Bozen, Göttingen, 16. Juni 2004
Im Kosovo haben 250
ehemalige Einwohner der Stadt Vushtri/Vucitrn einen unbefristeten
Hungerstreik begonnen. So wollen die Angehörigen der
Aschkali-Minderheit ihrer Forderung nach politischem Asyl in
einem europäischen oder nordamerikanischen Drittland
Nachdruck verleihen, berichtete der Generalsekretär der
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman
Zülch, am Mittwoch in Göttingen. Nach den
Massenausschreitungen des albanischen Mobs gegen die Minderheiten
im Kosovo Mitte März sind die Aschkali aus Vushitrn in einem
mit Stacheldraht umzäunten und schwer bewachten Lager in der
französischen Militärbasis Novo Selo untergebracht. So
sind sie zwar vor erneuten Angriffen ihrer feindlich gesinnten
albanischen Nachbarn geschützt, doch gleichzeitig ist ihre
Bewegungsfreiheit auf das Lagergelände beschränkt. Zwei
Drittel der Hungerstreikenden sind Kinder und Jugendliche. Etwa
30 der rund 280 Aschkali aus Vushtri/Vucitrn konnten ins Ausland
flüchten.
"Selbst die Kinder und Jugendlichen wollen mithungern, weil sie
nach den gewalttätigen Übergriffen soviel Angst vor
ihren albanischen Nachbarn haben", schilderte der Leiter des
vierköpfigen GfbV- Rechercheteams im Kosovo, Paul Polansky,
die Situation. Er und seine Mitarbeiterin Miradija Gidzic sind
für einige Tage in Deutschland, halten jedoch Kontakt zu den
Minderheitenangehörigen.
Schon vor etwa vier Wochen hatten sich die Aschkali von
Vushtri/Vucitrn mit einem dringenden Schreiben an den Hohen
Repräsentanten für außenpolitische Fragen der EU,
Javier Solana, gewandt und ihn gebeten, ein Land für sie
auszusuchen. Gleichzeitig hatten die Sprecher der Aschkali gegen
die Beschlüsse des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten
Nationen UNHCR protestiert, denen zufolge sie in ihre Siedlungen
zurückkehren müssten. "Kein einziges ihrer am 17.
März in Brand gesteckten Häuser wurde bisher wieder
aufgebaut", kritisierte Zülch. "Das Vertrauen zu ihren
albanischen Nachbarn ist endgültig zerstört. Die
Aschkali weigern sich jetzt, mit Menschen zusammenzuleben, die
ihnen noch vor drei Monaten nach dem Leben trachteten." Der UNHCR
habe die Aufgabe, die Aschkali zu schützen. Da sie im Kosovo
Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt seien, müsse der
UNHCR nun auch ihre Übersiedlung in ein sicheres Land
unterstützen, fordern die Betroffenen.
"Kein Roma und kein Aschkali glaubt mehr an ein friedliches
Zusammenleben im Kosovo. Alle wollen das Land verlassen", sagte
Zülch. Die Aschkali von Vushtri/Vucitrn gehören zu den
nur noch etwa 20.000 im Kosovo verbliebenen Angehörigen der
Roma, Aschkali und Ägypter. Rund 130.000 wurden nach 1999
von extremistischen Albanern, unterstützt von großen
Teilen der albanischen Bevölkerung, vertrieben. 14.000 von
19.000 ihrer Häuser und 75 ihrer Dörfer und Stadtteile
wurden zerstört.