Bozen, Göttingen, Berlin, 3. September 2003
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat den
türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am
Mittwoch schriftlich dazu aufgefordert, die rund 6.500
politischen kurdischen Gefangenen umgehend freizulassen. "Die
meisten diese Gefangenen wurden allein aufgrund des
berüchtigten so genannten "Terrorparagraphen" zu langen
Haftstrafen verurteilt - etwa weil sie ein kurdischsprachiges
Plakat aufgehängt oder sich an einer prokurdischen
Demonstration beteiligt haben", kritisierte der
GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch. "Als EU- Bewerberin
und Mitglied des Europarates ist die Türkei neben Russland
der einzige Staat, der Tausende von Angehörigen einer
nationalen Volksgruppe inhaftiert hat." Wenn diese Gefangenen
nicht von dem Amnestiegesetz vom 6. August profitieren
könnten, müsse Erdogan sich vorwerfen lassen, das Thema
Menschenrechte nicht ernsthaft angehen zu wollen, die
internationale Öffentlichkeit jedoch bewusst darüber
hinweg zu täuschen. Dann würde eine EU-Mitgliedschaft
für die Türkei in weite Ferne rücken.
Auch der Vorsitzende des Türkischen Menschenrechtsvereins,
Zweigstelle Diyarbakir, Selahattin Demirtas, zweifelt an der
Umsetzung des neuen Gesetzes. Seine Menschenrechtsbilanz für
den Monat Juli ist bedenklich. Demnach wurden in der
überwiegend von Kurden bewohnten Region um Diyarbakir 13
politische Morde begangen, in 49 Fällen der Vorwurf von
Folter erhoben und in 66 Fällen gegen die Meinungsfreiheit
verstoßen.
Erdogan trifft sich heute erstmals in Deutschland mit Vertretern
von Menschenrechtsorganisationen. Die GfbV wurde nicht zu dem
Gespräch eingeladen. Sie setzt sich seit 30 Jahren mit zum
Teil Aufsehen erregenden Aktionen für die Menschen- und
Bürgerrechte der Kurden, Yezidi, christlichen Assyrer und
Armenier in der Türkei sowie für die Wiedervereinigung
des nach dem Einmarsch türkischer Truppen 1974 geteilten
Zypern ein.
Siehe auch den Report des IHD über die Menschenrechtsverletzungen der letzten 6 Monate in der Türkei (Report in Englisch: www.gfbv.it/3dossier/kurdi/ihd-en.html)