Bozen, Göttingen, 20. Dezember 2007
Als
"schweren Rückschlag für die indianischen und
afro-brasilianischen Gemeinschaften" hat die Gesellschaft
für bedrohte Völker (GfbV) das Urteil des Obersten
Gerichtshofes von Brasilien bezeichnet, der am Mittwoch die
Fortsetzung der Bautätigkeiten zur Umleitung des São
Francisco-Stroms in Nordostbrasiliens erlaubt hat. "Die
Begründung des Gerichts, den am 10. Dezember verhängten
Baustopp für die so genannte Transposição
wieder aufzuheben, weil das Projekt Gebiete der Ureinwohner nicht
berühre, ist vollkommen unverständlich", sagte Yvonne
Bangert, Mitarbeiterin im GfbV-Referat indigene Völker am
Donnerstag in Göttingen. "34 indianische Gebiete und 153
Siedlungen der Quilombolas (Afro-Brasilianer) liegen in seinem
Einzugsbereich." Viele Angehörigen dieser Gemeinschaften
seien Fischer und Reisbauern. Ihre Existenz sei in Gefahr, denn
die Umleitung werde den Rio São Francisco, der bereits
unter den Staudämmen von Sobradinho und Itaparica leidet,
noch stärker austrocknen. Zudem werde der Nord-Kanal bei
Cabrobró gerade dort angestochen, wo seit Jahren das Volk
der etwa 1.800 Kirirí um sein angestammtes Territorium
kämpft. Auch die zusammen etwa 9.000 Tumbalalá- und
Truka-Indianer hätten schon mit Landbesetzungen gegen die
Flussumleitung protestiert.
Die Transposição ist ein Prestigeprojekt der
Regierung Lula da Silva. Zwei Kanäle mit zusammen 700
Kilometern Länge sollen über mehrere große
Pumpstationen das Wasser des Flusses nach Norden befördern,
wo es vor allem für den Zuckerrohranbau, Obstplantagen und
die Garnelenzucht sowie für die Stahlindustrie im
Großraum Fortaleza genutzt werden soll. Magere vier Prozent
des Wassers sollen auch in die bedürftigen privaten
Haushalte gelangen.
Indianische Flussanrainer, Quilombolas, Landlose und
Umweltschützer bilden mit großen brasilianischen
Menschenrechtsorganisationen wie dem Indianermissionsrat (CIMI)
und der Kommission für Landpastoral (CPT-PB) eine breite
Opposition gegen das Projekt. Spektakulär ist dabei das
Zeichen, das der Bischof der Diözese Barra im
brasilianischen Bundesstaat Bahia, Dom Luiz Flávio Cappio,
gesetzt hat. Seit dem 27. November hat er gefastet und gebetet,
um die Regierung zu einem neuen Dialog darüber zu
veranlassen, wie das Wasser des Rio São Francisco
umweltverträglicher und zum Nutzen der Landbevölkerung,
nicht der Großindustrie, verwendet werden kann. Nach
Bekanntwerden des Urteils brach Dom Cappio zusammen und musste in
ein Krankenhaus eingewiesen werden.