Bozen, Göttingen, 20. Januar 2006
Die Vereinten Nationen müssen sich endlich konsequent
für die Einrichtung eines internationalen Ad-hoc-Tribunals
zu Osttimor einsetzen, um die Verantwortlichen des
Völkermordes zur Rechenschaft zu ziehen. Das hat die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in einem an
UN-Generalsekretär Kofi Annan gerichteten Appell am Freitag
gefordert. "Da sowohl die Regierungen Indonesiens als auch
Osttimors eine wirksame Strafverfolgung der Verantwortlichen des
Genozides blockieren, ruht nun die Hoffnung der Angehörigen
der Ermordeten alleine auf den Vereinten Nationen", erklärte
der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. Der UN-Generalsekretär
dürfe nicht länger die Appelle von UN-Experten
ignorieren, die mehrfach die Einrichtung eines Internationalen
Tribunals gefordert hatten, da jede Versöhnung ohne eine
Bestrafung der Verantwortlichen scheitern werde.
Am Donnerstag waren Auszüge eines bislang
unveröffentlichten Berichts der Wahrheitskommission von
Osttimor bekannt geworden, in dem Indonesien für die
systematische Vernichtung von bis zu 180.000 Menschen
während seiner Besetzung (1975-1999) der ehemaligen
portugiesischen Kolonie verantwortlich gemacht wird. Der mehr als
2000 Seiten umfassende Bericht, der auf der Auswertung von 7.500
Zeugenaussagen beruht, wird dem UN-Generalsekretär offiziell
am heutigen Freitag von der osttimoresischen Regierung
übergeben.
"Die Hauptverantwortlichen des Genozides dürfen nicht
länger straflos bleiben", forderte die GfbV in ihrem an
Annan gerichteten Appell. Allenfalls nachrangige Soldaten
würden in Indonesien für Menschenrechtsverletzungen zur
Rechenschaft gezogen. Ein Ad-hoc- Menschenrechtsgericht in der
indonesischen Hauptstadt Djakarta hatte in erster Instanz nur
zwei ethnische Osttimoresen zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die
damals führenden indonesischen Militärs und Politiker,
die für den Völkermord verantwortlich waren, blieben
straflos.
Auch ein Sondergericht in Osttimor sei aufgrund mangelnder
Kooperation indonesischer Behörden nicht dazu in der Lage
gewesen, Gerechtigkeit herzustellen. Während
Menschenrechtsorganisationen in Osttimor nachdrücklich ein
internationales Tribunal fordern, unternehme die Regierung
Osttimors aus Sorge um die Beziehungen zum
übermächtigen Nachbarland nichts, um die Straflosigkeit
zu beenden. So sei auch eine zwischen Indonesien und Osttimor im
Dezember 2004 vereinbarte bilaterale Wahrheits- und
Freundschaftskommission untauglich, um die indonesischen
Verantwortlichen vor Gericht zu bringen, da es am politischen
Willen fehle, den Völkermord aufzuarbeiten.