Bozen, 24. Januar 2005
Offener Brief an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Renate Schmidt
Sehr geehrte Frau Ministerin,
Sie gehören einer Bundesregierung an, die sich als der
sichtbare Ausdruck des anderen Deutschland versteht, als das
Deutschland der Anständigen. Ihre Regierung denkt deshalb
daran, gegen rechtsradikale Parteien vorzugehen. Gleichzeitig
drehen Sie aber dem höchst effizienten Internetmagazin
"Hagalil" den Geldhahn zu. Hagalil, Europas größtes
deutschsprachiges Internetmagazin zum Judentum, steht vor dem
finanziellen Aus.
Weitere Fördergelder - an die 100.000 Euro - aus dem
Programm "Entimon - gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus"
(Entimon über Hagalil: "Seit 1995 ist es Hagalil online
gelungen, die Dominanz nazistischer Propaganda im Internet im
Bereich des Antisemitismus zurückzudrängen. Das Projekt
hat deshalb zum Ziel, die redaktionelle Arbeit von Hagalil online
weiter auszubauen und zu sichern"), das vom Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des so
genannten Aufstands der Anständigen initiiert wurde, werden
von der zuständigen Stelle aus formalen, bürokratischen
Gründen verweigert.
Damit steht Hagalil vor dem größten Problem seit
seiner Gründung. Die vorhandenen Mittel reichen noch bis
März 2005. Ehrenamtlich und ohne finanzielle Förderung
wird die umfangreiche Arbeit des Internetmagazins nicht
möglich sein. Seit der Gründung im Jahr 1995 gelang es
den Betreibern, ein Gegengewicht zum antisemitischen und
nazistischen Angebot im Internet zu schaffen und Judenhasser,
Revisionisten und sonstige Hasspropagandisten von den
höheren Rängen der Suchmaschinen zu verdrängen.
2004 wurden ungefähr 3500 Artikel veröffentlicht. Die
Chaträume waren 1800 Stunden geöffnet. In den
Büros in München und Tel Aviv wurden 2200 Anrufe
angenommen. Von 4000 bei Hagalil gemeldeten Internet-Seiten mit
potenziell strafbarem antisemitischem oder volksverhetzendem
Inhalt wurden 120 zur Anzeige gebracht. Wie wirksam die
Berichterstattung sein kann, zeigte 2003 unter anderem der Fall
Martin Hohmann, auf den zuerst Hagalil aufmerksam machte.
Es ist unverständlich, dass Hagalils Existenz ausgerechnet
in einer Zeit gefährdet ist, in der so viel über den
Kampf gegen rechtes Gedankengut die Rede (auch die jüdischen
Gemeinden klagen über knapper werdende und auch ausbleibende
Fördermittel) ist. Denn mit seinen Strategien zur
Eindämmung von rechter Propaganda im Internet hat sich
Hagalil in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht. Nach dem
Prinzip "100 Seiten Wahrheit für jede Seite Lüge und
Hass" wurden Webseiten mit antisemitischen oder
geschichtsrevisionistischen Inhalten von den höheren
Suchmaschinenrängen verdrängt. In Chats und
Internetforen wird über jüdische Lebensweisen
informiert.
Geben Sie sich doch einen Ruck, Frau Ministerin, schieben Sie die
angeblichen formalen und äußerst bürokratischen
Bedenken beiseite und unterstützen Sie weiterhin Hagalil.
Das ist konsequentes Vorgehen gegen Antisemitismus!