Bozen, Göttingen, 10. Mai 2005
Anlässlich des EU-Russland-Gipfels am heutigen Dienstag
in Moskau weist die Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) auf die zunehmende Diskriminierung und Verfolgung
ethnischer Minderheiten und auf die Besorgnis erregende Zunahme
von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in der
Russischen Föderation hin. Zudem kritisierte die
GfbV-Russlandexpertin Sarah Reinke in Göttingen scharf, dass
Moskau bis heute keine besonderen Anstrengungen unternommen habe,
das Tschetschenienproblem politisch zu lösen. Dort
herrschten nach wie vor Straflosigkeit und Willkür.
Täglich würden in Tschetschenien durchschnittlich zwei
Zivilisten von russischen Sicherheitskräften oder
prorussischen tschetschenischen Einheiten verschleppt. Mindestens
2.500 Zivilisten seien seit Beginn des zweiten
Tschetschenien-Krieges 1999 spurlos verschwunden.
Minderheiten und kleinere Völker wie die Baschkiren in der
Republik Baschkirien, die Mari in der autonomen Teilrepublik Mari
El oder die Meschketen in der Region Krasnodar klagen immer
häufiger über ethnische Diskriminierung bis hin zur
Verfolgung, berichtete Reinke. Angehörige der Mari, die in
Mari El die Opposition stellen, seien aus Regierungsämtern,
Zeitungsredaktionen und Behörden entfernt worden.
Journalisten würden schikaniert, überfallen und
zusammengeschlagen und seien vor Mordanschlägen nicht
sicher. Die rund 7.000 staatenlosen Turk-Meschketen in Krasnodar
würden von örtlicher Polizei und Kosakenverbänden
drangsaliert. Ehen würden nicht registriert, weil Eheleuten
Papiere fehlten, Kinder in Sonderklassen untergebracht.
"In den mit Tschetschenien benachbarten Kaukasus-Republiken
Inguschetien, Dagestan, Karbadino-Balkarien,
Karatschai-Tscherkessien und Ossetien gehen Polizei, Militär
und Geheimdienst immer brutaler gegen mutmaßliche
Terroristen oder religiöse Führer vor", sagte Reinke.
Die politische Opposition werde unterdrückt.
Kriminalität, Korruption und staatliche Willkür
beherrschten zunehmend den Alltag. Nach Polizeiangaben gab es
2004 in Russland 8.500 Gewalttaten mit fremdenfeindlichem
Hintergrund. 44 rassistisch motivierte Morde wurden im gleichen
Zeitraum gezählt. Das seien doppelt so viel wie im Vorjahr.
Einer Umfrage zufolge wollen 42% der Befragten den Einfluss der
Juden auf das öffentliche Leben in Russland reduzieren. Bis
zu 70% wollen, dass die Macht im Land in den Händen
ethnischer Russen konzentriert werden sollte.