Bozen, Göttingen, 13. März 2008
"Für die Leute in Deutschland ist Giftgas
eine ganz furchtbare Sache, Kunden im Ausland stört das
nicht."
Dieter Backfisch, Geschäftsführer der Firma Karl Kolb,
6.1.1989
Am kommenden Sonntag, dem 16. März, werden die Einwohner
der Stadt Halabja im irakischen Bundesstaat Kurdistan der
Giftgasangriffe Saddam Husseins gedenken, bei denen vor 20 Jahren
5000 Kinder, Frauen und Männer ihr Leben verloren. Viele
Tausend wurden verletzt, für immer geschädigt oder
starben seither an den Folgen der Gasangriffe. Die
Überlebenden werden in der Regel bis heute medizinisch nur
unzureichend versorgt. Der Angriff gilt als das größte
Giftgasmassaker an Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der Angriff auf Halabja war "nur" Teil eines 1987 begonnenen
Vernichtungsfeldzuges des Baath-Regimes gegen die Kurden des
Nordirak und die mit ihnen lebenden assyro-chaldäischen,
turkmenischen und yezidischen Volksgruppen. Bereits seit April
1987 hatte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
die deutschsprachigen Medien kontinuierlich über
Giftgasangriffe der irakischen Luftwaffe gegen insgesamt 87
Dörfer im kurdischen Bergland informiert. Gleichzeitig hatte
die GfbV die hessischen Firmen Karl Kolb GmbH und Pilot Plant
neben über 40 anderen deutschen und europäischen Firmen
der Mitverantwortung für die begangenen Kriegsverbrechen
bezichtigt. Denn sie hatten zum Aufbau der Giftgasanlagen vor
allem im irakischen Samara beigetragen.
Das Bonner Landgericht hatte die GfbV daraufhin bei Androhung
von zwei Mal 500 000 DM Bußgeld am 4. August 1987
untersagt, ihre Beschuldigungen gegen die beiden hessischen
Unternehmen zu wiederholen. Am 11. Januar 1988 hob das
Kölner Oberlandesgericht diesen Richterspruch wieder auf,
nachdem die GfbV sich jetzt auf israelische Quellen berufen
hatte. Nach mehreren GfbV-Mahnwachen vor den Werktoren der beiden
Firmen kam es später zur Verhaftung der Beschuldigten, die
aber mangels vorliegender Gesetze wieder freigelassen wurden. Die
irakische Regierung plant nun rechtliche Schritte gegen Firmen,
die Saddam Hussein damals Chemikalien geliefert haben.
Da die damalige deutsche Bundesregierung Kohl/Genscher diese
Firmen lange Zeit hatte gewähren und zudem die
tödlichen Exporte durch Hermes- Bürgschaften hatte
absichern lassen, appelliert die GfbV heute an die
Bundesregierung die Kriegsverbrechen auch deutscher Firmen
wenigstens ein Stück weit durch ein Wiederaufbau- und
Gesundheitsprogramm wiedergutzumachen.
Die überlebenden Dorfbewohner wurden nach den
Giftgasangriffen in der Regel liquidiert oder ins Landesinnere
deportiert. In den Provinzen Arbil, Suleimaniya, Dohuk, Kirkuk,
Diala und Mosul folgten zahlreiche Verschleppungen in die
Wüsten und Steppen des Südirak, Konzentrationslager
wurden eingerichtet und Tausende durch Massenerschießungen
hingerichtet. Durch Massaker in den Dörfern wurden ganze
Landstriche entvölkert. Dieser Politik der Verbrannten Erde,
inzwischen als Operation "Anfal" in die Genozid-Geschichte
eingegangen, werden insgesamt bis zu 180.000 Einwohner von
Irakisch-Kurdistan zum Opfer gefallen sein. Auf dem
Anfal-Kongress im Februar 2008 in Arbil, an dem auch der
Präsident der GfbV International Tilman Zülch
teilgenommen hatte, wurde diese Zahl von europäischen und
nahöstlichen Experten bestätigt.