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Am 21. Jänner 2006 starb der Präsident des Kosovo

Gewaltfrei für das Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner: Ibrahim Rugova

Von Thomas Benedikter

Bozen, 6. März 2006

Ibrahim Rugova. Aus: www.osservatoriobalcani.org/article/articleview/3402/1/41Im Sommer 1997 war die Atmosphäre in Prishtina zum Zerreißen gespannt. Die Welt war noch damit beschäftigt, den Bosnienkrieg zu verdauen, und anscheinend waren keine der größeren Mächte gewillt, sich mit dem nächsten Akt des Dramas "Der Zerfall Jugoslawiens" zu befassen, der Kosovo-Krise, die in Dayton tunlichst ausgeblendet worden war. Doch hatte das ganze, vom Milosevic-Regime in Gang gesetzte Unheil gerade hier, auf dem geschichtsträchtigen Amselfeld seinen Auftakt genommen, als dieser einst autonomen Provinz der Republik Serbien 1989 ihre Autonomie genommen wurde. Die Frustration stand den Menschen in Prishtina in jenem Sommer ins Gesicht geschrieben, die Gewalt war fast mit Händen zu greifen. Es schien mir, als könnte jederzeit irgendwo ein Funke alles in Brand setzen. Dabei hatte diese Provinz schon eine Art embryonalen Parallelstaat entwickelt. Die albanische Bevölkerung, über 90% der Gesamtbevölkerung des Kosovo, hatten 1992 die "Republik Kosova" ausgerufen und mit übergroßer Mehrheit in einem Referendum bestätigt. Dann hatten sie in freier, selbst organisierter Wahl einen bekannten Schriftsteller und Literaturkritiker zu ihrem Präsidenten gewählt: Ibrahim Rugova.

Der Präsidentensitz dieses albanischen Vaclav Havel war ein heruntergekommener Bungalow zwischen Pfützen und staubigen Straßen hinter dem Fußballstadion in Prishtina, das kleine Vereinslokal des Schriftstellerverbandes des Kosovo. Kein Land, mit Ausnahme Albaniens, erkannte diesen Präsidenten und seine Republik an, obwohl er nahezu mit Stimmeneinhelligkeit gewählt worden war. Er verkörperte den Wunsch der Albaner des Kosovo, endlich frei und sicher leben zu können. Fast täglich veröffentliche seine Pressestelle eine Pressemitteilung, die immer mit dem litaneihaften Satz endeten: "Im Übrigen sind wir der Auffassung, dass nur die Unabhängigkeit eine umfassende Lösung der Kosovo-Frage mit sich bringen kann." Die serbischen Behörden ließen ihn gewähren, weil sie Rugova als Mann der Gewaltlosigkeit kannten und sich einen mäßigenden Einfluss auf die albanische Mehrheitsbevölkerung erwarteten.

Als Präsident ließ sich Ibrahim Rugova täglich in einem schwarzen Audi von seiner Villa auf einem der Hügel Prishtinas zum "Präsidentensitz" bringen. Einfache Menschen machten ihm ihre Aufwartung, andere baten ihn um Rat und Vermittlung, selten empfing er Besuch von Diplomaten oder Journalisten. Dennoch musste ich in jenem August 1997 eine Woche warten, bis er mich zum Interview empfing. Ein höflicher, zierlicher Mensch mit einem sehr distinguierten Französisch. Die fast obligatorische Frage durfte nicht ausbleiben: wäre denn eine Autonomie wie jene Südtirols nicht ein praktikabler Ausweg für den Kosovo? Nein, meinte Rugova trocken, rückte sich den unverwechselbaren Seidenschal zurecht und zog an seiner Zigarette, ich kenne Südtirol. Eure Autonomie passt für euch. Für uns Albaner des Kosovo kann nur die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit einen Ausweg aus dieser Unterdrückung bieten. Wir haben genug gelitten.

Die Polizei patrouillierte mit Panzerwagen durch Prishtinas Straßen, während Rugova und seine Partei LDK (Demokratische Liga des Kosovo) sich bemühten, ihre Phantomrepublik in ein konkretes Staatswesen auszubauen. Man organisierte ein paralleles Schulwesen, es entstand ein selbstverwaltetes Gesundheitssystem in kleinen Vereinslokalen und Privatwohnungen. Die albanische Sozialhilfe funktionierte dank tausender Freiwilliger, viele aus dem öffentlichen Dienst entlassen, weil sie den Treueschwur auf das Milosevic-Regime nicht leisten wollten. Die Mitarbeiter der LDK mussten erfindungsreich sein, um das ganze parallele Staatswesen zu finanzieren, vor allem Dank der Spenden Hunderttausender von Emigranten in Deutschland, der Schweiz und in anderen EU-Ländern. Doch all dies erfuhr die Welt erst später, als die Geduld der Albaner trotz aller Bemühungen der LDK erschöpft war und die jüngeren Patrioten nicht mehr warten wollten.

Der Patriotismus war auch Ibrahim Rugova, Jahrgang 1944, buchstäblich in die Wiege gelegt worden. Er war eben 6 Monate alt, als 1945 sein Vater und sein Gr0ßvater von den Tito-Kommunisten massakriert wurden, die den Kosovo wieder besetzten, nachdem er bereits von albanischen Partisanen von der faschistischen Besatzung befreit worden war. Rugova studierte Sprachen und Philosophie und hielt sich 1976 ein Jahr bei Roland Barthes in Paris auf. Dann kehrte er in den Kosovo zurück, wo er einen Lehrstuhl für albanische Literatur an der Universität Prishtina bekleidete. 1988 wurde Rugova zum Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes des Kosovo gewählt, ein Mann, der auch von den serbischen Schriftstellerkollegen geschätzt war. Beinahe zufällig wurde er 1989 zum Präsidenten der LDK gewählt. Er war beauftragt worden, Rexhep Qosha, einen bekannten patriotisch orientierten Schriftsteller, um seine Kandidatur zu bitten. Als dieser ablehnte, übernahm Rugova selbst die Führung der LDK und behielt sie bis zum vergangenen Januar 2006.

In den folgenden Jahren tat Rugova für die entrechtete Mehrheitsbevölkerung des Kosovo was er konnte, blieb aber immer der Gewaltfreiheit verpflichtet. Keine Kollaboration mit dem Regime, ziviler Widerstand und Bemühung um internationale Unterstützung waren die Leitmotive. Diese konsequente Linie trug Rugova den Beinamen "Gandhi des Balkan" ein. Es war eine nicht nur ethisch, sondern auch strategisch begründete Haltung. Die Erfahrungen der von Milosevic gegen Kroatien und Bosnien geführten Kriege hatten gezeigt, dass dieses Regime zu allem fähig war, um die serbische Kontrolle über die früheren Teilrepubliken Jugoslawiens aufrechtzuerhalten. Ein bewaffneter Widerstand der Albaner im Kosovo hätte Milosevic den willkommenen Vorwand geliefert, eine weitere ethnische Säuberung im Süden Serbiens durchzuziehen, die von den Ideologen Großserbiens schon lange gefordert worden war. Als 1991 Kroatien Rugova aufforderte, sich militärisch gegen Belgrad zu wenden, um eine zweite Front gegen die serbische Armee im Süden zu errichten, lehnte Rugova ab. Als 1998 die UCK der Albaner den bewaffneten Widerstand begann, reagierte Milosevic, wie von Rugova erwartet, mit blutiger Repression gegen die Zivilbevölkerung. Doch nach einem Jahr Massakern und mehreren tausend Toten griff die NATO diesmal schneller ein als in Bosnien.

Während des Kriegs war Rugova machtloser Zuschauer und wurde zudem noch von Milosevic missbraucht: dieser verfrachtete ihn nach Belgrad, wo er dem Diktator bei laufender Kamera die Hand reichen musste als Politiker, der zu Verhandlungen mit dem Regime bereit zu sein schien. Das Treffen löste unter den Albanern enormen Unmut aus und mancher Beobachter mutmaßte, dass es das Ende der politischen Rolle Rugovas bedeutet habe. Er wurde von den serbischen Behörden unter Hausarrest gestellt und begab sich dann ins Exil nach Italien. Später, im März 1999 saß Rugova am Verhandlungstisch im Schloss Rambouillet in Paris, musste aber akzeptieren, gleichrangig mit dem jungen UCK-Führer Hashim Thaci für den Kosovo zu verhandeln.

Nach dem Krieg im Sommer 1999 war Rugova unschlüssig über eine Rückkehr in sein Heimatland. Es schien, als sei im politischen Kampf um die Loslösung von Serbien die LDK desavouiert zu sein und als hätte die UCK nun das Ruder übernommen. Doch bei den ersten offiziellen, von der UN-Übergangsverwaltung ausgerichteten Wahlen siegte die LDK und Rugova wurde als Präsident bestätigt, musste jedoch dem zum Politiker mutierten Thaci als Ministerpräsidenten akzeptieren. Die verschiedenen politischen Lager und Strategien gaben in der Folge viel inneren Konfliktstoff für die Albaner ab in einer immer pluralistischeren albanischen Zivilgesellschaft. Doch im Grundanliegen blieben alle politischen Kräfte der Albaner einig: die Unabhängigkeit. Andererseits vermissten auswärtige Beobachter an Rugova, neben seinen unbestrittenen Verdiensten um die Befreiung seines Landes, die Rechte der ethnischen Minderheiten im Kosovo nicht genügend beachtet zu haben: weder nach dem Krieg 1999, noch im bei den Unruhen im März 2004 hatte Rugova sofort eingegriffen, um die Übergriffe auf die Roma, die Serben und die Ashkali im Kosovo zu stoppen.

Der letzte Anlass zum Streit zwischen Rugovas LDK und den Politikern der ehemaligen UCK war die albanische Identität des Kosovo. Rugova wollte dieses Land endgültig aus dem geschichtlichen Vermächtnis der Serben lösen und den auf die Niederlage gegen die Türken auf dem Amselfeld (kosovo polje) bezogenen serbischen Namen durch "Dardania" ersetzen, wie dieses Gebiet in der Römerzeit genannt wurde. Zu diesem Anlass wurde auch eine neue Fahne erfunden und erstmals am Nationalfeiertag, dem 28 November 2005 gehisst, ohne den altgewohnten skipetarischen Adler auf rotem Grund, den alle Albanien-orientierten UCK-Kämpfer hochgeschätzt hatten. Rugova war es nicht gegönnt, seine Vision einer neuen "dardanischen Identität" der Kosovo-Albaner auszubreiten und auch nicht dem von ihm und seinen Landsleuten am meisten ersehnten Augenblick zu erleben: die offizielle Ausrufung eines unabhängigen Staates auf dem Gebiet des heutigen Kosovo.

Thomas Benedikter


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/kos-krusha.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050201de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040616de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040526ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040319ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040318de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030520ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/01-2/010830ade.html | www.gfbv.it/3dossier/rom-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/linkgfbv.html#rom

* www: www.who.int | www.eumap.org

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