Bozen, Göttingen, Temuco, 26. Oktober 2007
Die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) ist in großer Sorge um das Wohlergehen
von zwei Mapuche-Indianerinnen in Chile, die nach einem
60-tägigen Hunger- und Durststreik für Freiheit und
Gerechtigkeit für politische Gefangene der Mapuche sehr
geschwächt sind. Anlässlich des Tages der
internationalen Solidarität mit dem Volk der Mapuche am
heutigen Freitag, zu dem verschiedene Mapuche-Exil-Organisationen
aufgerufen haben, macht die Menschenrechtsorganisation auf das
Schicksal von Juana Calfunao (51), Ortsvorsteherin (Lonko) der
Gemeinde Paillalef in der IX. Region von Chile, und ihrer
Schwester Louisa (41) aufmerksam. Sie sind politische Gefangene
und stehen im Zusammenhang mit einem seit langem schwelenden
Landrechtskonflikt nach elf Monaten Untersuchungshaft zurzeit in
Temuco vor Gericht. Das Urteil wird heute erwartet. Ihnen drohen
bis zu 15 Jahren Haft. Denn sie haben sich wie viele andere
Mapuche mit den Mitteln zivilen Ungehorsams gegen Landraub und
Diskriminierung zur Wehr gesetzt. Holz- und Energiekonzerne
betreiben in großem Stil Raubbau an den natürlichen
Ressourcen auf dem traditionellen Land der Mapuche-Gemeinschaften
in Chile.
Der Prozess gegen Juana und Louisa Calfunao wird von dem GfbV-
Repräsentanten in Temuco, Vicente Mariqueo, beobachtet. Die
Schwestern wollten mit ihrem Hungerstreik, den sie am 7. August
begonnen und Anfang Oktober abgebrochen hatten, auch der
Forderung der Mapuche Nachdruck verleihen, dass das so genannte
Anti-Terrorismusgesetz endlich abgeschafft werden muss. Die GfbV
unterstützt die Mapuche darin seit Jahren. Das umstrittene
Gesetz Nr. 18.314 stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur
und kommt vor allem in Landrechtsstreitigkeiten mit
Mapuche-Indianern zur Anwendung, erlaubt drakonische Haftstrafen
für Bagatelldelikte oder Aktionen wie Straßenblockaden
und Landbesetzungen und brandmarkt die Verurteilten als
Kriminelle und Terroristen.
"Juana Calfunao hat in Haft einen Herzanfall erlitten, ihre
Schwester Louisa musste die beiden Wochen vor Prozessbeginn am
22. Oktober im Krankenhaus verbringen", berichtet Yvonne Bangert,
Referentin für indigene Völker der GfbV. Beide
müssen sich wegen Prozessbehinderung, Widerstand gegen die
Staatsgewalt und leichte Körperverletzung vor Gericht
verantworten. Die Klage geht auf ein Verfahren im November 2006
zurück, in dem Juana Calfunao wegen Erregung
öffentlichen Ärgernisses zu 150 Tagen Haft verurteilt
worden war. "Dieses Urteil ist eine Farce", kritisiert Bangert,
"denn sie hat friedlich gegen eine öffentliche Straße
protestiert, die gegen den Willen der Mapuche mitten durch die
Gemeinde Paillalef gebaut wurde. Es löste im Gerichtssaal
zwischen den anwesenden Mapuche, der Staatsanwaltschaft und
Polizisten Tumulte aus, für die sich die beiden Schwestern
zusammen mit neun weiteren Mapuche, unter ihnen Angehörige
ihrer Familie, nun verantworten müssen.
Die Mapuche stellen mit rund 1,3 Millionen Menschen fast zehn
Prozent der Gesamtbevölkerung Chiles. Sie haben ihr Land
Jahrhunderte lang gegen die Inka und die spanische Konquista
verteidigt, erst der junge chilenische Staat konnte sie Ende des
19. Jahrhunderts unterwerfen.