgisien öffentlich und nicht die dortige amerikanische Botschaft? Warum sollten Uiguren, die in den USA politisches Asyl beantragen wollen und bei denen Amerika noch immer großes Ansehen besitzt, nun gerade einen Anschlag auf die US-Botschaft planen? Warum haben die US-Behörden nicht eine Vernehmung der vermeintlichen Attentäter veranlasst, sondern tatenlos zugeschaut wie die beiden Männer nach zwei Wochen ohne Gerichtsverfahren in die Volksrepublik China abgeschoben wurden? Dies entspricht nicht gängiger US-Praxis bei Terror-Anschlägen gegen amerikanische Einrichtungen im Ausland.

Noch am gleichen Tag erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums, dass die USA alle Bankkonten von Mitgliedern der ETIM einfrieren würden, aber noch nicht darüber entschieden hätten, ob die uigurische Bewegung als "terroristische ausländische Organisation" anzusehen sei. Dies hätte zur Folge, dass auch Reiserestriktionen gegenüber Mitgliedern der Organisation sowie weitere Finanzsanktionen verhängt würden. Schließlich erklärte das US-Außenministerium, man sehe die ETIM als "terroristische Organisation" an, setze sie aber nicht auf die Liste der "ausländischen terroristischen Organisationen", die breit gefächerte Sanktionen zur Folge hätten, sondern nehme sie in die "terroristische Ausschlussliste" auf. Diese Liste hat vor allem Einreiseverbote für Mitglieder dieser Organisationen zur Folge.

Nicht nur uigurische Menschenrechtler reagierten mit Bestürzung auf den plötzlichen amerikanischen Meinungswandel. Mit dieser Entscheidung rechtfertige und legitimiere die USA die Verfolgung der Uiguren, erklärte der Chefredakteur der Uyghur Information Agency, Erkin Dolat. Uigurische Kommentatoren und Menschenrechtler wenden immer wieder kritisch ein, dass die ETIM kaum bekannt sei und ihre Bedeutung von den chinesischen Behörden überschätzt werde. Die New York Times bezeichnete Armitages Ankündigung als "gute Neuigkeit" für Peking und die Frankfurter Allgemeine Zeitung sah darin eine in Peking "willkommene internationale Aufwertung". Als "Entgegenkommen gegenüber Peking" oder als "Gastgeschenk", um Chinas Veto gegen den Irak-Krieg zu verhindern, wird der überraschende Sinneswandel in den Medien beschrieben. Und Chinas Außenministerium bedankt sich postwendend höflich bei den USA und betont, dass man im Bereich des Kampfes gegen den Terror viele gemeinsame Interessen habe.

12. Etim wird auch von der UN zur Terrororganisation erklärt [ top ]

Am 11. September 2002, ein Jahr nach den Terroranschlägen in den USA, forderten die chinesische und die USamerikanische Regierung gemeinsam den Weltsicherheitsrat auf, ETIM in die Liste der terroristischen Organisationen aufzunehmen. Dies hat zur Folge, dass alle UN-Mitgliedstaaten Angehörigen dieser Organisation die Einreise verweigern und ihre Bankkonten einfrieren müssen. Der Weltsicherheitsrat unterstützte die Anregung Chinas und der USA und nahm die ETIM in die Liste "terroristischer Organisationen" auf. Dies sei ein "ermutigendes Ergebnis der Kooperation Chinas mit den USA und anderen Staaten im Kampf gegen den Terrorismus", erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Diplomaten zahlreicher mit den USA verbündeter Staaten wiesen jedoch darauf hin, dass die von den USA vorgelegten "Beweise" für den Terrorismusvorwurf weitestgehend eine Neuauftischung unbewiesener chinesischer Anschuldigungen seien. Man habe der Aufnahme der ETIM in die Liste nur zugestimmt, um nicht den Eindruck von Uneinigkeit zu erwecken. Zwar behauptet das US-Außenministerium, eigenes Beweismaterial zu besitzen, das die Verantwortung der ETIM belege, doch beharrlich weigerte sich Washington, dieses Material zu veröffentlichen.

Viele Experten warnen vor einer Überbewertung der ETIM. Sätestens seit dem Tod ihres Anführers Hasan Mahsun sei die Organisation quasi bedeutungslos. Mahsun ist am 2.Oktober 2003 von pakistanischen Soldaten in South Waziristan bei einem Feuergefecht erschossen worden. Der damalige Xinjiang-Experte der Menschenrechtsorganisation "Human Rights in China", Nicolas Bequelin, und heutige Mitarbeiter von "Human Rights Watch" warnte sogar, Chinas Propaganda-Kampagne gegen die ETIM sei vor allem ein "Manöver zur Verschleierung der stetig weiter fortschreitenden Sinisierung der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang". Kritik am Umgang Chinas mit dem ETIM-Dossier kommt auch aus dem US-Außenministerium. "Wir haben den Eindruck, dass unsere Entscheidung zur ETIM von einigen chinesischen Offiziellen als Blankoscheck angesehen wird - den die USA gekauft haben, um zu bekräftigen, dass die Uiguren Terroristen sind", erklärte der für Demokratie und Menschenrechte zuständige stellvertretende US-Außenminister Lorne Craner im Dezember 2002. "Wir wollen diesen Eindruck schnell zerstreuen", bekräftigte Craner.

Äußerungen des Vorsitzenden der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang, Simayi Tieliwardi, machen deutlich, wie sehr sich die Auseinandersetzung um die ETIM inzwischen zu einer Propagandaschlacht entwickelt hat. "Angehörige aller ethnischen Gruppen in Xinjiang empfinden tiefen Hass gegen diese Bewegung", erklärte der Parteifunktionär am 12. März 2003. "Die Islamische Bewegung Ostturkestans ist wie eine Maus, die die Straße überquert und jeder ruft: Bring sie um!"

Angesichts der unklaren Beweislage und der widersprüchlichen Vorwürfe gegen die ETIM ist es besonders bedenklich, dass alle in Guantanamo geäußerten Anschuldigungen gegen Uiguren auf ihrer angeblichen Mitgliedschaft in dieser Organisation beruhen. Bis heute sind sowohl die chinesischen als auch die US-amerikanischen Behörden jeden Beweis dafür schuldig geblieben, dass die gegen die ETIM geäußerten Vorwürfe auch begründet sind. Mit der bloßen politisch motivierten Registrierung der Organisation als "terroristische Bewegung" in den USA und den Vereinten Nationen ist dieser Beweis auf jeden Fall noch nicht erbracht.

13. US-Militärbehörden missachten Rechte der Gefangenen [ top ]

Nach ihrer Verlegung in das Lager Guantanamo im Frühjahr 2002 versprachen die US-Militärbehörden den Internierten mehrfach, ihre Rechte zu achten. Insbesondere sicherte man ihnen zu Beginn der Verhöre zu, alle Aussagen und preisgegebenen Informationen würden nur von US-amerikanischen Dienststellen genutzt und nicht an Dritte weitergegeben. Doch diese Behauptung entsprach nicht der Wahrheit. Die Aussagen der Gefangenen wurden schon wenige Wochen später nicht nur an Ermittlungsbeamte in Drittländern weitergereicht, sondern sogar an Vertreter der Sicherheitsbehörden ihres Verfolgerstaates China. Dies war ein massiver Vertrauensbruch, der bei den Guantanamo-Uiguren traumatische Eindrücke hinterließ.

Um Chinas Regierung gewogen zu stimmen, erlaubten die US-Militärbehörden im September 2002 chinesischen Ermittlungsbeamten, das Lager zu besuchen. Doch das war nicht alles: Sie durften auch nach eigenem Gutdünken internierte chinesische Staatsbürger verhören, einschüchtern, bedrohen und misshandeln. Einige der Internierten schilderten später vor den CSRT-Gerichten diese traumatischen Erfahrungen wie die Gefangenen Bahtiyar Mahnut und Dawut Abdurehim. Ein anderer Uigure schilderte in seinem Verfahren, wie chinesische Ermittlungsbeamte im Verhör gewalttätig wurden und ihm Schlaf und Nahrung verweigerten. Der internierte Houzaifa Parhat berichtete, wie chinesische Beamte ihm drohten, ihn zu drei bis vier Jahren Gefängnis zu verurteilen. Auch ein weiterer Uigure bekam eine mehrjährige Haftstrafe angedroht. Ihm erklärten die Beamten aus der Volksrepublik, er täte besser daran, die Fragen richtig zu beantworten, denn es sei seine letzte Chance. Die Beamten hatten ihm zu verstehen gegeben, dass die Amerikaner die Uiguren in die Volksrepublik China abschieben würden. Dem Internierten Adel Abdulhehim erklärten Ermittler, er könne von Glück sagen, dass er in Guantanamo sei, denn wenn sie ihn in die Haft nach China mitnehmen würden, dann sei er "erledigt." Mehreren Uiguren wurde sogar angedroht, sie würden in China hingerichtet. "Wenn Du nach Urumtschi zurückkommst, werden wir schon Mittel und Wege finden, um Dich zum Reden zu bringen", erklärten sie in einem Verhör eines Lagerinsassen. Mit Einschüchterungen und Drohungen bedrängten die chinesischen Beamten die Gefangenen und schlossen dabei auch nicht Übergriffe auf noch in China lebende Familienangehörige aus. Mehrere Uiguren gaben an, geschlagen worden zu sein.

Besonders bedrückend war jedoch für viele Internierte, dass die chinesischen Staatsvertreter offenbar von den USA vollständige Einsicht in ihre Akten und Aussagen über die Motive für ihre Flucht aus China und über ihre Familien bekommen hatten, obwohl die US-Ermittler zuvor bei den Verhören Vertraulichkeit zugesichert hatten. Als Ahmad Tourson später den US-Ermittlern den Vertrauensbruch vorwarf, entschuldigten sie sich und erklärten, dass sie nur auf höchste Anweisung aus Washington gehandelt hätten. Chinesische Beamte hatten auch versucht, Tourson zu photographieren. Als er sich weigerte, hielten US-Soldaten ihn gewaltsam fest, damit die Aufnahmen gemacht werden konnten.

Mit dem Entgegenkommen gegenüber Chinas Ermittlern sollte offensichtlich eine wohlwollende Haltung Chinas in der Irak-Frage erkauft werden. Laut offiziellen Dokumenten erwogen die US-Behörden zwischen Dezember 2002 und dem 15. Januar 2003 sogar, die Uiguren nach China abzuschieben, um Pekings Unterstützung für die amerikanische Nahost-Politik zu gewinnen. Im Dezember 2002 hatte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums gefordert, alle in Afghanistan festgenommenen Uiguren müssten nach China abgeschoben werden, um dort als "Terroristen" angeklagt zu werden. Trotz der Drohungen und Misshandlungen weigerten sich die meisten Internierten, mit den chinesischen Ermittlern zusammenzuarbeiten Zur Bestrafung wurden die Haftbedingungen für alle Uiguren mit Ausnahme von zwei Personen verschärft.

14. US-Behörden sind von Unschuld überzeugt [ top ]

Schon im Dezember 2002 wurde in dem US-Geheimdienst-Bericht "Intelligence Exploitation Assessment" von der Joint Task Force in Guantanamo festgestellt, die Internierten seien aus geheimdienstlicher Sicht nicht länger von Interesse und stellten auch keine Bedrohung für die USA und ihre Interessen dar. Spätestens seit Frühjahr 2003 waren die internierten Uiguren von den US-Militärbehörden zur Freilassung vorgesehen worden, da kein Tatverdacht mehr gegen sie vorlag. Auch FBI-Agenten versicherten zu diesem Zeitpunkt dem Gefangenen Adel Noori, das er versehentlich verhaftet worden war. Ähnliches erklärte man auch Ahmad Tourson und anderen uigurischen Internierten.

Außerdem häuften sich öffentliche Erklärungen von US-Ministern und Behörden, die eine baldige Freilassung der damals 22 internierten Uiguren in Aussicht stellten. So betonte der Sprecher des Außenministeriums, Richard Boucher, im Mai 2004, die USA hätten kein Interesse, die Uiguren noch länger festzuhalten. Außenminister Colin Powell bezeichnete die Uiguren als "schwieriges Problem". Mitarbeiter des US-Militärs erklärten Journalisten Anfang November 2004, mindestens die Hälfte der uigurischen Internierten könne freigelassen werden. Das US-Militär habe festgestellt, dass mindestens 15 der internierten Uiguren keine "feindlichen Kämpfer" seien. Schwierig sei nur die Frage der Aufnahme dieser Flüchtlinge in einem Drittland. Auch der Sprecher der US-Marine, Gordon England, kündigte im März 2005 an, dass rund zwei Dutzend Internierte im Lager Guantanamo nicht länger als "feindliche Kämpfer" angesehen würden.

Trotz dieser vielfältigen positiven Äußerungen amerikanischer Politiker und Militärs wurden die meisten in dem Lager festgehaltenen Uiguren in neuen CSRT-Verfahren im Herbst 2004 zu "feindlichen Kämpfern" erklärt, um ihren Status als Gefangene in Guantanamo zu rechtfertigen. Doch diese Klassifizierung war vollkommen willkürlich, da sich ihre Aktivitäten in Afghanistan und die Hintergründe ihrer Festnahme nicht von denen der Gefangenen unterschieden, die offiziell von den US-Militärbehörden für unschuldig erklärt wurden. Unverständlich ist auch, dass die Uiguren, obwohl sie unschuldig sind, noch immer im Hochsicherheitstrakt von Guantanamo festgehalten werden. Im Lager 6 sind die Haftbedingungen besonders hart. Die Gefangenen leben dort in Isolationshaft in Metallbehältern 22 bis 23 Stunden am Tag, in denen es kein natürliches Licht gibt. Demgegenüber ist das Leben im Lager 4 deutlich leichter. Dort haben die Gefangenen Gemeinschafts-Schlafräume und können Kontakt untereinander pflegen.

15. Fünf Internierte dürfen nach Albanien ausreisen [ top ]

Obwohl ihre Fälle nicht anders gelagert waren als die der 17 noch immer inhaftierten Uiguren und sie gemeinsam mit ihnen in Pakistan festgenommen worden waren, erhielten fünf Lagerinsassen von den US-Behörden eine Sonderbehandlung. Sie wurden nicht zu "feindlichen Kämpfern" erklärt, und ihre Freilassung wurde vorbereitet. Doch mit Rücksicht auf die chinesische Führung signalisierte kein Staat die Bereitschaft, die unschuldig Internierten aufzunehmen. Nach langem Hin und Her erklärte sich schließlich Albanien zur Aufnahme der Internierten bereit. Nicht ohne Hintergedanken, denn Albanien strebte eine Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis NATO an und wollte mit diesem Entgegenkommen gegenüber den USA seine Beitrittschancen verbessern. Zwei Tage nach der Ankunft der Flüchtlinge in Tirana sprach sich US-Vizepräsident Dick Cheney für die Aufnahme Albaniens in die NATO aus. Im Herbst 2006 beriet die NATO über Albaniens Beitrittsgesuch. Am 15. April 2008 nahm Albaniens Regierung formell die Einladung der NATO zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen des Landes an.

Wenige Tage bevor das Berufungsgericht in Washington D.C. über ihre in den USA anhängigen Klagen wegen Verletzung ihrer Grundrechte beraten sollte, wurden die fünf seit Jahresbeginn 2002 in dem Camp internierten Uiguren Ahmed Adil, Akhdar Qasem Basit, Haji Mohamned Ayub, Abu Bakr Qasim und Adel Abdulhehim am 5. Mai 2006 nach Albanien ausgeflogen. Wegen der systematischen Verletzung ihrer gesetzlich garantierten Rechte hatten die seit vier Jahren unschuldig in dem Gefangenenlager auf Kuba festgehaltenen Uiguren zuvor die US-Regierung verklagt. Wäre der Klage stattgegeben worden, so hätte dies auch weitreichende Folgen für andere Gefangene in Guantanamo gehabt und die Bemühungen um eine baldige Schließung des umstrittenen Lagers gefördert. Unverzüglich forderte Chinas Regierung die Auslieferung der fünf politischen Flüchtlinge an die Volksrepublik. Wenn Albanien ihnen nun Schutz gewähre, so sei dies eine Verletzung des Völkerrechts und internationaler Konventionen. "Diese Leute, die von den Albanern aufgenommen werden, sind keine Flüchtlinge, sondern Terrorverdächtige", erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Albanien lehnte eine Abschiebung ab. Es sei vor allem eine "humanitäre Geste" gewesen, die sein Land zur Aufnahme der ehemaligen Lagerinsassen bewogen habe, erklärte Ministerpräsident Sali Berisha.

16. Hoffnungslos in Albanien [ top ]

Doch die lange ersehnte Freiheit hatte für die Uiguren einen schalen Beigeschmack. Nicht nur wegen der stetigen Drohungen Pekings fühlen sich die ehemaligen Internierten nicht sicher in Albanien. Sie leben in der Furcht vor direkten Übergriffen, insbesondere fürchten sie, von chinesischen Sicherheitskräften ins Ausland verschleppt zu werden. Sie beklagen auch, dass sie keinen Kontakt zu ihren Familien haben und dass es keine uigurische Gemeinschaft in Albanien gibt, die sich um sie kümmert und ihnen ein Gefühl von Geborgenheit gibt. Stattdessen finden sie sich in einem verarmten Land wieder, dass sie nur als Last und als Fremde ansieht. Zwar teilen sie die muslimische Religion mit vielen Bürgern Albaniens, doch ansonsten gibt es wenig Berührungspunkte. Auch zu den meisten anderen Flüchtlingen in ihrer von Polizisten überwachten Gemeinschaftsunterkunft ist der Kontakt der Uiguren eher dürftig. Denn sie kommen aus den Nachbarländern und verstehen weder die Sprache, noch die Fluchthintergründe der Uiguren.

Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Albanien sind die Flüchtlinge ohne Hoffnung. Vergeblich baten sie um eine Familienzusammenführung, um eine eigene Wohnung, um berufliche Fortbildung und eine Integration in das Arbeitsleben Albaniens. Weder die albanischen noch die US-Behörden reagierten auf ihre Bitten. Neben freiem Essen stehen ihnen nur 67 US-Dollars im Monat zur freien Verfügung, die sie vor allem für Telefongespräche mit ihren Familienangehörigen in der Heimat verwenden. Manche der Männer haben die Hoffnung verloren, dass sie ihre Frauen und Kinder wiedersehen werden. Trotz seines Leidensweges seit seiner Verhaftung im Jahr 2001 erklärt Abu Bakr Qasim, er hege keinen Groll gegen die USA, weil er vier Jahre als Gefangener in Guantanamo lebte.

17. Zuflucht in Schweden [ top ]

Zumindest für einen der nach Albanien entlassenen Uiguren gab es ein kleines Happyend. Mit Unterstützung eines schwedischen Rechtsanwalts und einer US-amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei, die ihn während seiner Haft in Guantanamo ehrenamtlich vertreten hatte, gelang es Adel Abdulhehim seine Weiterwanderung nach Schweden zu betreiben, wo seine Schwester Kavser und ihre Töchter als Flüchtlinge leben. Am 20. November 2007 traf der 33 Jahre alte Uigure mit einem für nur vier Tage ausgestellten Touristenvisum in Schweden ein und beantragte sofort politisches Asyl. Jahrelang hatte seine in Gulja in Ostturkestan / Xinjiang lebende Frau kein Lebenszeichen von ihm erhalten und ihn inzwischen sogar für tot erklärt. Im Frühjahr 2005 hatte sie sogar sein Begräbnis in seiner Heimatstadt organisiert, um von ihm Abschied zu nehmen.

18. Guantanamo-Uiguren in Europa Schutz gewähren [ top ]

Aus grundsätzlichen Erwägungen haben die USA bislang noch keinem ehemaligen Lagerinsassen von Guantanamo gestattet, sich in den USA niederzulassen. Doch von der US-Regierung wird nichtsdestotrotz ein konstruktiver Beitrag zur Lösung dieses Flüchtlingsproblems gefordert. Denn es sind die USA, die diese Uiguren de facto zu "staatenlosen" Menschen gemacht haben, die aufgrund des chinesischen Einflusses in keinem Staat der Welt mehr Aufnahme finden.

Laut Aussage der US-Behörden haben es bislang 114 Staaten in aller Welt abgelehnt, den Guantanamo-Uiguren Zuflucht zu gewähren. Seit dem Jahr 2002 setzt sich die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit Fax-, Briefund E-mail-Aktionen dafür ein, dass die auf Kuba festgehaltenen Uiguren nicht in die Volksrepublik China abgeschoben werden. Zumindest konnte bislang erreicht werden, dass die USA inzwischen ihren Plan verworfen haben, einige der Uiguren ihren Verfolgern in China auszuliefern. Doch dies kann nicht genug sein. Die Guantanamo-Uiguren sind die ersten Opfer des weltweiten Kampfes gegen den Terror. Ihr stilles Leiden im Lager 6 von Guantanamo ist auch eine Anklage derer, die Menschenrechte im weltweiten Kampf gegen den Terror nicht angemessen beachten. Mehrfach hat sich die GfbV an die Europäische Union und an einzelne EU-Mitgliedstaaten mit der Bitte gewandt, sich um eine humanitäre Lösung für die Guantanamo-Uiguren einzusetzen.

Die Staaten der Europäischen Union, die Schweiz und Norwegen sollten und können gemeinsam handeln, da nur sie sich dem Druck der chinesischen Regierung wirksam entziehen können. Denn es ist davon auszugehen, dass die Volksrepublik China gegen die Aufnahme der uigurischen Gefangenen protestieren wird. Zentralasiatische Nachbarstaaten Chinas, wie Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan, in denen auch hunderttausende Uiguren leben, besitzen nicht die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit, um uigurischen Flüchtlingen entgegen dem Willen der chinesischen Führung Zuflucht zu bieten. Dies zeigen jeden Monat neue Fälle von Abschiebungen uigurischer Regimekritiker aus diesen Staaten in die Volksrepublik.

Daher kommt der Europäischen Union (EU), der Schweiz und Norwegen in dieser humanitären Frage eine besondere Bedeutung zu. Konsequent haben die EU und andere Staaten immer das Gefangenenlager Guantanamo kritisiert und eine Schließung des Camps gefordert. Zurzeit leben noch rund 270 Gefangene in dem Lager. Mehr als 70 Internierte können nach Angaben des US-Verteidigungsministers Robert Gates momentan nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil sie in ihren Ursprungsländern nicht sicher sind oder diese Staaten sie nicht aufnehmen wollen. Selbst die US-Behörden räumen inzwischen ein, dass die Uiguren irrtümlich in das Lager eingewiesen wurden und unschuldig sind. Mit jedem Tag, den sie unter unmenschlichen Bedingungen in dem Camp zubringen, verschlechtert sich ihre Gesundheit. Dringend ist eine großzügige humanitäre Geste Europas erforderlich, um dieses Leiden zu beenden. In zahlreichen Staaten Europas leben heute Uiguren im Exil (Deutschland, Belgien, Niederlande, Schweden, Norwegen, Finnland, Großbritannien, Schweiz, Frankreich, Österreich). Diese Gemeinschaften der Uiguren sind bereit, sich um die Integration neu ankommender Flüchtlinge zu kümmern. Europäische Staaten sollten daher gemeinsam eine humanitäre Lösung für die Guantanamo-Uiguren suchen, die nicht einem Staat alleine die Verantwortung aufbürdet, sich mit der Kritik der chinesischen Führung auseinanderzusetzen.

19. Liste der in Guantanamo inhaftierten Uiguren [ top ]

20. Im Mai 2006 freigelassene Uiguren, die in Albanien/Schweden Aufnahme fanden [ top ]


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/2008/080523de.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/mongol/mongolen.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/mongol/mongol.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/china.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/china1.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/uigur.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/tibet.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/tibet1.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/051107de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2008/080229en.html

* www: www.ohchr.org | www.hrichina.org

Letzte Aktual.: 26.5.2008 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/asia/uig-guant.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

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