Bozen, Göttingen, 29. August 2007
Mit ihrer Intervention im Jahr 1999 haben NATO -
Streitkräfte erreicht, dass 1,5 Millionen Albaner -
Vertriebene und Flüchtlinge - in ihre Heimat
zurückkehren konnten. Jedoch haben sich chauvinistische
Teile der albanischen Öffentlichkeit gegen die indigenen
Minderheiten der Sinti und Roma, der Aschkali und der so
genannten Kosovo - Ägypter gewandt. 75 Stadtbezirke und
Dörfer der drei Minderheitengruppen, die sozial und
wirtschaftlich in die albanische Gesellschaft integriert waren,
wurden dem Erdboden gleichgemacht: 14.000 von 19.000 Häuser
wurden zerstört.
Drohungen, Misshandlungen, Folter, Morde, Entführungen und
plötzliches Verschwinden von Menschen führten zu einer
panischen Flucht der Roma und der ihnen verwandten Gruppen. Im
März 2004 wüteten erneut albanische Banden durch die
verbliebenen Ansiedlungen von Sinti und Roma, Aschkali und
Serben. Von den ungefähr 150.000 Roma und Aschkali, die
ursprünglich im Kosovo lebten, sind heute nicht einmal mehr
15.000 übrig. Nachdem fast alle internationalen
Hilfsorganisationen den Kosovo verlassen hatten, verschlimmerte
sich die humanitäre Situation der verbliebenen
Angehörigen von Minderheiten in der Region zusehends. Der
Flüchtlingsstrom nahm kein Ende und bis zu 95% der
Angehörigen der Minderheiten waren arbeitslos, obwohl
früher die meisten von ihnen in der Industrie, im Energie -
Sektor, als Baggerfahrer, Händler oder Kleinbauern
gearbeitet hatten.
Regelmäßige, von der Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) durchgeführte Untersuchungen haben
ergeben, dass die Sicherheits- und die humanitäre Situation
der Minderheiten der Roma, der Aschkali, der Ägypter, der
Serben, Türken, Goranen, Bosniaken, Kroaten und Torbesch
aufs höchste Besorgnis erregend ist. Nachdem ein eineinhalb
Jahre währender Streit über den Status von Kosovo -
Albanern und Serben im Kosovo keine Einigung erbracht hat und
nachdem Marti Ahtisaaris Plan vom UN - Sicherheitsrat abgelehnt
worden war, bildeten die EU, die USA und Russland Mitte August
2007 eine Troika mit dem Zweck, eine neue Verhandlungsrunde zu
eröffnen. Während nun die Interessen der Kosovo -
Serben von Belgrad und von einem Vertreter der "Srpska lista s
Kosova i Metohije" vertreten wurden, hatten die Minderheiten der
Roma, der Aschkali, "Ägypter", Goranen, Türken Pomaken
und Bosniaken beinahe keine Möglichkeit, ihre Interessen und
Rechte auf eine angemessene Weise zu vertreten.
Katastrophale Zustände in
Flüchtlingslager
Die GfbV beobachtet seit 1999 die Menschenrechtssituation im
Kosovo und erachtet die Situation der Minderheiten der Roma, der
Aschkali und der "Ägypter", die schon seit acht Jahren
gezwungen sind, unter prekären Bedingungen in
Flüchtlingslager im Kosovo zu leben, als hoffnungslos. Die
Flüchtlingslager sind Leposavic/Leposaviq (215
Flüchtlinge, 110 von ihnen Angehörige einer
Minderheit), Cesmin Lug (144 Flüchtlinge, 77 von ihnen
Angehörige einer Minderheit), Osterode (382
Flüchtlinge, 208 von ihnen Angehörige einer
Minderheit), und Plementina (60 Roma-Familien).
Im Flüchtlingslager von Osterode (früher die Kaserne
der französischen KFOR - Soldaten in Nord - Mitrovica) sind
Roma - Flüchtlinge untergebracht, die von den schwer Blei -
vergifteten Camps von Kablare und Zitkovac dorthin gebracht
worden sind; sie waren seit Februar 2006 einer hohen
Schwermetallkonzentration ausgesetzt. Besonders die Gesundheit
von Kindern und Schwangeren ist dadurch in großer Gefahr.
Es ist mittlerweile erwiesen, dass die französischen
Soldaten die Kaserne wegen der hohen Bleikonzentration verlassen
hatten. Ärzte hatten sie angewiesen, in den ersten neun
Monaten nach dem Verlassen der Kaserne keine Kinder zu
zeugen.
Auch das schwer verseuchte UN - Camp Cesmin Lug/Cesminlukë
ist noch immer in Gebrauch. Die Anzahl der hier untergebrachten
Menschen ist sogar im Steigen begriffen, da viele
Flüchtlinge, die von Serbien und Montenegro in den Kosovo
zurückkehren, hierher gebracht werden. Auch angesichts
mehrerer Todesfälle und Fehlgeburten, die von der hohen
Bleikonzentration herrühren, haben UNMIK und WHO nichts
unternommen, um dieses Problem zu lösen. Es wurden lediglich
einige "kosmetische" Änderungen vorgenommen.
Anfang 2007 führte die WHO neue Blutuntersuchungen an den
Kindern in Osterode durch. Die Eltern stimmten der Untersuchung
nur unter der Bedingung zu: Auch sie sollten eine Kopie der
Testergebnisse erhalten. Die WHO hat ihr Versprechen nicht
gehalten. Einzig die Familie Jahirovic hat es unter wiederholtem
Nachfragen geschafft, die Testergebnisse zu erhalten. Sara, das
jüngste Kind der Familie, muss sich jeden Tag übergeben
und hat epileptische Anfälle - Symptome einer
Bleivergiftung. Ihre Tests ergaben eine überaus hohe und
höchst gefährliche Blei - Konzentration in ihrem Blut.
Dieses Ergebnis bestätigte die schlimmsten
Befürchtungen der GfbV.
Die Testergebnisse haben ergeben, dass die Blei - Konzentration
im Blut nicht auf signifikante Weise gesunken ist, seit sie vom
Flüchtlingslager in die Kaserne nach Osterode gebracht
worden waren. Die Konzentration ist außerdem noch sehr weit
über dem Punkt, an dem mit starken und irreversiblen
Anzeichen einer Vergiftung gerechnet werden muss. Ende 2007 hat
die UNMIK zudem jegliche Lebensmittelhilfen eingestellt, da
hierfür angeblich kein Geld vorhanden wäre. Die meisten
Familien sind nun gezwungen, Mülleimer nach etwas essbarem
zu durchsuchen.
Auch im Jahr 2006 waren ethnische Säuberung,
Überfälle und Diskriminierung an der Tagesordnung.
Für Angehörige von Minderheiten ist es im
Großteil des Kosovo unmöglich, zu leben, ohne Leib und
Leben zu riskieren.
Verweigerung von Arbeitsmöglichkeiten:
Angehörigen von Minderheiten war es nach der Ankunft von
NATO - Truppen und UN - Mitarbeitern nicht gestattet, an ihre
Arbeitsplätze zurückzukehren. Gerade die UN -
Mitarbeiter waren kaum dazu bereit, Angehörige von
Minderheiten für Hilfsdienste einzustellen. Heute, acht
Jahre später arbeiten gerade einmal fünf Roma für
die UNMIK.
Wohnungsmangel: Während des Krieges waren
in den 300 Roma - Gemeinden über 14.500 Häuser
ausgeplündert und zerstört worden. Weniger als 400 von
diesen sind bis heute wieder aufgebaut worden. Laut UN - Sprecher
György Kakuk kommen die meisten der Familien, die in die
Roma - Siedlung im Süden Mitrovicas zurück gekommen
sind, aus Serbien und Montenegro. Nur 12 Familien sind von den
schwer verseuchten Camps Osterode und Cesmin Lug gekommen -
trotzdem behauptet die UN, dass die Familien aus diesen zwei
Camps wegen der großen Risiken einer Blei - Vergiftung die
ersten hätten sein müssen, die evakuiert werden.
Einschränkungen der Bewegungsfreiheit: Der
Leiter des Kosovo - Teams der GfbV hat öfters beobachtet,
dass Angehörige der Roma - Minderheit daran gehindert
wurden, sich frei im Land zu bewegen. In seinem Auto brachte er
sie von ihren Dörfern im Süd- und Zentralkosovo in die
Spitäler in Serbien und Nord - Mitrovica. Wenn einer seiner
dunkelhäutigen Roma - Kollegen den Wagen fuhr, wurden sie
von den kosovarischen Polizeikräften angehalten. Sie mussten
am Straßenrand in der Sonne warten, bis die Polizisten
entschieden hatten, wie sie weiter verfahren würden.
Aberkennung von Eigentumsrechten
Solange die Roma keine offiziellen Dokumente haben, weigern sich
die UNMIK - Administration und die Institutionen der PISG,
Eigentumsrechte der Roma in Süd - Mitrovica anzuerkennen,
obwohl die überwältigende Mehrheit der Familien bereits
seit 200 Jahren hier Leben.
Ein Leben in ständiger Angst vor den
Rachegebärden der Albaner
Die GfbV wird immer wieder auf die alltäglichen
Vergeltungsanschläge von Albanern gegen die Gemeinden von
Roma und Aschkali, aber auch von Ägyptern, Goranen,
Torbesch, Türken und Juden. Angehörige dieser
Minderheiten werden dazu gedrängt, den Kosovo zu
verlassen.
Auch in Prizren: Alltägliche
Diskriminierung
Prizren gilt, was Minderheiten betrifft, als die liberalste Stadt
im Kosovo. Aber sogar hier verkaufen albanische Händler nur
dann an Angehörige von Minderheiten, wenn diese auch
albanisch sprechen.
Häusliche Gewalt: Die GfbV erreichen
regelmäßig Nachrichten darüber, dass Roma -
Frauen von ihren Ehemännern, Brüdern und Vettern
verprügelt werden. Auch andere internationale Organisationen
bestätigen diese schockierenden Ereignisse. Falls dann diese
Verbrechen bei der Polizei gemeldet werden - was selten der Fall
ist - weigert sich der Dienst habende Polizeibeamte, etwas zu
tun, mit einem Hinweis auf die kulturellen Unterschiede zwischen
den Roma und der Mehrheitsbevölkerung.
Kein Gesetz zum Schutz von Zeugen
Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen fürchten die Rache
der Täter. Das ist der Grund, weshalb für viele.
Verbrechen niemand zur Rechenschaft gezogen wird. Es gibt keinen
Schutz im Fall einer Vergeltung. Nicht einmal die Zeugen des
Haager Kriegsverbrechertribunals sind in Kosovo geschützt.
Nach der letzten Gerichtsverhandlung gegen Ramush Haradinaj
wurden der Kronzeuge der Anklage, sein Sohn und sein Cousin
ermordet. Ein weiterer Zeuge - ebenfalls Roma - wurde von einem
Auto überfahren.
Das Parlament weigert sich kategorisch, einen unabhängigen
Ombudsmann zu ernennen, obwohl viele Menschenrechtsbeschwerden
ignoriert werden. Der Nachfolger des früheren Ombudsmannes
Marek Antoni Nowicki, Hilmi Jashari, ist als
"geschäftsführender Ombudsmann" tätig. Die GfbV
bedauert, feststellen zu müssen, dass Jashari, ein
ethnischer Albaner, seit 20 Monaten kaum etwas in Bezug auf die
Menschenrechte getan hat.
Acht Jahre nach dem Ende des Kosovo - Krieges sind UNMIK und KFOR
sowohl darin gescheitert, weitgehende Schutzmaßnahmen
für Minderheiten zu einzurichten, als auch darin,
europäische Standards im Bereich der Menschenrechte zu
etablieren. Die GfbV steht für das Recht auf
Selbstbestimmung und für Minderheitenschutz ein. Dieser ist
notwendig für die Besserung der Situation im Kosovo und
für die Zukunft dieser Region.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker - International fordert den Menschenrechtsrat auf: