Bozen, Göttingen, 20. Dezember 2005
Angesichts einer neuen Verhaftungswelle unter Regimekritikern
in Äthiopien hat die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) Premierminister Meles Zenawi am Dienstag
vorgeworfen, die politische Opposition in seinem Land mundtot
machen zu wollen. "Mit der systematischen Verhaftung von
Dissidenten, kritischen Studenten, unabhängigen Journalisten
und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen und mit der
systematischen Missachtung der Unabhängigkeit der Justiz
zerstört Zenawi jede Hoffnung auf eine baldige
Demokratisierung in Äthiopien", kritisierte der GfbV-
Afrikareferent Ulrich Delius.
Seit dem 10. November 2005 seien mehr als 1.000 Angehörige
des Oromo- Volkes verhaftet worden. Mindestens zehn Oromo wurden
seitdem in der Provinz Oromiya in den Städten Ambo,
Dedessaa, Jeldu; Kofele, Lalo und Tukur-Inchinni getötet bei
der blutigen Niederschlagung von Studentendemonstrationen
für die Freilassung von vier inhaftierten Mitarbeitern der
Oromo-Wohlfahrtsorganisation Mecha Tulema Association (MTA). Die
Behörden hatten sich über richterliche Anordnungen,
diese vier seit Mai 2004 Inhaftierten freizulassen, mehrfach
hinweggesetzt. Bereits in der vergangenen Woche hatte Zenawi
angekündigt, weiteren 3.000 inhaftierten Anhängern der
Oppositionsbewegung "Koalition für Einheit und Demokratie"
(CUD) werde der Prozess gemacht, weil sie gegen die Manipulation
der Parlamentswahlen am 15. Mai 2005 protestiert hatten. Bei
diesen Demonstrationen wurden mindestens 88 Menschen
getötet.
Gegen eine erste Gruppe von 131 Oppositionspolitikern,
Journalisten und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen
wurde am 17. Dezember Anklage wegen Hochverrats und
Völkermord erhoben. "Die Vorwürfe sind absurd. Sie
werden die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen in
dem Vielvölkerstaat nur weiter anheizen", befürchtet
Delius. Faire Gerichtsverfahren seien nicht zu erwarten, da die
Unabhängigkeit der Justiz von der Regierung nicht anerkannt
wird. Seit Jahren würden vor allem mutmaßliche
Anhänger von Oromo- Organisationen aufgrund des
Genozidvorwurfs zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Wegen Genozids kann gemäß dem noch aus der
kaiserlichen Zeit stammenden Strafgesetzbuch jeder verfolgt
werden, dessen "Propaganda darauf abzielt, die Nation oder Teile
Äthiopiens zu zerstören, und zum Tod von Personen
führt".