Bozen, Göttingen, 28. Oktober 2005
Als "erfreulichen, jedoch längst überfälligen
Schritt" hat die Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) die Entscheidung des syrischen Baath-Regimes bezeichnet,
den rund 200.000 staatenlosen Kurden im Land endlich die
Staatsbürgerschaft zuzuerkennen. Das Zentralkomitee der
Partei hatte der staatlichen Nachrichtenagentur SANA zufolge am
Donnerstag aufgrund des zunehmenden internationalen Druckes auf
Syrien erklärt, die Kurden einbürgern zu wollen.
"Seit 1962 warten die Kurden darauf, dass endlich alle
Angehörigen ihrer Volksgruppe in Syrien Bürgerrechte
erhalten", berichtete die GfbV-Referentin Sarah Reinke. "Die
Staatenlosen hatten kein Stimmrecht, durften kein Land besitzen,
hatten keinen Anspruch auf staatliche Anstellung, ihre Ehen
wurden nicht anerkannt und auch ihren Kindern wurde die syrische
Staatsbürgerschaft vorenthalten. Dadurch wurde vielen sogar
der Schulbesuch unmöglich gemacht." Die Kurden stellen mit
etwa zwei Millionen Angehörigen rund zwölf Prozent der
Gesamtbevölkerung Syriens. "Es bleibt abzuwarten, ob Syrien
sein Versprechen nun tatsächlich einlöst", sagte
Reinke. Schon mehrfach seien ähnliche Ankündigungen
nicht wahr gemacht und die Kurden weiter diskriminiert und ihre
politischen Repräsentanten verfolgt worden.
Am 23.August 1962 war per Dekret Nr. 93 eine Volkszählung
in der Provinz Al-Hassaka verordnet worden. Ziel war es, dieses
mehrheitlich von Kurden besiedelte Gebiet im Norden Syriens zu
arabisieren. Nach der Volkszählung am 5. Oktober 1962 wurden
120.000 Kurden zu Staatenlosen erklärt. Seither ist ihre
Zahl auf 200.000 staatenlose Kurden angestiegen, die in der
Gruppe der "Ausländer" oder der "Nichtregistrierten"
geführt werden. Als "Ausländer" gelten Kurden, denen
1962 die syrische Staatsangehörigkeit entzogen wurde.
"Nichtregistrierte" sind nach offizieller syrischer Lesart
Kurden, die nach der Volkszählung 1962 illegal in die
Provinz Al-Hassaka eingereist sind und sich dort niedergelassen
haben. Die "Ausländer" erhalten Sonderausweise, die
"Nichtregistrierten" haben nicht einmal das. Häufig gibt es
in ein und derselben Familie sowohl registrierte als auch nicht
registrierte Staatenlose.
Hinsichtlich der Bildungsmöglichkeiten sind die
"Nichtregistrierten" besonders benachteiligt. Schon die
Einschulung der Kinder erweist sich oft als Problem, da sie
keinen Rechtsanspruch auf den Schulbesuch haben. Für die
Einschulung ist außerdem eine Genehmigung des politischen
Sicherheitsdienstes erforderlich. So sind aus der Stadt Qamishli
und der Provinz Al-Hassaka mehrere aktuelle Fälle bekannt,
in denen die Versuche von Eltern, ihr nicht registriertes Kind in
der Schule anzumelden, scheiterten.