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Von Ulrich Delius
Bozen, Göttingen, 8. März 2009
Index
Zusammenfassung
| Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte
Völker | Freiheit und Menschenrechte
für Tibeter | Der Volksaufstand am 10.
März 1959 | Das Vermächtnis des
Volksaufstands | Anhaltende Proteste gegen
Chinas Tibet-Politik | Proteste dauern auch im
Jahr 2009 an | Touristen gelten als
unerwünschte Augenzeugen | Willkürliche Verhaftungen | Repression hält 2009 weiter an | Trotz Verbot wird in der Haft gefoltert | Unfaire Gerichtsverfahren | Keine
Religionsfreiheit für Tibets Buddhisten | Proteste gegen Umerziehungskampagne | Mönche werden kriminalisiert | Neue Regeln schränken Glaubensfreiheit ein |
Schicksal des Panchen Lamas ist noch immer
ungeklärt | Tibets Sprache wird
missachtet | Tibets Nomaden in Gefahr |
Tibeter fliehen vor Unterdrückung |
Presse- und Meinungsfreiheit werden
unterdrückt | Tibeter profitieren nicht
von wirtschaftlicher Entwicklung | Bergbau und
Energiewirtschaft werden bedeutende Wirtschaftszweige |
Umstrittene Eisenbahnlinie fördert Wirtschaft
und Zuwanderung | Sinisierung gefährdet
Tibets Identität | Gescheiterter
sino-tibetischer Dialog | Diffamierung des
Dalai Lama
Tibetsche Kinder.
Zusammenfassung [ oben
]
50 Jahre nach dem Volksaufstand und der Flucht des Dalai Lama
steht Tibet an einem Scheideweg. Niemals zuvor war seit der
Kulturrevolution in den 60er-Jahren der Druck Chinas zur
Assimilation auf die Tibeter so groß wie heute. Zugleich
wächst unter den Tibetern der Unmut über
Diskriminierung und Missachtung, über Pekings
Willkürherrschaft und den kulturellen Völkermord.
Tibetische Sprache, Kultur und Lebensweise werden systematisch
von China zerstört. Mit der Ansiedlung von 860.000 Nomaden
und Halbnomaden wird eine Jahrtausende alte Kultur
vernichtet.
Bislang ist der Widerstand der Tibeter gegen Chinas
Willkürherrschaft fast ausschließlich friedlich. Doch
wenn der Assimilierungsdruck noch stärker wird, könnten
schon bald ethnische Spannungen zwischen Tibetern und
chinesischen Migranten eskalieren. Mehr als 140 Demonstrationen
seit März 2008 haben gezeigt, dass die Tibet-Frage noch
immer ungelöst ist. Nie zuvor sind in den letzten 20 Jahren
so viele Tibeter als politische Gefangene inhaftiert gewesen.
Waren im Jahr 2007 noch 120 politische Gefangene in Tibet
namentlich bekannt, so wurden seit dem 10.März 2008 mehr als
5.700 Tibeterinnen und Tibeter aus politischen Gründen
verschleppt oder festgenommen. Protestierten in den letzten
Jahrzehnten vor allem buddhistische Nonnen und Mönche gegen
Chinas Herrschaft, so wird der Protest seit März 2008
mitgetragen von Schülern, Studenten, Bauern und Nomaden.
Denn vielen Tibetern wird bewusst, dass ihrer Kultur und
Identität der Untergang droht, wenn der Assimilationsdruck
weiter anhält. Dann könnte tibetische Kultur schon bald
nur noch in Museen anzutreffen sein und im Alltagsleben nur noch
folkloristisch für die wachsende Zahl von Touristen
präsentiert werden. Auch fünf Jahrzehnte nach dem
Volksaufstand hat Chinas Führung nichts gelernt aus dem
Volksaufstand der Tibeter.
Ohne jeden Respekt für die Kultur , Gesellschaft und
Religion der Tibeter setzt Peking nur auf Kontrolle und auf
Machtsicherung um jeden Preis. Die atheistische chinesische
Führung mischt sich immer selbstbewusster in die inneren
Angelegenheiten des tibetischen Buddhismus ein. Systematisch
unterdrückt sie jede freie Religionsausübung,
unterwirft Nonnen und Mönche der Gehirnwäsche und
zwingt sie, sich schriftlich von ihrem religiösen Oberhaupt
zu distanzieren. Bilder und Statuen des Dalai Lama lässt sie
mutwillig zerstören, Nonnen und Mönche aus den
Klöstern werfen. Mit immer perfideren religiösen
Bestimmungen versuchen Chinas kommunistische Funktionäre den
tibetischen Buddhismus gleichzuschalten. Derweil leeren sich die
Klöster, weil die Insassen entweder als politische Gefangene
langjährige Haftstrafen verbüßen müssen oder
im Ausland Zuflucht suchten. Das Schicksal des von
Sicherheitskräften vor 14 Jahren entführten Panchen
Lama, des zweithöchsten Würdenträgers des
tibetischen Buddhismus, ist bis heute ungeklärt.
Systematisch versuchen Chinas ReligionsFunktionäre mit immer
neuen Verordnungen, die Nachfolge des Dalai Lama in ihrem Sinne
zu beeinflussen. Die Einmischung Pekings geht so weit, dass der
Dalai Lama erwägt, mit einer Jahrhunderte alten Tradition zu
brechen, und seinen Nachfolger selbst zu bestimmen.
Chinas staatlich kontrollierte Medien preisen den Wirtschaftsboom
und das "wundervolle Leben" der Tibeter . Doch von der
prosperierenden Wirtschaft profitieren vor allem die chinesischen
Zuwanderer. Arbeitsstellen werden vor allem am Han-Chinesen und
muslimische Hui vergeben. Nicht nur mangelnde Ausbildung, sondern
auch Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe sowie die
systematische Zerstörung ihrer traditionellen
Wirtschaftsweise führen dazu, dass Tibeter zusehends
verarmen. Chinas Wirtschaftsprogramme fördern vor allem den
Ausbau der Infrastruktur und den Abbau von Bodenschätzen,
die von der chinesischen Industrie begehrt sind. Gefördert
wird die Sinisierung Tibets durch den Bau immer neuer
Eisenbahnlinien, entlang derer sich hunderttausende Zuwanderer
und Industriebetriebe ansiedeln. So verliert Tibet immer mehr
sein typisches Gesicht und wird zu einer beliebigen chinesischen
Provinz.
Nur eine tatsächliche Autonomie, in der die Tibeter
weitgehende Entscheidungsbefugnisse in Sprache, Kultur, Bildung,
Religion, Migration und Entwicklung der Wirtschaft hätten,
könnte dem Ausverkauf Tibets Einhalt gebieten. Doch bislang
ist Chinas Führung nicht dazu bereit, einer wahren Autonomie
der Tibeter zuzustimmen. Acht Gesprächsrunden zwischen
Vertretern des Dalai Lama und der chinesischen Führung seit
dem Jahr 2002 blieben ergebnislos. Denn Chinas Führung ist
nicht wirklich zu Gesprächen und Kompromissen bereit,
sondern besteht auf einer absoluten Kontrolle Tibets. Wenn es der
internationalen Staatengemeinschaft nicht gelingt, Peking zu
einem glaubwürdigen und Ziel führenden Dialog mit dem
Dalai Lama zu drängen, drohen Tibet schwere Zeiten. Denn die
Proteste gegen die chinesische Willkürherrschaft werden
nicht abreißen, so dass der Tibet-Konflikt schon bald auch
die gesamte Volksrepublik China destabilisieren könnte.
Der Dalai Lama.
Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte
Völker [ oben ]
50 Jahre nach dem Volksaufstand in Tibet ist die Tibet-Frage noch
immer ungelöst. 140 Demonstrationen und 5.700 Verhaftete
seit März 2008 sind ein deutliches Zeichen dafür, dass
akuter Handlungsbedarf besteht, um eine weitere Eskalation des
Konflikts zu verhindern. Engagement für Tibet zu zeigen ist
nicht eine Frage der romantischen Verklärung Tibets durch
realitätsfremde "Gutmenschen", sondern
Konfliktprävention. Denn eine Verschärfung des
TibetKonflikts würde auch die Stabilität der
Volksrepublik China und damit auch die Weltwirtschaft
gefährden.
- Die Europäische Union (EU) sollte sich engagierter
dafür einsetzen, dass Chinas Führung endlich einen
glaubwürdigen und Ziel führenden Dialog mit dem Dalai
Lama über eine friedliche und dauerhafte Lösung des
Tibet-Konflikts beginnt. Bislang führt China zwar
Gespräche mit Vertretern des Dalai Lama, um den Anschein
eines Dialogs zu erwecken, zeigt aber keine Verhandlungs- und
Kompromissbereitschaft.
- China sollte gedrängt werden, eine unabhängige und
umfassende Untersuchung der seit März 2008 ausgebrochenen
Unruhen zu gestatten.
- China sollte aufgefordert werden, alle im Zusammenhang mit den
Unruhen verhafteten Tibeterinnen und Tibeter unverzüglich
freizulassen.
- Die Volksrepublik sollte unverzüglich den Zuzug neuer
Migranten nach Tibet stoppen, um eine weitere Zunahme
inter-ethnischer Spannungen zu verhindern.
- Die EU sollte eine angesehene und bekannte Persönlichkeit
als Tibet-Koordinator ernennen, um die Koordination der Tibet-
und China-Politik in Europa zu verbessern.
- Die EU-Staaten sollten in ihren Botschaften in Peking eine
spezielle Tibet-Abteilung einrichten, um mehr Informationen
über die Lage in Tibet zu recherchieren und um die
gemeinsamen Aktivitäten besser abzustimmen.
Freiheit und Menschenrechte für Tibeter
[ oben ]
50 Jahre nach der Flucht des Dalai Lama aus seiner Heimat ist die
Zukunft Tibets ungewiss. Chinas Führung ist nicht zu
glaubwürdigen Verhandlungen mit dem religiösen und
weltlichen Oberhaupt der Tibeter bereit und will von einer
tatsächlichen Autonomie der Region nichts wissen.
Stattdessen verklären Pekings Propagandisten die Lage in
Tibet in bizarrer Weise. Die "demokratische Reform" unter Leitung
der Kommunistischen Partei Chinas habe seit 1959 das "Schicksal
des tibetischen Volkes tief verändert", erklärte das
Pressebüro des chinesischen Staatsrates in seinem am 2.
März 2009 veröffentlichten Weißbuch "50 Jahre
demokratische Reform in Tibet"(China Economic Net,
3.2.2009).
Auch der Vorsitzende der tibetischen Regionalregierung Qiangba
Puncog bekräftigte, dass alle Menschen in Tibet von der
Entwicklung der Region profitierten (Xinhua, 9.4.2008). Das
Bruttoinlandsprodukt in der Region sei in den vergangenen sieben
Jahren jährlich um zwölf Prozent gewachsen,
schwärmt Chinas Statthalter in Lhasa. Während der
Funktionär der Kommunistischen Partei im April 2008 das
"wundervolle Leben" der Tibeter preist, protestieren Tausende
seiner Landsleute in allen großen Städten ihres
Siedlungsgebietes gegen die chinesische Herrschaft (Der Spiegel,
9.4.2008). Seither hat die Verfolgung der Tibeter noch weiter
zugenommen, tibetische Exilorganisationen sprechen bereits von
einem "schwarzen Jahr 2009", weil in den letzten zwei Jahrzehnten
noch nie so viele Tibeterinnen und Tibeter aus politischen
Gründen in Haft gewesen sind. Tibet steht 50 Jahre nach dem
Volksaufstand in Lhasa an einem Scheideweg.
Die gezielte Zerstörung der tibetischen Sprache, Kultur und
Religion hat ein Ausmaß erreicht, dass man von einem
Ethnozid (kulturellen Genozid) sprechen muss. Zugleich droht der
bislang friedliche Widerstand der Tibeter umzuschlagen in ein
radikaleres Aufbäumen gegen Chinas Unrechtsherrschaft. Denn
Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit machen sich vor allem
unter jüngeren Tibetern breit. Angesichts der
fortschreitenden Sinisierung Tibets und der mangelnden
Gesprächsbereitschaft Pekings glauben sie kaum mehr daran,
dass die Tibet-Frage bald friedlich gelöst wird.
Enttäuscht sind die Tibeter auch über das mangelnde
Engagement der internationalen Gemeinschaft für
Menschenrechte und die Freiheit Tibets. Zeigen doch die seit
März 2008 andauernden öffentlichen Proteste, dass die
Tibet-Frage noch immer ungelöst ist. Fünf Jahrzehnte
nach der Flucht des Dalai Lama muss die internationale
Gemeinschaft nun endlich konsequenter für Freiheit und
grundlegende Menschenrechte der Tibeter eintreten.
Der Dalai Lama.
Der Volksaufstand am 10. März 1959
[ oben ]
Chinas Kommunistische Partei erhob nach ihrer Machtübernahme
im Jahr 1949 auch den Anspruch, ihre Kontrolle über Tibet zu
festigen und die Region von "imperialistischen Kräften" und
dem "Feudalregime zu befreien". Bis Oktober 1950 rückte die
Volksbefreiungsarmee in tibetische Siedlungsgebiete in der
Provinz Kham ein und verhaftete den tibetischen Gouverneur
Ngawang Jigme Ngabo. Auch in der Provinz Amdo weiteten die
chinesischen Militärs ihre Kontrolle immer weiter aus. Dabei
vermieden sie offene bewaffnete Auseinandersetzungen mit der
tibetischen Armee, um die internationale Öffentlichkeit
nicht auf die völkerrechtswidrige Besetzung aufmerksam zu
machen. Angesichts des Vormarsches der Volksbefreiungsarmee zogen
sich der damals 15 Jahre alte Dalai Lama und die bedeutendsten
tibetischen Regierungsvertreter nach Yatung in der Nähe der
indischen Grenze zurück, um von dort aus die
Regierungsgeschäfte fortzuführen.
Im Juli 1951 überredeten chinesische Abgesandte den Dalai
Lama, in die tibetische Hauptstadt Lhasa zurückzukehren. Nur
zwei Monate später rückten 3.000 chinesische Soldaten
nach Lhasa ein. 1954 waren bereits 220.000 chinesische Soldaten
in Tibet. Es herrschte eine Hungersnot, da die
landwirtschaftliche Produktion den vielen Veränderungen und
dem Zuzug so vieler Menschen nicht gewachsen war. Der Widerstand
der Tibeter gegen die chinesische Besetzung wuchs. Erste
bewaffnete Aufstände brachen 1956 in den Provinzen Kham und
Amdo aus, so dass weitere chinesische Truppen in diese
Unruhegebiete verlegt wurden. Klöster wurden bombardiert und
geplündert, führende Mönche wurden festgenommen,
öffentlich gefoltert und hingerichtet. Doch die Repression
schürte nur den Widerstand der Tibeter . Bürgergruppen
organisierten gewaltfreie Proteste gegen die Besatzungsmacht.
Schließlich wurden bis zu 30.000 chinesische Soldaten nach
Lhasa verlegt, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken. In
verschiedenen Regionen Tibets brachen Kämpfe zwischen
chinesischen Truppen und Tibetern aus. Rund 10.000
Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten suchten in den
Außenbezirken der Hauptstadt Zuflucht. Schließlich
drohten führende chinesische Militärs im Dezember 1958
mit der Bombardierung Lhasas und des Potala-Palastes. Auch in der
Umgebung der tibetischen Hauptstadt kam es zu Kämpfen
zwischen tibetischen Freiheitskämpfern und chinesischen
Soldaten. Die Angst der Tibeter um die Sicherheit des Dalai Lama
nahm zu. Als er Anfang März 1959 mehrfach von chinesischen
Offizieren zum Besuch des chinesischen Hauptquartiers ohne seine
Leibwache gedrängt wurde, schöpften viele Tibeter
Verdacht.
Daher umstellten 30.000 Tibeter zum vorgesehenen Zeitpunkt des
Besuches am 10. März den Norbulingka-Palast, um ihr
Oberhaupt vor Übergriffen chinesischer Soldaten zu
schützen. Der Dalai Lama verließ daraufhin nicht den
Palast und sagte seinen Besuch in dem chinesischen
Militärlager ab. Am 12. März 1959 protestierten 5.000
Frauen in den Straßen Lhasas mit Spruchbändern "Tibet
den Tibetern" gegen die chinesische Besatzungsmacht.
Demonstranten errichteten erste Straßenbarrikaden, die
chinesischen Truppen verstärkten ihre Bewaffnung. Bis zu
50.000 chinesische Soldaten und schwere Artillerie wurden in die
Umgebung Lhasas verlegt, nachdem die Spannungen in der Stadt
immer mehr zunahmen. Am 17. März feuerten sie zwei
Mörsergranaten auf den Norbulingka-Palast ab, die
schließlich den Dalai Lama zur Flucht bewegten. Verkleidet
als chinesischer Soldat wagte er sich durch die chinesischen
Linien. Nach 14 Tagen erreichte er das indische Exil. In Lhasa
eskalierte währenddessen die Gewalt.
Am 19. März lieferten sich Tibeter Kämpfe mit
chinesischen Soldaten. Die Besatzungsstreitkräfte schossen
am 21. März 800 Granaten auf den Norbulingka-Palast ab.
Dabei wurden tausende Frauen, Männer und Kinder
getötet, die an der Palastmauer gezeltet hatten. 200
Angehörige der Leibwache des Dalai Lama wurden von
chinesischen Soldaten entwaffnet und standrechtlich erschossen.
Auch gerieten alle bedeutenderen Klöster in Lhasa unter
Feuer der chinesischen Truppen. Die zwei Klöster Sera und
Drepung wurden dabei zerstört. Tausende Mönche wurden
bei den Angriffen getötet oder verschleppt, um Zwangsarbeit
zu leisten. Die Kämpfe dauerten nur wenige Tage, da der
tibetische Widerstand den chinesischen Truppen
zahlenmäßig stark unterlegen und schlecht
ausgerüstet war. Chinesische Soldaten durchkämmten alle
Straßen und Häuser, beschlagnahmten Waffen und
erschossen die Bewohner. Insgesamt fielen dem Terror chinesischer
Soldaten in Zentraltibet 86.000 Menschen zum Opfer.
Das Vermächtnis des Volksaufstands
[ oben ]
Die friedliche Erhebung gegen die Besatzungsmacht 1959 hat bis
heute eine enorme Bedeutung für die Tibeter. Das
Aufbäumen der Bevölkerung gegen Chinas Politik war ein
deutliches Zeichen für den Freiheitswillen der Tibeter und
für ihre Bemühungen um die Wahrung ihres
Selbstbestimmungsrechts. Zugleich macht er deutlich, dass die von
Peking so genannte "Befreiung" durch die Volksbefreiungsarmee von
den Menschen als Joch empfunden wurde. Zum Gedenken an die Opfer
des Aufstands organisieren Exil-Tibeter jedes Jahr in Dutzenden
Staaten Demonstrationen und Mahnwachen.
Mit seiner umstrittenen Entscheidung, am 28. März 2009
offiziell der "Befreiung der Tibeter von der Leibeigenschaft" zu
gedenken, verhöhnt der regionale Volkskongress der
"Autonomen Region Tibet (TAR)" die Opfer des Volksaufstands und
verletzt die Gefühle der Überlebenden der brutalen
Repression. Auch der 28. März 1959 ist ein geschichtlich
bedeutendes Datum für die Tibeter: An diesem Tag enthob der
chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai die tibetische
Regionalregierung ihres Amtes und löste sie auf. Die
Ausrufung des Gedenktages ist für die Tibeter eine
verantwortungslose und zynische Provokation, die neue Gewalt in
der Unruheregion schürt.
Die Entscheidung des Volkskongresses wirft aber auch ein
schlechtes Licht auf die Gesprächsbereitschaft von Chinas
Führung. Wer sich ernsthaft um einen Dialog mit den Tibetern
bemüht, würde sie nicht so offensichtlich
brüskieren. Insofern macht die Führung der
Volksrepublik mit dieser Initiative des Volkskongresses auch
deutlich, dass sie kein Interesse an einem Ziel führenden
und glaubwürdigen Dialog mit der Exilregierung des Dalai
Lama hat. Chinas Regierung will an dem Feiertag der Abschaffung
von "Feudalherrschaft und Sklaverei" in Tibet gedenken. Kenner
Tibets leugnen nicht, dass es Missstände und
Feudalherrschaft im alten Tibet gegeben hat. Es gibt keinen
Grund, Tibets Geschichte zu verklären. Doch auch in Tibet
gab es eine Reformbewegung und nach der chinesischen Besetzung
haben die Tibeter im Exil zahlreiche demokratische Reformen
erfolgreich vorangetrieben. Der Vorwurf der Sklaverei ist
hingegen unhaltbar , da kein zeitgenössischer Reisender
über Sklaverei in Tibet berichtet hat.
Friedliche Demonstrationen im tibetischen Siedlungsgebiet 2008.
Anhaltende Proteste gegen Chinas
Tibet-Politik [ oben ]
Seit dem 10. März 2008 wurden mehr als 140 Demonstrationen
in mehr als 60 Bezirken des tibetischen Siedlungsgebiets in der
Volksrepublik China registriert. Vergleichbar große
Proteste hatte es in den Jahren 1987 und 1989 gegeben. Ihnen
waren damals dutzende Tibeter zum Opfer gefallen.
Mindestens zwei Drittel der Proteste in den Jahren 2008/2009
ereigneten sich außerhalb der "Autonomen Region Tibet
(TAR)" in tibetischen Siedlungsgebieten in den Provinzen Sichuan,
Gansu und Qinghai. Im Vorfeld der Olympischen Spiele waren in der
TAR die Sicherheitsvorkehrungen bereits vor dem Jahrestag des
Volksaufstands deutlich verschärft worden, um eventuelle
Proteste im Keime zu ersticken. Offensichtlich hatten chinesische
Sicherheitsbehörden nicht mit der schnellen Ausbreitung der
Proteste auch in anderen tibetischen Siedlungsgebieten gerechnet.
Moderne Medien, wie Mobiltelefone und Internet, trugen
maßgeblich dazu bei, dass sich Nachrichten über die
Demonstrationen schnell nicht nur im Westen Chinas verbreiteten,
sondern Fotos der Proteste auch internationale Medien im Ausland
erreichten. Für die große Bedeutung der Mobiltelefone
bei der Ausbreitung der Proteste spricht auch die Tatsache, dass
im Westen der TAR, wo es noch kein Mobilfunknetz gibt, nur wenig
demonstriert wurde. Auch ist diese Region nur relativ dünn
besiedelt. Mit allen Mitteln haben die chinesischen Behörden
versucht, die Weitergabe von Informationen über
Demonstrationen über das Mobilfunknetz zu unterbinden. So
wurden Tibeterinnen und Tibeter verhört und misshandelt, die
mit im Ausland lebenden Familienangehörigen telefoniert
hatten.
Wurden spontane Demonstrationen in den 80er- und 90er-Jahren vor
allem von buddhistischen Nonnen und Mönchen getragen, so
protestieren nun weite Bevölkerungsschichten: Nomaden,
Bauern, Arbeiter, Schüler , Studenten und Intellektuelle.
Auffallend ist auch, dass in den Regionen, in denen nun am
meisten protestiert wurde, führende buddhistische Lamas
nicht mehr mäßigend wirken konnten, da sie angesichts
wachsenden chinesischen Drucks in den letzten Jahren im Ausland
Zuflucht gesucht hatten. So erweist sich Chinas harsche
Religionspolitik in diesen alten tibetischen Siedlungsgebieten
nun als Bumerang.
Die meisten Proteste blieben friedlich. Nur in Lhasa kam es am
14. März 2008 zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen
Han-Chinesen und ihre Geschäfte. Chinas staatliche Medien
nutzten diese Bilder der Gewalt, um die Protestbewegung pauschal
als gewalttätig zu diffamieren. Die Unruhen in Lhasa waren
aber auch in anderer Hinsicht außergewöhnlich.
Während sich der Zorn der Tibeter in den anderen
Städten und Regionen vor allem gegen Einrichtungen des
Staates und der Kommunistischen Partei richtete, protestierten
die Menschen in der tibetischen Hauptstadt auch gegen
Han-Chinesen. Keine andere Stadt in der TAR ist so sehr wie Lhasa
vom massiven Zuzug von Han-Chinesen betroffen.
Proteste dauern auch im Jahr 2009 an [ oben ]
Ungeachtet verstärkter Sicherheitsvorkehrungen und der
Entsendung von mehr Sicherheitskräften in die tibetischen
Siedlungsgebiete kam es nach dem März/April 2008 immer
wieder zu Protesten. Auch im Jahr 2009 wurden erneut Proteste
bekannt. So wurde am 5. Januar 2009 der 32 Jahre alte Ngawang
Sonam in Kardze festgenommen, als er vor dem
Polizeipräsidium für die Unabhängigkeit Tibets
demonstrierte und mehrere tausend Flugblätter und
Gebetsfähnchen in die Luft warf (Radio Free Asia,
10.1.2009). Polizisten schlugen den Vater von zwei Kindern
schließlich nieder, betäubten ihn und transportierten
ihn ab. Er war bereits im Jahr 2000 nach einem ähnlichen
Protest verhaftet worden.
Nur wenige Tage zuvor, am 29. Dezember 2008, war die Tibeterin
Kunchok Dolma am gleichen Ort festgenommen worden, weil sie
für den Dalai Lama und die Unabhängigkeit Tibets
demonstriert hatte. Polizisten und Soldaten sollen bei ihrer
Festnahme Schüsse abgegeben haben, berichten Augenzeugen
(Radio Free Asia, 9.1.2009). Noch während ihrer Festnahme
warf die 29-Jährige Flugblätter in die Luft und rief
Slogans, in denen sie dem Dalai Lama ein langes Leben
wünschte.
Fünf buddhistische Mönche wurden am 27. Januar 2009 in
dem Bezirk Dege der Ganzi Tibetischen Autonomen Präfektur in
der Provinz Sichuan verhaftet, weil sie in der Nähe ihres
Klosters für die Unabhängigkeit Tibets demonstrierten
(Washington Post, 19.2.2009). In der Stadt Lithang in der Provinz
Sichuan wurde am 15. Februar 2009 der Mönch Lobsang Lhundup
festgenommen. Der 38 Jahre alte Mann protestierte mit einem Foto
des Dalai Lama in der Hand für eine Rückkehr des
religiösen Führers. Während die meisten Proteste
nur wenige Minuten dauern, weil Sicherheitskräfte sofort
intervenieren, blieb Lobsang Lhundup zwanzig Minuten lang
unbehelligt, weil sich die chinesischen Sicherheitskräfte in
der Mittagspause befanden. Dutzende Tibeter forderten am
nächsten Tag mit einem zweistündigen Protestzug die
Freilassung des Inhaftierten. Bewaffnete Bereitschaftspolizei
löste die Demonstration schließlich mit Gewalt auf und
nahm mindestens 24 Tibeter fest, berichteten Augenzeugen der in
Dharamsala (Indien) ansässigen Menschenrechtsorganisation
"Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie
(TCHRD)" (Phayul / TCHRD, 17.2.2009 / Associated Press,
19.2.2009).
Viele der Verhafteten wurden durch Schläge verletzt und
bluteten, als sie mit Militärfahrzeugen in Gewahrsam
gebracht wurden. Die meisten Verhafteten sind ehemalige Nomaden.
Während der folgenden Nacht durchsuchten
Sicherheitskräfte zahlreiche Häuser. Auch ordneten die
Behörden die Schließung von Geschäften und Hotels
während der folgenden drei Tage an (International Herald
Tribune, 19.2.2009). Ein Geschäftsmann berichtete, mehr als
tausend Bereitschaftspolizisten und Soldaten seien in der Stadt
zusammengezogen worden (Washington Post, 19.2.2009).
Weitere Sicherheitskräfte würden in der Stadt noch
erwartet. Für Touristen soll Lithang bis Ende März
gesperrt sein. Französische Fernsehjournalisten, die die
Stadt vor der Demonstration Anfang Februar 2009 ohne
behördliche Genehmigung insgeheim besucht hatten,
berichteten über zahlreiche Straßensperren und eine
hohe Präsenz der Sicherheitskräfte. Außerhalb
Lithangs lebende Nomaden wurden in den Tagen nach der Festnahme
der Demonstranten von Sicherheitskräften am Betreten der
Stadt gehindert. Führende Mönche buddhistischer
Klöster von Lithang wurden von den Behörden zu einem
Treffen am 18. Februar einbestellt, auf dem ihnen
unmissverständlich deutlich gemacht wurde, dass jeder
Protest gegen die Regierungspolitik schwerwiegende Folgen nach
sich ziehen würde (Phayul, 20.2.2009). In der Provinz Gansu
wurde im Februar 2009 Ausländern der Besuch der Stadt Xiahe
untersagt. Dort befindet sich das Labrang Kloster, von dem 2008
zahlreiche Proteste ausgegangen waren (International Herald
Tribune, 19.2.2009).
In zahlreichen tibetischen Siedlungsgebieten, in denen 2008
besonders viele Tibeter demonstriert hatten, wurde von den
Behörden eine verstärkte Überwachung durch
Patrouillen angeordnet, die die Bevölkerung 24 Stunden am
Tag kontrollieren sollen (The Times, 21.2.2009). Auch bei
mehreren bedeutenden buddhistischen Tempeln in Lhasa wurden im
Januar 2009 zusätzliche Polizeiposten eingerichtet,
berichtet die regimekritische tibetische Schriftstellerin Woeser
. Pilgern aus tibetischen Siedlungsgebieten in den Provinzen
Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan werde nicht mehr gestattet, in
die tibetische Hauptstadt zu reisen. Gleiches gelte für
Tibeter , die aus beruflichen Gründen Lhasa aufsuchen
wollten (Al Dschazira, 10.1.2009).
Angesichts der massiven Sicherheitsvorkehrungen sprach die
tibetische Exilregierung von einem "unerklärten
Ausnahmezustand" (Reuters, 21.2.2009). Nachdrücklich
forderte sie die chinesischen Behörden auf, die
Bewegungsfreiheit der Tibeter nicht länger
einzuschränken. Der Dalai Lama appellierte an die tibetische
Bevölkerung, sich von dem massiven Druck der
Sicherheitskräfte nicht provozieren zu lassen, da die
Behörden jeden Protest nur wieder mit unvorstellbarer Gewalt
niederschlagen würden (Reuters, 24.2.2009).
Staatliche chinesische Stellen wie auch die regierungsnahe
"Buddhistische Vereinigung Tibets" forderten die Bevölkerung
auf, nicht an "verbotenen Demonstrationen" teilzunehmen (The
Times, 19.2.2009). Lobsang Gyaincain, ein führender
Vertreter der Kommunistischen Partei in Tibet, appellierte in
einem am 19. Februar 2009 in der offiziellen Tageszeitung "Tibet
Daily" veröffentlichten Artikel an die Nonnen und
Mönche, sich von allen politischen Aktivitäten
fernzuhalten. Die Kommunistische Partei in Tibet rief bei einem
Sondertreffen Partei, Regierung, Soldaten, Polizisten und die
Öffentlichkeit dazu auf, Separatismus und Feinde der
Stabilität mit allen Mitteln zu bekämpfen (AFP ,
19.2.2009). Der stellvertretende Bürgermeister von Lhasa,
Cao Bianjing, schloss neue Proteste nicht aus und machte
dafür gegenüber ausländischen Journalisten den
Dalai Lama verantwortlich (Reuters, 10.2.2009).
Touristen gelten als unerwünschte
Augenzeugen [ oben ]
Um unerwünschte Augenzeugen fernzuhalten, wird auch der
Tourismus von den Behörden eingeschränkt. Auf Tibet
spezialisierte Reisebüros wurden am 18.Februar 2009 von
chinesischen Behörden angewiesen, bis auf weiteres alle
Reisen in die TAR sowie in angrenzende tibetische
Siedlungsgebiete abzusagen (Telegraph, 18.2.2009). Vier
offizielle Reisebüros in China und Tourismus-Mitarbeiter in
Lhasa bestätigten das Reiseverbot, das von einer Sprecherin
des chinesischen Außenministeriums jedoch dementiert wurde
(AFP , 26.2.2009). Tibets Tourismus-Industrie hatte gehofft, 2009
drei Millionen Urlauber beherbergen zu können. Hatten 2007
noch vier Millionen Touristen die TAR besucht, so fiel aufgrund
der Reisebeschränkungen und der Unruhen ihre Zahl im Jahr
2008 auf nur noch 2,2 Millionen Menschen. In der ersten
Jahreshälfte 2008 waren die Einnahmen aus dem Tourismus nach
offiziellen Angaben um 72 Prozent rückläufig (China
Daily, 5.1.2009).
Angesichts der hohen Zahl der Opfer und der Verhafteten bei den
Unruhen im Jahr 2008 sowie in Anbetracht der anhaltenden
Verfolgung rief die tibetische Exilregierung im Februar 2009 dazu
auf, zum Beginn des traditionellen tibetischen Neujahrs am 25.
Februar keine Feiern abzuhalten. Traditionelle Feuerwerke,
Tanzveranstaltungen und andere Feierlichkeiten sollten abgesagt
werden, und tibetische Würdenträger sollten auch nicht
an entsprechenden Veranstaltungen teilnehmen, empfahl die
Exilregierung (Phayul, 7.2.2009). Um den Anschein von
Normalität zu erwecken und um dem Boykottaufruf zu begegnen,
hatten lokale Beamte Tibetern Geld im Wert von hunderten
US-Dollars ausgehändigt, um Feuerwerkskörper für
das Neujahrsfest zu kaufen. Doch in den meisten tibetischen
Städten kam keine Feierstimmung auf. Stattdessen gedachten
viele Tibeter in aller Stille der Opfer der Unruhen. Vergeblich
hatten die chinesischen Behörden mit der Verleihung von
Preisen an 36 Mönche und zehn Klöster für
"vorbildliches patriotisches Engagement" versucht, in den
Klöstern eine positive Stimmung zu erzeugen (Phayul,
19.2.2009). Mehr als 100 Mönche aus dem Kloster Mutsang
(Tsolho Autonome Tibetische Präfektur, Provinz Qinghai)
haben in der Stadt Mangra am 25. Februar 2009, dem ersten Tag des
15 Tage dauernden tibetischen Neujahrsfestes, mit einem
friedlichen Fackelzug gegen die chinesische Politik in Tibet
protestiert (Phayul, 27.2.2009). Die Sicherheitsbehörden
forderten die Mönche ultimativ auf, die Demonstration
aufzulösen und sich zu ergeben. Das Kloster wurde hermetisch
von der Außenwelt abgeriegelt.
Der tibetische Mönch Tabey aus dem Kloster Kirti Trunkhor
(Bezirk Ngaba) übergoss sich am 27. Februar 2009 aus Protest
gegen die chinesische Politik mit Benzin und versuchte sich
selbst zu verbrennen. In den Händen hielt er ein Foto des
Dalai Lama, als er das Benzin in Brand setzte. So wollte Tabey
vermutlich gegen die behördliche Beschränkung eines
traditionell alljährlich in seinem Kloster stattfindenden
Gebetsfestes protestieren (Phayul, 27.2.2009). Es ist nicht
bekannt, ob der Mönch den Selbstmordversuch überlebt
hat.
Willkürliche Verhaftungen [ oben ]
Anlässlich des tibetischen Neujahrsfestes zog die tibetische
Exilregierung in einem am 7. Februar 2009 veröffentlichten
Report noch einmal eine Bilanz der tragischen Ereignisse des
Jahres 2008. Bei der blutigen Niederschlagung der am 10.
März 2008 ausgebrochenen Unruhen seien 219 Tibeter
getötet und 1294 verletzt worden, wird in dem Bericht
festgestellt (Phayul, 7.2.2009). Rund 5.600 Menschen seien noch
immer in Haft und 1.000 Personen würden noch vermisst.
Offiziellen chinesischen Angaben zufolge sollen bei den Unruhen
nur 22 Menschen zu Tode gekommen sein.
Chinas Führung zweifelt nicht an der
Rechtmäßigkeit der gewaltsamen Niederschlagung der
Unruhen im Frühjahr 2008. "Wir unterstützen
uneingeschränkt die Partei und die Regierung in ihrer
Behandlung der destruktiven, zerstörerischen, gewaltsamen
und illegalen Zwischenfälle in Lhasa", erklärte am 3.
März 2009 Jia Qinglin, der Vorsitzende der "Politischen
Beratungskonferenz des Chinesischen Volkes"(Associated Press,
3.3.2009). Das Gremium erarbeitet regelmäßig
Gesetzesinitiativen für das chinesische Parlament, den
Nationalen Volkskongress. Bedenkt man, dass in den Jahren zuvor
nur das Schicksal von rund 140 Tibeterinnen und Tibetern bekannt
war, die als politische Gefangene in chinesischem Gewahrsam
festgehalten wurden, so hat sich die Menschenrechtslage
dramatisch verschlechtert. Innerhalb von einem Jahr ist die Zahl
der politischen Gefangenen um mehr als das Dreißigfache
gestiegen, die Zahl der Verschwundenen hat sich
verfünffacht.
Chinas staatliche Medien räumten am 9. April 2008 die
Verhaftung von fast 4.000 Tibeterinnen und Tibetern ein (Xinhua,
9.4.2008). In der TAR seien 953 Personen festgenommen worden, die
der Verwicklung in die Unruhen verdächtigt würden,
erklärte Qiangba Puncog, der Vorsitzende der Autonomen
Region Tibet (Reuters, 8.4.2008). Gegen 403 Personen sei
Haftbefehl erlassen worden und 93 weitere Personen würden
steckbrieflich gesucht, sagte der KP-Funktionär. Sein
Stellvertreter Palma Trily wird im Juni 2008 von der staatlichen
Nachrichtenagentur Xinhua mit den Worten zitiert, die meisten der
Verhafteten seien wieder freigelassen worden. Gegen 1.157
Tibeterinnen und Tibeter sei wegen minderer Delikte ermittelt
worden (BBC, 20.6.2008). Nur noch 116 Personen verblieben in Haft
und müssten sich vor Gericht verantworten. Wenige Tage vor
der Ankunft der Olympischen Flamme in Tibet sollte diese Aussage
offensichtlich die Tibeter beschwichtigen und den
ungestörten Verlauf des Fackellaufes sichern helfen.
Allein den Tibetern fehlte der Glaube an eine umfassende und
zügige Freilassung der meisten Festgenommenen. Zu viele
Menschen wurden und werden noch immer in ihren Familien und
Klöstern vermisst. Amnesty International beklagt das
"Verschwinden" von mehr als 1.000 Tibeterinnen und Tibetern (BBC,
18.6.2008). So war auch sechs Monate nach dem Ausbruch der
Unruhen das Schicksal von 80 Mönchen aus dem Kloster Drepung
am Stadtrand von Lhasa noch immer ungeklärt. Nur wenige
Fälle von Verschwundenen konnten bislang aufgeklärt
werden. Fast wöchentlich finden Gerichtsverhandlungen gegen
Tibeter statt, die der Beteiligung an den Unruhen beschuldigt
werden. Auch Parteikader werden nicht verschont. So wurde das
etwa 30 Jahre alte Parteimitglied Walza Norzin Wangmo zu
fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Nachrichten
über die Lage in Tibet über Internet und Telefon ins
Ausland gegeben hatte (Phayul, 19.11.2008).
Die chinesischen Behörden hatten im April 2008 eine "harte
und schnelle Bestrafung" der Beschuldigten angekündigt
(International Herald Tribune, 4.4.2008). Mehr als 200
Tibeterinnen und Tibeter wurden bis Ende Februar 2009 wegen
Beteiligung an den Unruhen zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und
lebenslänglich verurteilt.
Ende Dezember 2008 wurden 59 Tibeter verhaftet, weil sie
verbotene tibetische Lieder verbreitet hatten (New York Times,
26.12.2008). Ihnen wird vorgeworfen, ethnische Konflikte und
Unruhen zu schüren. Seit dem 4. Dezember 2008 hatten
Sicherheitsbeamte systematisch auf allen Märkten in Tibet
nach Compact Disks mit verbotenen "reaktionären Liedern"
gesucht. Weitere zwei Tibeter wurden im Januar 2009 festgenommen,
weil ihre Mobiltelefone Klingeltöne mit "reaktionärer
Musik" hatten (Associated Press, 28.1.2009 / npr,
26.1.2009).
Chinas Behörden haben im Januar 2009 nicht nur die
Überwachung buddhistischer Klöster weiter
verschärft, sondern auch angeordnet, dass Nonnen und
Mönchen religiöse Feiertage vor dem traditionellen
Kalendertermin feiern. So soll jeder öffentliche Protest
unterbunden werden. Mit der willkürlichen Verlegung
religiöser Feste verletzt China massiv die Religionsfreiheit
der Tibeter . Wer sich dagegen wendet, riskiert inhaftiert zu
werden. So ist der 27 Jahre alte Mönch Lobsang Kirti aus dem
Kloster Ngaba Kirti am 15. Januar 2009 in einem Copyshop
verhaftet worden.
Ihm wird vorgeworfen, illegal Plakate verbreitet zu haben, auf
denen dazu aufgerufen wird, die Anordnungen der chinesischen
Behörden zu ignorieren und religiöse Feste zu den
traditionell vorgesehenen Terminen zu feiern. Anfang Januar 2009
sind zwei weitere Mönche seines Klosters zu jeweils zwei
Jahren Haft verurteilt worden. Die Mönche Kunga und Dorjee
waren bereits im Mai 2008 festgenommen worden, weil sie die
Einmischung der chinesischen Behörden in Fragen des
buddhistischen Glaubens in Tibet kritisiert hatten. Ihrem Kloster
Kirti ist in den letzten Monaten mehrfach verboten worden, die
alljährlich stattfindende religiöse
Janggun-Choe-Chemno-Debatte abzuhalten. Dazu kamen in den
Vorjahren rund 4000 Mönche aus ganz Tibet in dem Kloster
zusammen. Ebenfalls im Januar 2009 wurde der 33 Jahre alte
Mönch Lobsang Choephel verurteilt. Er soll vier Jahre Haft
verbüßen. Er ist gefoltert worden und in schlechter
gesundheitlicher Verfassung, berichteten Angehörige nach
einem Besuch in seinem Gefängnis. Sein linkes Auge ist
aufgrund von Schlägen geschwollen.
Weitere sieben politische Gefangene wurden im Januar/Februar 2009
wegen ihrer Teilnahme an öffentlichen Protesten zu
mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. So müssen drei
Nonnen aus dem Kloster Yarteng (Lhamo (29), Yangzom (31), Poewang
(27)) zweieinhalb Jahre Haft verbüßen. Die 28 Jahre
alte Nonne Yankey aus dem Kloster Drakkar wurde zu einer
Gefängnisstrafe von 21 Monaten verurteilt. Der
32-jährige Ngawang Phuntsok und Lunglung Sonam müssen
für drei Jahre ins Gefängnis. Der 22 Jahre alte
Mönch Ngawang Lhundup aus dem Kloster Kardze ist zu vier
Jahren Haft verurteilt worden.
Repression hält 2009 weiter an [ oben ]
Jeden Monat werden weitere Tibeterinnen und Tibeter in Haft
genommen, denen regierungskritische Aktivitäten vorgeworfen
werden. So wurden mehrere Dutzend Tibeter Anfang Februar 2009
festgenommen, weil sie die Bevölkerung aufgefordert hatten,
nicht an Feierlichkeiten zum Beginn des Tibetischen Neujahrs am
25. Februar teilzunehmen (Phayul, 4.2.2009). Stattdessen sollten
die Tibeter drei Tage lang um die Opfer der Unruhen trauern,
empfahlen die Kritiker der Pekinger Tibet-Politik. China ordnete
daraufhin für seine Regierungsangestellten für die
fraglichen Tage eine absolute Präsenzpflicht in den
Behörden an und forderte seine Mitarbeiter auf sicher zu
stellen, dass auch alle Familienangehörigen die offiziellen
Weisungen beachten und sich von jedem Protest fernhalten (Phayul,
4.2.2009). Jeder Verstoß gegen diese Anweisung werde streng
geahndet, kündigte die chinesische Verwaltung an.
Systematisch schürt China mit einer neuen "Schlag hart
zu"-Kampagne ein Klima der Furcht und Einschüchterung in
Tibet. Im Rahmen dieser am 18. Januar 2009 begonnenen Aktion zur
Bekämpfung der Kriminalität, die 42 Tage andauern soll,
wurden bis Ende Januar 2009 bereits 3.000 Wohnungen und mehr als
5.700 Personen überprüft (TCHRD, 23.1.2009). Die
"Schlag hart zu"-Kampagne wurde erstmals 1983 initiiert, um
Korruption und Verbrechen in der Volksrepublik zu bekämpfen.
Doch sowohl in Tibet als auch in Xinjiang/Ostturkestan wird die
Kampagne regelmäßig von den Behörden benutzt, um
Kritiker der chinesischen Herrschaft einzuschüchtern und
mundtot zu machen. Im Rahmen der neuen Kampagne im Januar 2009
wurden auch Tibeter aus politischen Gründen festgenommen.
Ihnen wird vorgeworfen, "reaktionäre" Texte und Lieder auf
ihren Handys gespeichert zu haben.
Trotz Verbot wird in der Haft gefoltert
[ oben ]
Obwohl das UN-Komitee gegen Folter der Volksrepublik empfohlen
hat "sicher zu stellen, dass alle Foltervorwürfe schnell,
umfassend, effektiv und von neutraler Seite untersucht werden",
gab es nach der Niederschlagung der Unruhen im Jahr 2008 erneut
Indizien für einen systematischen Einsatz von Folter . So
starb die 38 Jahre alte Tibeterin Nechung Ende März 2008,
nachdem sie während ihrer neuntägigen Haft gefoltert
worden war (TCHRD, 5.5.2008). Die Mutter von vier
minderjährigen Kindern war in einem kritischen
Gesundheitszustand am 26. März 2008 aus dem Gefängnis
entlassen worden und erlag ihren schweren Verletzungen am 17.
April 2008. Sie wurde von den Behörden beschuldigt, an
Protesten im Bezirk Ngapa (Provinz Sichuan) am 16./17. März
mitgewirkt zu haben.
Der 31 Jahre alte Bauer Dawa aus dem Bezirk Phenpo Lhundup (TAR)
wurde am 15. März 2008 während eines friedlichen
Protests in seinem Heimatbezirk festgenommen. Mehrfach wurde er
von seinen Gefängniswärtern gefoltert. Als sich sein
Gesundheitszustand verschlechterte, wurde er am 27. März aus
der Haft entlassen. Nach vier Tagen Krankenhaus-Aufenthalt starb
er am 1. April 2008. Seine Familie musste auf Anordnung der
Behörden 125 US-Dollars Schadensersatz für die
Zerstörung öffentlichen Eigentums und für die
Beeinträchtigung der Wirtschaft zahlen (TCHRD, Jahresbericht
2008, S. 24).
Fünf Wochen nach seiner Festnahme starb der ca. 45 Jahre
alte Paltsal Kyab aus der Provinz Sichuan an den Folgen der in
der Haft erlittenen Folter . Sein Leichnam habe zahlreiche
Blutergüsse aufgewiesen, berichteten Augenzeugen. Der 24
Jahre alte Maler Pema Tsepak (Chamdo, TAR) ist aufgrund von
Misshandlungen am 23. Januar 2009 in der Haft verstorben. Er
hatte am 20. Januar friedlich mit anderen jungen Demonstranten
die tibetische Fahne geschwenkt, als er mit vier anderen Tibetern
festgenommen wurde. Weitere fünf Personen starben
während des Jahres 2008 aufgrund von Folter: Die 45 Jahre
alte Jampa Lhamo aus Chamdo (TAR), Tenzin Norbu aus Lhasa (TAR),
Ngawang Tsering aus Markham (TAR) sowie Sonam Phuntsok und seine
Frau aus Lhasa (TAR).
Neben diesen neun Todesfällen gibt es zahlreiche Zeugnisse
von im Jahr 2008 Verhafteten, die glaubwürdig berichten,
gefoltert worden zu sein. So wurde die 27 Jahre alte Nonne
Tsering Tsomo aus dem Watak Kloster (Provinz Sichuan) bei ihrer
Festnahme am 8. Juni 2008 geschlagen und getreten. Der 30 Jahre
alte Mönch Lobsang Thabkhey aus dem Kloster Labrang (Provinz
Gansu) wurde am 1. April 2008 gemeinsam mit sechs Mönchen
verhaftet. Als er nach mehreren Tagen wieder freigelassen wurde,
war sein Körper von Blutergüssen gezeichnet und
psychisch wirkte der Mönch verwirrt. Die betagte Tibeterin
Ama Tsanglo wurde vom Parteisekretär der Stadt Getse (Bezirk
Drango) brutal geschlagen, als sie sich weigerte, auf einer
Versammlung am 26. März 2008 den Dalai Lama zu denunzieren.
Der 80 Jahre alte ehemalige Abt des Klosters Rong Gonchen
(Provinz Qinghai), Alak Khasutsang, erlitt schwere
Kopfverletzungen durch Schläge von Polizisten, als er am 17.
April 2008 in Rebkong zwischen tibetischen Demonstranten und
Polizisten vermitteln wollte (TCHRD, 18.4.2008).
Ein im März 2008 festgenommener Jugendlicher schildert in
einem bewegenden Bericht seine Begegnung mit Gefolterten in einem
Gefängnis in Lhasa. So erzählt er von einem 65 Jahre
alten Mann, dem zwei Rippen gebrochen worden waren und der sich
nicht mehr aufrecht halten konnte. Erschütternd ist auch
seine Erzählung von einem Geschwisterpaar . Die beiden
übernachteten in einem Raum, als Soldaten eindrangen und sie
aus einem höheren Stockwerk auf die Erde vor dem
Gebäude warfen. Der Bruder war sofort tot. Die Schwester
starb nicht, erlitt aber schwere Verletzungen. Bis heute kann sie
nicht mehr liegen. Die Behörden verboten ihr , über das
Schicksal ihres Bruders oder über ihre Verletzung zu
sprechen (TCHRD, 23.5.2008). Die häufigsten Foltermethoden
in Tibet sind Fußtritte, Schläge, Aufhängen an
den Armen, Fesselung in schmerzhaften Positionen,
Stromstöße, Isolationshaft und der Entzug von Schlaf
oder Nahrung. Das "UN-Komitee gegen Folter" hat am 21. November
2008 seine tiefe Besorgnis über die zahlreichen Berichte
über Folter in Tibet ausgedrückt und die chinesische
Regierung aufgefordert, innerhalb eines Jahres Antworten auf die
Vorwürfe vorzulegen. Mindestens 97 Tibeterinnen und Tibeter
sind seit Chinas Unterzeichnung der Anti-Folter- Konvention am
12. Dezember 1986 an den Folgen von Misshandlungen in Gewahrsam
gestorben. Die Konvention, die Folter streng untersagt und als
Verbrechen klassifiziert, wurde 4. Oktober 1988 von der
Volksrepublik ratifiziert. Auch nationale chinesische Gesetze,
wie das Strafgesetzbuch, verbieten den Einsatz von Folter, um
"Geständnisse" zu erpressen.
Unfaire Gerichtsverfahren [
oben ]
Obwohl die Volksrepublik China behauptet, keine "politischen
Gefangenen" in Gewahrsam zu halten, werden Tibeter strafrechtlich
für "Verbrechen" zur Rechenschaft gezogen, die ihr
Engagement für die tibetische Identität mit politischen
Begriffen bewerten. So werden sie als "Spalter" verfolgt, weil
sie angeblich die Einheit der Volksrepublik China gefährden.
Die "Arbeitsgruppe willkürliche Verhaftungen des
UN-Menschenrechtsrates" hat vor einem Missbrauch des Strafrechts
zu politischen Zwecken gewarnt. Chinesische
Strafrechtsbestimmungen wie die "Gefährdung der nationalen
Sicherheit und die Unterstützung separatistischer
Aktivitäten" seien so vage gefasst, dass ein Missbrauch
nicht auszuschließen sei, wenn die Anwendung dieser
Strafbestimmungen nicht ganz klar umschrieben sei.
Am 29. April 2008 erließ der Mittlere Volksgerichtshof in
Lhasa Urteile gegen 30 Tibeter, die der Beteiligung an den
Unruhen im März 2008 beschuldigt wurden. Die Angeklagten
wurden in unfairen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen zwischen drei
Jahren und lebenslänglich verurteilt. 21 Rechtsanwälte
aus der Volksrepublik China, die sich freiwillig gemeldet hatten,
um die Angeklagten zu vertreten, wurden abgewiesen und
eingeschüchtert. Explizit wurden sie von den Behörden
gewarnt, die Vertretung der Interessen der Tibeter zu
übernehmen. Einige der Anwälte wurden sogar polizeilich
überwacht, anderen wurde mit Bestrafung gedroht. Dem am
Gericht in Peking registrierten Anwalt Teng Biao wurde seine
alljährlich zu erneuernde Anwaltslizenz verweigert. In
Schnellverfahren, die für eine angemessene Vertretung ihrer
Interessen keinen Platz ließen, wurden die Angeklagten am
29. April verurteilt. In dem Verfahren wurden auch Bestimmungen
des chinesischen Strafprozessrechts verletzt. So erhielten die
Angeklagten nicht die Möglichkeit, einen Vertreter ihrer
Interessen für den Strafprozess zu nennen, wie es
gemäß Artikel 32 des Strafprozessrechts normalerweise
vorgesehen ist.
Auch Artikel 12 und 163 dieses Gesetzes wurden missachtet, da
ihre Anklage einer Vorverurteilung gleichkam und das Urteil nicht
öffentlich gesprochen wurde, sondern vor einer
handverlesenen Gruppe von Regierungsmitarbeitern. Dem gesamten
Gerichtsverfahren mangelte es an Transparenz. Acht Mönche
des Klosters Thangkya (Bezirk Gonjo, TAR) wurden am 23. September
2008 in einem Geheimverfahren zu Haftstrafen zwischen fünf
Jahren und lebenslänglich verurteilt. Die im April
verhafteten Tibeter wurden beschuldigt, am 23. März 2008
angeblich einen Bombenanschlag auf eine Einrichtung der
Behörden in der Stadt Kyabe verübt zu haben. Der
Vorwurf hatte weltweit Aufmerksamkeit erzeugt, weil buddhistische
Mönche selten solcher Gewaltverbrechen bezichtigt werden.
Alle Angeklagten hätten die ihnen zur Last gelegten
Verbrechen gestanden, berichtet eine chinesische Zeitung
(People's Daily, 14.4.2008).
Sowohl den Angehörigen der Angeklagten als auch ihren
Rechtsvertretern wurde jeder Zugang zum Gericht verweigert (Free
Tibet Campaign, 13.10.2008). Der Tibeter Ra-Tsedak wurde wegen
seiner Teilnahme an öffentlichen Protesten am 5. November
2008 vom Mittleren Volksgericht des Bezirks Ngaba (Provinz
Sichuan) zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Als er sich im
Prozess zu Wort meldete und an die hohe Zahl der tibetischen
Opfer bei der Niederschlagung der Unruhen erinnerte, wurde seine
Haftstrafe um zwei Jahre auf sechs Jahre erhöht (Tibetisches
Solidaritätskomitee, 11.11.2008).
Nach mehr als 18 Jahren Haft wurde im Oktober 2007 der politische
Gefangene Ngawang Phulchung freigelassen. Ihm war unter anderem
vorgeworfen worden, eine tibetische Übersetzung der
"Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" unter anderen
Mönchen verbreitet zu haben. Problematisch ist auch der Fall
eines tibetischen Lehrers, der ein noch unveröffentlichtes
Buchmanuskript "Die unruhigen Himalayas" geschrieben hatte. In
dem Text analysiert er politische, soziale, religiöse,
geographische und geschichtliche Hintergründe Tibets. Im
September 2005 wurde der Autor wegen "Gefährdung der
Staatssicherheit" zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Keine Religionsfreiheit für Tibets
Buddhisten [ oben ]
Schenkt man der chinesischen Regierung Glauben, so können
alle Tibeterinnen und Tibeter frei ihre Religion praktizieren.
Zum Beleg dieser Behauptung verweist Peking auf die Existenz von
17.000 Klöstern und Tempeln in Tibet, in denen 46.000 Nonnen
und Mönche ihre buddhistischen Glauben ausüben
(People's Daily, 22.4.2008).
Diese offiziellen Schätzungen beziehen sich nur auf die TAR.
Das staatliche "Chinesische Zentrum für Tibetische Studien"
geht davon aus, dass weitere 1.535 Klöster in tibetischen
Siedlungsgebieten außerhalb der TAR bestehen. Beobachter
schätzen, dass bis zu 60.000 buddhistische Nonnen und
Mönche in diesen Gebieten leben. Die Zahl der Nonnen und
Mönche werde nicht von staatlicher Seite begrenzt und jedes
Leitungskomitee eines Klosters könne frei darüber
entscheiden, wie viele Menschen die Einrichtung aufnehme,
behauptet die chinesische Regierung. In der Praxis ist die Zahl
der Mönche in den bedeutenderen Klöstern vor allem in
der TAR und in der Ganzi Tibetischen Autonomen Präfektur in
der Provinz Sichuan jedoch strikt von den Behörden
begrenzt.
Nachdem ein Kloster in der Präfektur Ganzi einem Mönch
Zuflucht gewährt hatte, der aus politischen Gründen aus
einem anderen Kloster ausgeschlossen worden war , beschloss die
Regionalverwaltung von Ganzi am 28. Juni 2008, zur Strafe die
Zahl der zugelassenen Mönche in der Einrichtung zu
reduzieren. Aufgrund der massiven Verfolgung seit März 2008
ist die Zahl der Mönche in vielen Klöstern deutlich
zurückgegangen. So leben im Kloster Drepung in Lhasa heute
nur noch 400 Mönche, vor mehr als einem Jahr waren dort noch
mehr als 600 registriert (International Herald Tribune,
19.2.2009). In seinen Blütezeiten in den 30er-Jahren des
vergangenen Jahrhunderts lebten dort 7.700 Mönche.
Auch verlieren die eindrucksvollen offiziellen chinesischen
Zahlen schnell an Glanz, wenn man sich den Alltag in Tibets
Klöstern anschaut, der von Zwang, Bevormundung,
Gleichschaltung und Einmischung in die inneren Angelegenheiten
des Buddhismus durch kommunistische Kader gekennzeichnet ist.
Zwar sind die Zeiten heute nicht so schlimm wie in den
60er-Jahren,als 80 Prozent der Klöster zerstört wurden.
Mehr als 6.000 Klöster und Gebetsstätten wurden damals
von Maos Schergen entweiht und zerstört. Schon vor Beginn
der Kulturrevolution (1966-1970) war das Zerstörungswerk
fast vollendet. Nach dem Tode Maos durften die Tibeter in den
80er-Jahren einige der zerstörten Klöster wieder
aufbauen. Auf "Tibet Arbeits-Foren", die im April 1980 und im
März 1984 in Peking stattfanden und breiten Raum zur
Diskussion der Tibet-Politik boten, wurden Reformen beschlossen.
Sie waren gekennzeichnet von einem pragmatischeren Umgang mit dem
tibetischen Buddhismus.
Seit 1987 nahmen die Proteste gegen die chinesische Herrschaft in
Tibet deutlich zu. Getragen wurde diese öffentliche Kritik
vor allem von Nonnen und Mönchen, die das Risiko eingingen,
für nur einige Minuten dauernde Proteste jahrelang
inhaftiert zu werden. Mit dem "Dritten Tibet Arbeits-Forum" im
Jahr 1994 endete die Zeit der Öffnung und Reform. Fortan
setzte China in Tibet auf Stabilität, Sicherheit und
wirtschaftliche Entwicklung. Für die Klöster, die von
Peking als Hort des tibetischen Widerstands angesehen wurden,
bedeutete dies mehr Kontrolle und Repression. Im November 1994
ordnete die Propaganda-Abteilung der Kommunistischen Partei an,
dass der Bau neuer Klöster und Tempel gestoppt werden
müsse.
Außerdem sollte die Zahl der Nonnen und Mönche strikt
begrenzt werden. Perfektioniert wurde dieses
Überwachungssystem mit der "Patriotischen Erziehung", die
erstmals im Jahr 1996 eingesetzt wurde, um die Klöster
wirksam zu kontrollieren und gleichzuschalten. Das Ziel der
Kampagne war aber vor allem, "den Einfluss der spalterischen
Kräfte des Dalai auszumerzen" (Tibet Daily, 5.4.1996). So
wurde im Rahmen dieser Kampagne auch ein allgemeines Verbot
erlassen, Fotos des Dalai Lama auszustellen. Zuvor war es nur
verboten gewesen, Fotos des religiösen Führers der
Tibeter in Verwaltungs- und Regierungsbüros zu zeigen. Auf
der Vierten Vollversammlung des Regionalen Komitees der
Kommunistischen Partei in Tibet warf Parteisekretär Chen
Kuiyan am 14. Mai 1996 der "Dalai Lama-Clique Sabotage und
Missbrauch der Religion zur Spaltung des Landes" vor Heute
herrscht in Tibets Klöstern ein Klima der Angst. Die massive
Einschränkung der Religionsfreiheit erfolgt sehr viel
subtiler als in den 60er-Jahren. Chinas Sicherheitsbehörden
haben in Jahrzehnten der Repression ihre Verfolgungstechniken
perfektioniert, so dass ungeachtet der weit reichenden
Übergriffe auf Nonnen und Mönche äußerlich
für uninformierte Besucher ein Eindruck von Normalität
und ungestörter Religionsausübung entsteht.
Proteste gegen Umerziehungskampagne [ oben ]
Im Rahmen der Kampagne zur "Patriotischen Erziehung" mussten seit
1996 mehr als 10.000 Nonnen und Mönche ihre Klöster
verlassen. Regelmäßig müssen alle Nonnen und
Mönche an Umerziehungskursen der staatlichen
Religionsbehörde teilnehmen, um ihre Treue zur
Kommunistischen Partei unter Beweis zu stellen. Wer nicht bereit
ist, sich schriftlich vom religiösen Oberhaupt der Tibeter ,
dem Dalai Lama, zu distanzieren, muss das Kloster verlassen und
kann nicht weiter als Nonne oder Mönch in Tibet leben.
Angesichts der anhaltenden Proteste in Tibet wurde seit
Jahresbeginn 2008 die Kampagne der "Patriotischen Erziehung" in
Tibets Klöstern nochmals ausgeweitet. So umzingelten
Polizisten und Mitarbeiter der staatlichen Religionsbehörde
am 10. März 2008 das Kloster Thangkya (Bezirk Gonjo, TAR).
Systematisch wurden alle Personen, die das Kloster
verließen, durchsucht. Anlass dafür war ein Beschluss
der Mönche des Klosters, aus Respekt vor dem Dalai Lama kein
Schweinefleisch mehr zu essen. Gemäß dem tibetischen
Kalender ist der Dalai Lama im Jahr des Schweins geboren. Immer
wieder hatte es Widerstand der Mönche dieses Klosters gegen
die Umerziehungskampagne gegeben. Im Winter 2007 hatten sie ein
Team der Religionsbehörde mit Schneebällen beworfen.
Bei anderer Gelegenheit weigerten sie sich, an der
"Gehirnwäsche" teilzunehmen und protestierten mit
Transparenten für ein "freies Tibet".
Allein im Bezirk Ngaba (Tibetische Autonome Präfektur ,
Provinz Sichuan) wurden im März 2008 fünf Klöster
(Ngaba Kirti, Ngatoe Adue, Ngamey Dongri, Taktsang Lhamo Kirti,
Gomang) von Umerziehungsteams und Polizisten heimgesucht. Dabei
wurden im Kloster Ngaba Kirti 572 Mönche festgenommen
(TCHRD, 1.4.2008). Polizisten stürmten in das Kloster,
durchsuchten alle Räume, beschimpften Mönche und
zerstörten Bilder des Dalai Lama in einem Gebetssaal. Auch
in neun Klöstern im Bezirk Machu (Tibetische Autonome
Präfektur , Provinz Sichuan) wurde die Umerziehungskampagne
verstärkt vorangetrieben. Mehr als 100 tibetische und
chinesische Behördenvertreter suchten die Klöster auf
und zwangen alle Mönche, an politischen Trainingskursen
teilzunehmen. Die Leitungskomitees der Klöster forderten sie
auf, die Umerziehung zu verstärken und künftig die
Mönche drei Mal pro Woche für ein bis zwei Stunden zum
politischen Unterricht einzubestellen. Die Teilnahme aller
Bewohnerinnen und Bewohner des Klosters an der Umerziehung
müsse strikt überprüft werden.
Mehrfach suchten Pekings Kontrolleure mit Polizisten das Kloster
Ratoe in Lhasa (TAR) auf. Nachdem 32 Mönche des Klosters bei
einem Protest am 14. März 2008 verhaftet worden waren (unter
ihnen auch der 38-jährige Thupchok, ein Mitglied des von
China eingesetzten "Demokratischen Leitungskomitees" des
Klosters), wurde noch am gleichen Tag ein Umerziehungsteam zu den
Mönchen gesandt. Gemeinsam mit Polizisten riegelten
Mitarbeiter der Religionsbehörde das Kloster am 16. April
2008 von der Außenwelt ab und durchsuchten alle Räume
nach "Waffen" und "belastendem Material". Vier Mönche, die
sich beim Besuch eines Umerziehungsteams im Kloster Ba-Chodae
(Bezirk Bathang, Kardze Tibetische Autonome Präfektur,
Provinz Sichuan) am 2. April 2008 weigerten, sich schriftlich vom
Dalai Lama zu distanzieren, wurden von Polizisten als
"Konterrevolutionäre" bezeichnet und festgenommen. Am
gleichen Tag stürmten 3000 Polizisten das von 370
Mönchen bewohnte Kloster Tongkhor und durchsuchten alle
Räume. Die beiden Mönche Geshe Sonam Tenzing und
Tsultrim Phuntsok wurden verhaftet, weil man bei ihnen Fotos des
Dalai Lama fand. Auch in den Klöstern Woeser und Khenpa
Lungpa (Bezirk Markham, TAR) wurden 16 Mönche am 12./13.Mai
2008 festgenommen, weil sie sich weigerten, sich schriftlich vom
Dalai Lama loszusagen.
Rund 70 Mönche des Ramoche Tempels in Lhasa wurden am 7.
April 2008 im Rahmen einer Razzia der Polizei und der
Religionsbehörde festgenommen. Der Mönch Thokmey hatte
nach einer gewaltsamen Durchsuchung des Tempels durch die Polizei
am 22. März 2008 Selbstmord verübt. Auch zwei
Mönche im Bezirk nahmen sich aufgrund des brutalen Vorgehens
der Sicherheitskräfte das Leben. So suchte Lobsang Jinpa aus
dem Kloster Kirti am 27. März 2008 den Freitod. Der
75-jährige Legtsok nahm sich das Leben, nachdem er von einer
Polizeipatrouille verhaftet und im Gewahrsam der Polizei
geschlagen worden war (TCHRD, 4.4.2008).
Im bekannten tibetischen Kloster Drepung in Lhasa protestierten
Mönche am 12. April 2008 gegen die Umerziehungskurse.
Zahlreiche Mönche sollen verhaftet worden sein, genaue
Angaben sind bis heute aber nicht verfügbar. Seit den
Unruhen im Frühjahr 2008 wurden 42 Mönche des Klosters
Drepung zu Haftstrafen zwischen zwei und fünfzehn Jahren
verurteilt. Bei ähnlichen Protesten im Kloster Pang-ri
(Kardze Tibetische Autonome Präfektur , Provinz Sichuan)
wurden 55 Nonnen am 14. Mai 2008 festgenommen. Weitere zwölf
Nonnen aus den Klöstern Drakar und Ganden Choeling (Bezirk
Kardze, Kardze Autonome Tibetische Präfektur, Provinz
Sichuan) wurden bei ähnlichen Protesten am 11./12. Mai 2008
verhaftet. Auch im Kloster Dingri Shelkar Choedhe (Bezirk Tingri,
TAR) wurden zwölf Mönche bei Protesten gegen die
Umerziehungspolitik verhaftet (TCHRD, 31.5.2008).
Nachdem Mönche aus dem Kloster Labrang (Bezirk Sanchu,
Provinz Gansu) gegenüber westlichen Journalisten
öffentlich über den Mangel an Glaubensfreiheit geklagt
hatten, wurde ihr Kloster am 15. April 2008 von bewaffneten
Sicherheitskräften gestürmt und geplündert.
Zahlreiche buddhistische Statuen wurden mutwillig zerstört,
Bilder des Dalai Lama vernichtet. Mehr als 160 Mönche wurden
festgenommen. Allen Insassen des Klosters wurde ein Fragebogen
vorgelegt, in dem sie sich unter anderem zu ihren Kontakten zur
Außenwelt äußern mussten. Die Mönche wurden
strikt angewiesen, keine Reden und Lehrveranstaltungen des Dalai
Lama auf Kassetten anzuhören. Bei einem weiteren Besuch
eines Umerziehungsteams wurden Mönche im Kloster Labrang am
7. Juli 2008 dazu gezwungen, ein kleines Büchlein über
die Kommunistische Partei, Tibet, die Religionsfreiheit und die
Olympiade durchzuarbeiten und vor einem Ausschuss zu
rezitieren.
Chinas Behörden schrecken auch nicht davor zurück,
leitende Persönlichkeiten von Klöstern zu verhaften. So
wurden am 18. Juni 2008 der Abt des Klosters Tarmo (Bezirk Driru,
TAR) Ngawang Gyaltsen und die drei Mönche Ngawang Sangye,
Ngawang Jampa und Kalsang Lochok festgenommen, weil sie sich
nicht schriftlich vom Dalai Lama lossagen wollten (Tibetisches
Solidaritätskomitee, 1.7.2008). Im Kloster Ngaba Kirti
(Bezirk Ngaba, Provinz Sichuan) werden Mönche am 2. Juni
2008 von Polizisten gezwungen, die chinesische Fahne zu hissen
(Tibetisches Solidaritätskomitee, 19.6.2008).
Nachdem die Mönche die Fahne in der folgenden Nacht ohne
Erlaubnis der Behörden eingeholt hatten, verstärkten
die Sicherheitskräfte ihre Übergriffe auf das Kloster .
Trotz eines formellen Verbots der Behörden versammeln sich
Mönche und tibetische Laien am 5. April 2008 im Kloster
Nyitso (Bezirk Tawu, Kardze Tibetische Autonome Präfektur,
Provinz Sichuan) für eine buddhistische Gebetszeremonie. Als
die 400 Personen das Gelände des Klosters verlassen wollen,
hindern Sicherheitskräfte alle Laien daran, die Mönche
bei einem Fackelzug zu begleiten. Als Rufe für mehr
Religionsfreiheit und eine Rückkehr des Dalai Lama laut
werden, eröffnen die Sicherheitskräfte das Feuer auf
die Demonstranten. Zehn Tibeter sterben, fünf verletzte
Demonstranten werden in Gewahrsam genommen. Während der
Olympiade in Peking wurden viele Mönche und Nonnen von ihren
Klöstern angewiesen, das Grundstück nicht zu verlassen.
Um viele Klöster hatten Sicherheitskräfte einen
Überwachungsring gebildet und die Mönche und Nonnen so
hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt (Radio Free Asia,
13.8.2003).
Mönche werden kriminalisiert [ oben ]
In dem Kloster Geerdeng (Bezirk Aba, Provinz Sichuan) will die
chinesische Polizei 30 Gewehre, 498 Schuss Munition und vier
Kilogramm Sprengstoff sowie zahlreiche Messer im März 2008
sichergestellt haben (Xinhua, 30.3.2008). Auch seien
Satellitentelefone, Empfänger für Fernsehsender aus dem
Ausland, Fax-Geräte und Computer beschlagnahmt worden,
erklärte die Polizei. In einigen Zimmern von Mönchen
habe man tibetische Flaggen und Transparente mit der Aufschrift
"Freiheit für Tibet" gefunden. 26 Tibeter , die nach einem
Protest in Aba am 16. März 2008 verhaftet wurden,
hätten gestanden, dass die Unruhen von der "Dalai-Clique
gesteuert" seien, um "die öffentliche Ordnung zu
gefährden, die internationale Öffentlichkeit zu
täuschen und um die Olympischen Spiele zu sabotieren und die
ethnische Einheit zu gefährden". Mit ähnlichen
Meldungen versuchten die chinesischen Behörden vor allem im
Vorfeld der Olympiade den überwiegend friedlichen Widerstand
der Tibeter zu diskreditieren und Tibeter zu
kriminalisieren.
Ungeachtet des in der Verfassung festgeschriebenen Schutzes der
Glaubensfreiheit zeigen die chinesischen Behörden nicht den
mindesten Respekt gegenüber dem tibetischen Buddhismus,
seinen Einrichtungen und Würdenträgern. So kam es im
Kloster Dege Gonchen am 27. Januar 2009 zu
Zusammenstößen zwischen tibetischen Mönchen und
chinesischen Regierungsangestellten, nachdem diese beim
chinesischen Neujahrsfest in dem Kloster in Mönchsroben
getanzt und sich mit Frauen amüsiert hatten. Nach dem
Handgemenge wurden mehrere Mönche festgenommen (Phayul,
4.2.2009). 200 Mönche demonstrierten daraufhin vor den
Behörden und setzten am 31. Januar 2009 die Freilassung der
Verhafteten durch. 30 der Festgenommenen litten unter
Verletzungen, weil sie in der Haft geschlagen oder gefoltert
worden waren.
Ausdruck des mangelnden Respekts Chinas gegenüber dem
tibetischen Buddhismus war auch die mutwillige Zerstörung
einer mehr als zehn Meter hohen Buddha-Statue des Guru Rinpoche
im Kloster Samye (Bezirk Dranang, TAR) durch chinesische
Bereitschaftspolizei im Mai 2007 (TCHRD, 4.6.2007). Das Kloster
Samye gilt als das älteste Kloster Tibets. Die fast fertig
gestellte Statue, die mit Gold und Silber überzogen war ,
war von chinesischen Gläubigen aus Guangzhou gespendet
worden. Polizisten zerstörten die Statue innerhalb weniger
Stunden, weil keine offizielle Genehmigung für ihren Bau
erteilt worden sei.
Neue Regeln schränken Glaubensfreiheit
ein [ oben ]
Neue "Regeln für den strikten Umgang mit rebellischen
Klöstern sowie Mönchen und Nonnen" wurden am 18. Juli
2008 in der Präfektur Kardze (Provinz Sichuan) von den
Behörden verkündet. In der Anordnung wird nochmals
bekräftigt, dass alle Nonnen und Mönche, die nicht zur
Linie der Kommunistischen Partei stehen, aus den Klöstern
ausgewiesen oder verhaftet werden müssen (International
Campaign for Tibet, 20.7.2008). Äbte müssten abgesetzt
werden, wenn sie nicht die offizielle Sichtweise vertreten
würden. Klöstern, in denen 10 bis 30 Prozent der
Bewohner kritisch eingestellt seien, müssten von der
Außenwelt abgeriegelt und durchsucht werden.
Alle religiösen Aktivitäten müssten dort sofort
gestoppt werden, niemand dürfe währenddessen das
Kloster verlassen. Wer sich ohne Erlaubnis von dem Kloster
entferne, müsse des Hauses verwiesen werden. Führende
religiöse Persönlichkeiten des tibetischen Buddhismus
müssten sich bei Fehlverhalten öffentlich vor allen
Mönchen und Nonnen des Klosters rechtfertigen und
entschuldigen. Schriftlich müssten sie ihre Loyalität
versichern und sich damit einverstanden erklären, dass ihre
Selbstkritik in Zeitungen und im Fernsehen veröffentlicht
werde. Die chinesische Regierung hat im Jahr 2005 neue "Nationale
Regeln für religiöse Angelegenheiten" beschlossen. Zum
1. Januar 2007 sind die für die Autonome Region Tibet
gültigen Ausführungsbestimmungen dieses Regelwerks in
Kraft getreten. Sie umfassen 56 Bestimmungen und bekräftigen
die Vormachtstellung der Kommunistischen Partei. Auch wird die
massive staatliche Kontrolle aller religiösen
Angelegenheiten nochmals festgeschrieben. Zwar wird der Dalai
Lama nicht ausdrücklich erwähnt, aber zahlreiche
Bestimmungen sind unmittelbar auf ihn ausgerichtet. So
heißt es in Artikel 3, dass alle religiösen
Organisationen die Einheit der Nation und der Nationalitäten
schützen müssten. Gemäß Artikel 34
dürfen religiöse Würdenträger keine
Bücher , Bilder oder anderes Material verbreiten, das die
Einheit der Nationalitäten und die Staatssicherheit
gefährden könnte. Damit soll vor allem eine juristische
Grundlage für das Verbot der Verbreitung von Fotos des Dalai
Lama geschaffen werden.
Am 1. September 2007 traten neue staatliche Regeln für die
Anerkennung von Reinkarnationen in Kraft, mit denen die Kontrolle
des Staates über die Auswahl von führenden
religiösen Würdenträgern gesichert werden soll. So
soll der Staatsrat Chinas bei führenden religiösen
Persönlichkeiten ermächtigt sein, eine Reinkarnation
abzulehnen. Keine ausländische Einrichtung oder Person habe
das Recht, in den Prozess der Auswahl einer reinkarnierten
Persönlichkeit einzugreifen, auch müsse jeder
reinkarnierte Lama auf dem Staatsgebiet der Volksrepublik China
geboren sein, heißt es in den Bestimmungen. Der Dalai Lama
hat auf diesen massiven Eingriff eines atheistischen
Staatsapparates in die inneren Angelegenheiten des tibetischen
Buddhismus unverzüglich reagiert.
Zur Verärgerung der chinesischen Regierung erklärte der
Dalai Lama am 20. November 2007, er erwäge, seinen
Nachfolger noch zu Lebzeiten persönlich auszuwählen und
es nicht einem Kreis von tibetischen Würdenträgern nach
seinem Tod zu überlassen, unter massivem chinesischen Druck
über die Nachfolge zu entscheiden (BBC, 20.11.2007).
Möglich sei auch ein Referendum, um noch zu seinen Lebzeiten
über seine Nachfolge zu entscheiden, erklärte der
bedeutendste religiöse Würdenträger Tibets
(Associated Press, 27.11.2007). Beide Wege bedeuteten eine Abkehr
von Jahrhunderten der Tradition im tibetischen Buddhismus. Ein
enormer Schritt, mit dem Tibets Buddhisten auf die ständig
wachsende Einmischung des chinesischen Staates in ihre inneren
Angelegenheiten reagieren (Time, 21.11.2007 / Los Angeles Times,
19.2.2009).
Schicksal des Panchen Lamas ist noch immer
ungeklärt [ oben ]
Auch fast 14 Jahre nach seiner mutmaßlichen Entführung
durch chinesische Sicherheitskräfte 1995 ist das Schicksal
des 11. Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima noch immer
ungeklärt. Der Panchen Lama gilt nach dem Dalai Lama als der
bedeutendste Würdenträger des tibetischen Buddhismus.
Nachdem der damals sechsjährige Junge am 14. Mai 1995 vom
Dalai Lama als 11.Panchen Lama "erkannt" worden war , war das
Kind drei Tage später entführt worden. Erst Monate
später behauptete die chinesische Führung, Gedhun
Choekyi Nyima auf Bitten seiner Eltern in ihre Obhut genommen zu
haben. Bis heute verweigern die chinesischen Behörden
ausländischen Regierungen, Diplomaten und Menschenrechtlern
jeden Kontakt mit dem Entführten und halten den
Aufenthaltsort des inzwischen 19-Jährigen geheim. Der
UN-Sonderberichterstatterin für religiöse Fragen, Asma
Jahangir , teilten die Behörden im Jahr 2005 mit, der
Jugendliche besuche eine weiterführende Schule und
führe ein normales und glückliches Leben.
An Stelle des Entführten ließ Chinas Regierung ein
anderes tibetisches Kind (Gyaltsen Norbu) aus einem Elternhaus,
das Chinas Kommunistischer Partei nahe steht, zum Panchen Lama
erklären. Die meisten Tibeter lehnen diesen von China
eingesetzten Würdenträger ab, der regelmäßig
für politische Zwecke missbraucht wird. Als Norbu im Jahr
2004 ein Kloster in Tibet besuchte, musste er schnell erkennen,
dass die ihm gegenüberstehenden vermeintlichen Mönche
verkleidete Sicherheitskräfte waren. Doch zwanghaft halten
Chinas Behörden an ihrem nicht anerkannten Panchen Lama
fest, um ihren Führungsanspruch bei der Auswahl von
bedeutenden religiösen Würdenträgern zu
unterstreichen.
Tibets Sprache wird missachtet [ oben ]
Chinas Regierung habe große Anstrengungen unternommen, um
das Erlernen, den Gebrauch und die Entwicklung der tibetischen
Sprache zu fördern, erklärt das Pressebüro des
Chinesischen Staatsrates in seinem am 2. März 2009
veröffentlichten Weißbuch "50 Jahre Demokratische
Reform in Tibet" (China Economic Net, 3.2.2009). Sowohl die
chinesische als auch die tibetische Sprache würde in allen
ländlichen Regionen in den Schulen unterrichtet. Auch in den
meisten Städten würde in den Schulen Tibetisch gelehrt,
alle öffentlichen Einrichtungen seien zweisprachig
ausgeschildert. Als der 10. Panchen Lama im Jahr 1985 die
Tibetische Universität in Lhasa einweihte, war er noch
optimistisch und äußerte die Hoffnung, dass bald schon
die unterschiedlichsten Lehrinhalte in Tibetisch vermittelt
würden. Doch 24 Jahre später ist Ernüchterung
eingekehrt. Denn an der Universität in Lhasa wird bis heute
nur Tibetisch in tibetischer Sprache unterrichtet.
In den 80er-Jahren hatte China auch im Bildungsbereich in Tibet
zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, die Hoffnung machten,
dass Sprachen von Nationalitäten in China gezielt
gefördert würden. Doch viele dieser Reformen und neuen
Gesetze wurden letztlich nicht umgesetzt und der Assimilation der
Tibeter wurde seit den 90er-Jahren von den Behörden deutlich
Vorrang vor der Förderung ihrer Kultur gegeben. 1987
verabschiedete der Volkskongress in Tibet "Vorläufige Regeln
zum Erlernen, Gebrauch und zur Entwicklung der tibetischen
Sprache". Die Regeln sahen vor , dass bis 1993 in allen Unteren
Mittelschulen in Tibetisch unterrichtet werden sollte und ab 1997
dies auch für alle Oberen Mittelschulen gelten sollte.
Angesichts der Unruhen in den Jahren 1987 und 1989 wurde das
Regelwerk zunächst nicht umgesetzt. Als es schließlich
im Jahr 2002 in Kraft trat, war von einer spezifischen
Förderung der tibetischen Sprache kaum mehr die Rede. Seit
Mitte der 90er-Jahre hatte die Kommunistische Partei die Parole
der "Patriotischen Erziehung" ausgegeben.
Ganz gezielt sollte auch der Bildungsapparat genutzt werden, um
die Tibeter zu loyalen chinesischen Staatsbürgern zu
erzielen. Für eine gezielte Förderung der tibetischen
Sprache blieb da wenig Spielraum, obwohl Modellprojekte in den
80er- und 90er-Jahren erfolgreich waren. Dabei wurden tibetische
Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet wurden. Sie waren
deutlich erfolgreicher in der Schule als tibetische
Mitschüler, die nur in Chinesisch gelehrt wurden. (Tibet
Information Network, 6.5.1997). Langfristiges Ziel dieser
Projekte war die Eindämmung der wachsenden
Jugendarbeitslosigkeit. Denn mit dem erzwungenen Wechsel zur
Ausbildung nur in Mandarin ab dem 13. Lebensjahr ging ein starker
Leistungsabfall der tibetischen Schüler im Vergleich zu
chinesischen Mitschülern einher, der ihnen den Zugang zur
Universität erschwert und letztlich das Fortbestehen der
tibetischen Sprache bedroht.
Die Marginalisierung des Tibetischen erreichte einen
Höhepunkt, als im Jahr 2001 beschlossen wurde, Mandarin
bereits in den ersten Schulklassen zu unterrichten. Ein breiter
Unterricht in Tibetisch sei nicht praktikabel und mit der
Realität Tibets nicht zu vereinbaren, hieß es zur
Begründung des Politikwechsels. Heute entscheiden sich die
meisten tibetischen Eltern dazu, ihre Kinder nur in chinesischer
Sprache unterrichten zu lassen, um ihre Chancen auf eine
Anstellung zu erhöhen. Der Kurswechsel verursacht eine
wachsende Arbeitslosigkeit unter tibetischen Lehrern. Auch werden
immer weniger Bücher ins Tibetische übersetzt und die
Nationalitäten- Sprache wird als Amtssprache immer seltener
benutzt.
In den meisten Städten werden junge Tibeter nur noch in den
drei Grundschulklassen in allen Fächern in Tibetisch
unterrichtet. In den weiterführenden Klassen wird
regelmäßig nur noch Tibetisch in ihrer Muttersprache
gelehrt, in allen anderen Fächern erfolgt der Unterricht in
Chinesisch. Der frühe Wechsel vom Tibetischen zum
Chinesischern hat oft zur Folge, dass die Kinder noch keine
ausreichenden Grundkenntnisse im Tibetischen haben, um diese
Sprache dauerhaft zu praktizieren. Da es ihnen an Basiswissen
fehlt, schaffen die tibetischen Schülerinnen und
Schüler meist nicht, ein ähnliches Niveau wie ihre
chinesischen Mitschüler zu erreichen. Angesichts des
geringen Lernerfolgs bleiben viele junge Tibeter der Schule fern,
was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiter verringert. So
schaffen viele Tibeter noch nicht einmal nicht die ersten sechs
Jahre grundlegender Schulausbildung von insgesamt neun Jahren
Schulpflicht. Während in chinesischen Provinzen
regelmäßig 95 Prozent der schulpflichtigen Kinder die
Schule besuchen, sind es in der Autonomen Region Tibet (TAR)
gemäß Zahlen des Entwicklungsprogramms der Vereinten
Nationen nur 70 Prozent.
Die UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung, Katarina
Tomasevski, zeigte sich in einem Bericht an die
UN-Menschenrechtskommission besorgt über die hohe Zahl der
Analphabeten in Tibet. Mit 39,5 Prozent sei die Analphabetenquote
unvergleichlich hoch. Auch beklagte die
UN-Sonderberichterstatterin die Assimilationspolitik der
chinesischen Behörden in Tibet. In ländlichen Gebieten
wird auch heute noch vor allem Tibetisch gesprochen. Doch unter
den jungen Tibetern in den Städten breitet sich das
Chinesische immer mehr aus. Chinesische Pop- Musik wird immer
beliebter und junge Tibeter, die beruflich Erfolg haben wollen,
lernen Chinesisch. Immer mehr junge Tibeter haben Probleme,
ältere Verwandte aus ländlichen Gebieten zu verstehen.
So werden Tibeter zu Fremden unter ihren eigenen Leuten und die
Assimilation in die chinesische Mehrheitsgesellschaft schreitet
mit Riesenschritten voran. Langfristig geht von dieser
Assimilationspolitik eine viel größere Gefahr für
das Fortbestehen der tibetischen Kultur und Identität aus
als von einzelnen Verhaftungen von Demonstranten.
So senden tibetische Eltern, die eine gute tibetische Ausbildung
ihrer Kinder wünschen, ihren Nachwuchs auf Schulen im
Nachbarland Indien. Die chinesischen Behörden sehen diese
Entwicklung mit großer Besorgnis. Am 14. Juli 2008
forderten die chinesischen Behörden alle tibetischen
Parteimitglieder und Regierungsangestellten ultimativ auf,
Innerhalb von zwei Monaten ihre Kinder aus Schulen im indischen
Exil zurückzuholen. Die "Dalai-Clique hat den Kindern und
Jugendlichen jahrelang freien Unterricht, Unterkunft und
Verpflegung angeboten, um sie dazu zu verleiten, Tibet zu
verlassen und Schulen und Klöster im Exil zu besuchen",
heißt es in der neuen Verordnung (TCHRD, 15.7.2008).
Nomadenkind in Tibet.
Tibets Nomaden in Gefahr [
oben ]
Der Jahrtausende alten Nomaden-Kultur in Tibet droht der
Untergang. Denn weitere 312.000 tibetische Nomaden und
Kleinbauern wurden im Jahr 2008 von den chinesischen
Behörden zwangsweise in neue "sozialistische Dörfer"
umgesiedelt. Auch wurden Nomaden dazu gezwungen, ihre Yak-,
Ziegen- und Schafherden aufzugeben. So wird Tibets Nomaden nicht
nur gezielt ihre traditionelle Lebens- und Wirtschaftsweise
genommen, sondern auch ihre Kultur und Identität
zerstört.
Die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet im
Dezember 2008, dass 57.800 Nomaden- und Bauernfamilien im Jahr
2008 in Tibet im Rahmen des Programms "Komfortables Wohnen" in
neuen Häusern angesiedelt worden seien (Phayul, 27.12.2008).
Das Programm war im Jahr 2006 gestartet worden und sieht vor,
dass 220.000 Familien bis zum Jahr 2010 in neuen sozialistischen
Dörfern sesshaft gemacht werden. So sollen 80 Prozent der in
der Autonomen Region Tibet lebenden Nomaden, Halbnomaden und
Bauern in den neuen Siedlungen zusammengefasst werden. 860.000
Nomaden und Bauern (170.000 Familien) wurden seit 2006 bereits in
diesen Dörfern angesiedelt.
Während die chinesischen Behörden von einer
Verbesserung des Lebensstandards der Bewohner der neuen
Siedlungen sprechen, regt sich unter den Betroffenen viel
Widerspruch. Viele Nomaden und Bauern kritisieren, dass sie ihre
alten, oft isoliert liegenden Häuser aufgeben mussten und
ihnen nicht gestattet wurde, die Umsiedlung abzulehnen. In den
neuen Siedlungen könnten sie ihre Viehherden nicht
länger aufrechterhalten, die Häuser seien oft
mangelhaft gebaut und Arbeit gebe es auch nicht ausreichend.
Viele Tibeterinnen und Tibeter kritisieren, sie hätten durch
die Zwangsumsiedlung ihre Unabhängigkeit verloren und seien
zu Lohnarbeitern oder Almosen-Empfängern gemacht
worden.
Chinas Behörden bemühen sich bereits seit dem Jahr 2000
im Rahmen verschiedener Programme gezielt um die Ansiedlung der
tibetischen Nomaden in neuen staatlich besser zu kontrollierenden
Dörfern. So soll nicht nur die traditionelle tibetische
Gesellschaft zerstört, sondern auch neuer Raum für
Industrie-, Bergbau-, Landwirtschafts- und Infrastrukturprojekte
gewonnen werden. Als Vorwand für die Ansiedlung der Nomaden
wird auf die fortschreitende Umweltzerstörung verwiesen,
für die die Hirten angeblich verantwortlich sein sollen.
Dass die Ursachen für die Umweltprobleme tatsächlich
sehr viel komplexer sind, wird von den Behörden
ignoriert.
Tibeter fliehen vor Unterdrückung
[ oben ]
Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche wurden am 26. Februar 2009
tibetische Flüchtlinge aus China von nepalesischen
Grenzpolizisten aufgegriffen und verhaftet, als sie versuchten,
die Grenze zwischen China und Nepal zu überqueren. Die
sieben Flüchtlinge wurden den Behörden in der
nepalesischen Hauptstadt übergeben. Wenige Tage zuvor waren
fünf Tibeter auf der Flucht über die Grenze gestellt
worden. Jedes Jahr fliehen 2500 bis 3500 illegal über die
Grenze in das benachbarte Nepal. Eine legale Ausreise ist ihnen
meist nicht möglich, so dass viele als einzigen
Möglichkeit den gefährlichen Weg über den Himalaya
sehen. Viele der Flüchtlinge sterben in Schnee oder
Unwettern, andere werden von Grenzsoldaten erschossen oder
unverzüglich nach China abgeschoben, wo ihnen
langjährige Haftstrafen und andere Verfolgungen drohen. Am
30. September 2006 wurde die 17 Jahre alte Nonne Kelsang Namtso
nahe der Grenze von chinesischen Soldaten erschossen, sieben
weitere der 30 Flüchtlinge in ihrer Gruppe wurden von
chinesischen Grenzsoldaten gefangen genommen Die tödlichen
Schüsse erregten weltweit Aufsehen, weil ausländische
Bergsteiger von Nepal aus Augenzeugen der Ereignisse
wurden.
Im Jahr 2008 flohen nur 627 Tibeterinnen und Tibeter nach Nepal
(Phayul, 26.2.2009). Die Zahl der Flüchtlinge ist nicht
gesunken, weil sich die Lage in Tibet gebessert hat, sondern weil
sowohl China als auch Nepal im Zuge der Unruhen die
Sicherheitsvorkehrungen entlang der Grenze deutlich
verschärft hatten. Nachdem am 31. Mai 2003 eine Gruppe von
18 tibetischen Flüchtlingen (unter ihnen zehn
Minderjährige) von den nepalesischen Behörden
zwangsweise nach China abgeschoben worden waren, wurden massive
internationale Proteste laut. Angesichts des Drucks vieler
Staaten musste Nepal schließlich einwilligen, keine
tibetischen Flüchtlinge mehr in die Volksrepublik
abzuschieben. Trotzdem kommt das immer wieder vor . So wurde
Mitte Dezember 2006 eine Gruppe von sieben Flüchtlingen den
chinesischen Behörden übergeben.
Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und die
Regierung Nepals verständigten sich zumindest darauf, dass
alle tibetischen Flüchtlinge, die vor dem 31. Dezember 1989
nach Nepal kamen, dort nun auch legal bleiben dürfen.
Zurzeit leben rund 20.000 tibetische Flüchtlinge in Nepal.
85.000 Flüchtlinge haben im Nachbarland Indien Zuflucht
gefunden. Bei allen neu eintreffenden Flüchtlingen
gewähren die nepalesischen Behörden normalerweise ein
Transitvisum von 15 Tagen. Innerhalb dieser Zeit müssen die
Flüchtlinge weiter nach Indien reisen oder in einem anderen
Drittland Aufnahme finden.
Im Zuge der Olympiade in Peking hat die chinesische Führung
ihren Druck auf Nepal deutlich verschärft. Nach dem Willen
Chinas müssten alle Flüchtlinge in die Volksrepublik
zurückgeschoben werden, um dort mit aller Härte
bestraft zu werden. So gingen die nepalesischen
Sicherheitskräfte im Sommer 2008 auch brutal und
willkürlich gegen tibetische Demonstranten vor und
verhafteten hunderte protestierende Tibeter . Meist wurden die
Demonstranten nach einigen Stunden oder Tagen in Haft wieder
freigelassen. Doch im Sommer 2008 ging Nepal dazu über,
tibetische Demonstranten auch längerfristig festzuhalten
(CNN, 12.9.2008).
Presse- und Meinungsfreiheit werden
unterdrückt [ oben ]
Sowohl tibetische und chinesische Journalisten, als auch
ausländische Reporter leiden unter massiven
Einschränkungen ihrer Arbeitsmöglichkeiten in Tibet
durch die chinesischen Behörden. Für die Olympischen
Spiele in Peking hatten die chinesischen Behörden ab Januar
2008 zeitweise eine Lockerung ihrer harschen Zensurbestimmungen
für ausländische Journalisten angekündigt. So
sollten ausländische Journalisten auch freier in der
Volksrepublik reisen und Interviews führen können.
Ausdrücklich ausgenommen wurde von diesen erleichterten
Arbeitsbedingungen wurde Tibet. So mussten auch im Jahr der
Olympiade ausländische Medienvertreter offizielle
Genehmigungen für ihre Besuche in Tibet beantragen.
Mindestens 25 ausländische Journalisten hielten sich beim
Ausbruch der Unruhen in der TAR auf.
Unverzüglich ordneten die Behörden ihre Ausreise aus
der Region an und kündigten für den Fall der
Zuwiderhandlung den Entzug der Arbeitserlaubnis und die
Ausweisung aus der Volksrepublik an. Unter den betroffenen
Journalisten befand sich auch Georg Blume, der Korrespondent der
"taz" und der Wochenzeitung "Die Zeit". Nur ein Journalist des
britischen Wirtschaftsmagazins "The Economist", der sich auf
Einladung der Behörden in Tibet befand und kritisch
über gewaltsame Übergriffe auf Han-Chinesen berichtete,
durfte noch einige Tage länger in Tibet bleiben. Insgesamt
wurden in den ersten neun Tagen nach Ausbruch der Unruhen 30
Fälle von Übergriffen chinesischer
Sicherheitskräfte auf Journalisten registriert.
Erst zwei Wochen nach Beginn der Unruhen luden die Behörden
eine handverlesene Gruppe von zwei Dutzend Journalisten zu einem
dreitägigen Besuch in die TAR. Den Medienvertretern sollte
ein Bild der Normalität vermittelt werden, um jeden Eindruck
zu zerstreuen, dass die Protestbewegung länger anhalten
werde. Als die aufwändig überwachte Gruppe Tibets
heiligste Stätte, den Jokhang Tempel besuchte, kam es zum
Eklat. Eine Gruppe von 30 Mönchen verschaffte sich Zugang zu
den Journalisten und beklagte öffentlich den Mangel an
Meinungs- und Glaubensfreiheit (Associated Press, 27.3.2008). Die
Regierung sage nicht die Wahrheit über die Unruhen,
kritisierte ein Mönch. Andere riefen "Sie haben viele
getötet", "Die tatsächliche Zahl der Opfer ist viel
höher als von der Regierung zugegeben wird", "Wir sind wie
Gefangene hier" oder "Freiheit für Tibet". Die offiziellen
Begleiter der Medienvertreter drängten daraufhin zum
Aufbruch aus dem Palast. Anfangs reagierten die Behörden
gelassen und versicherten, die für den Zwischenfall
verantwortlichen Mönche würden nicht bestraft (Reuters,
27.3.2008).
Offensichtlich fürchtete China einen weiteren Imageverlust
im Falle eines Prozesses gegen die Demonstranten. Doch als zwei
Tage später ausländische Diplomaten Lhasa besuchten,
erklärten Behördenvertreter, wer "separatistische
Tendenzen" offenbart habe, müsse sich "nach dem Gesetz"
verantworten (Der Spiegel online, 30.3.2008). Repressalien
fürchtet auch der Mönch Jigme Guri aus dem Kloster
Labrang (Bezirk Sangchu, Provinz Gansu). In einem
Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur Associated Press
hatte er am 12. September 2008 ausführlich über Folter
und unmenschliche Behandlung im Polizeigewahrsam berichtet. Der
Mönch war am 21. März 2008 festgenommen worden und
verbrachte mehrere Monate in Haft. Kurz nach dem Interview
tauchte er unter , weil er befürchtete, aufgrund dieses
Zeugnisses erneut verhaftet zu werden. Tatsächlich wurde er
im Rahmen einer gezielten Razzia, an der rund 50 Polizisten
teilnahmen, am 3. November 2008 aufgespürt und festgenommen
(TCHRD, 3.11.2008).
Wie begründet Jigmes Ängste waren, zeigt der Fall von
zwei weiteren Mönchen aus dem Kloster Labrang. Sie
verschwanden spurlos, kurz nachdem Mönche aus dem Kloster am
9. April 2008 einen von den Behörden organisierten Besuch
einer ausländischen Journalistengruppe unterbrochen hatten,
um über Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu informieren
(TCHRD, 4.11.2008). Journalisten internationaler Medien
berichteten, sie hätten Drohungen per Brief, E-Mail und SMS
erhalten (Associated Press, 7.4.2008). Die Berichterstattung
ausländischer Medien über die Unruhen war von den
staatlich kontrollierten Medien in China gezielt und vehement
kritisiert worden, um die chinesische Öffentlichkeit gegen
ausländische Medien zu mobilisieren (New York Times /
Xinhua, 25.3.2008).
Die tibetische Schriftstellerin und Bloggerin Tsering Woeser
wurde am 21. August 2008 für acht Stunden verhaftet. Die
populäre tibetische Fernsehmoderatorin Jamyang Kyi von
Qinghai TV wurde am 1. April 2008 festgenommen und vier Wochen
lang in Haft festgehalten. Schließlich wurde sie unter
Hausarrest gestellt. Ihr wird vorgeworfen, sich zu sehr für
den Schutz der tibetischen Kultur einzusetzen. Am 11. September
2008 wurde der tibetische Fernsehsprecher Washu Rangjong
festgenommen. Der 25-Jährige vom Fernsehsender in Sertha
verschwand spurlos (Phayul, 17.9.2009). Regelmäßig
blockieren die chinesischen Behörden mit Störsendern
die Sendungen in tibetischer Sprache von Radio Free Asia, Voice
of America und Voice of Tibet. Auch wird der Zugang zu den
Webseiten von Nachrichtensendern wie der BBC und CNN immer wieder
blockiert. Blockiert werden auch die Homepages von
Organisationen, die sich für Menschenrechte in Tibet
einsetzen wie die Webseite der Gesellschaft für bedrohte
Völker und von vielen tibetischen Organisationen in China.
So nehmen die Behörden der breiten Han-Bevölkerung auch
die Möglichkeit, sich unabhängig von staatlicher
Gängelung ein Bild von den Hintergründen des
Aufbegehrens der Tibeter zu machen. Auf dem Höhepunkt der
Unruhen in Tibet ging China mit Virenangriffen gegen
pro-tibetische Organisationen vor (UPI, 24.3.09). Ähnliche
Angriffe werden auch im Jahr 2009 erwartet (Phayul,
18.2.2009).
Tibeter profitieren nicht von wirtschaftlicher
Entwicklung [ oben ]
Die chinesische Regierung präsentiert Tibet als
wirtschaftliches Erfolgsmodell. Tatsächlich wurde in der TAR
in den letzten Jahren ein jährliches Wirtschaftswachstum von
zehn bis 15 Prozent registriert, ein außerordentlich hoher
Wert, der deutlich über den Zuwachsraten anderer Provinzen
in der Volksrepublik lag. Während Chinas Führung
behauptet, alle Menschen in Tibet profitierten von dieser
Entwicklung, regt sich unter Tibetern Widerspruch. Der
Wirtschaftsboom komme vor allem Han-Chinesen und muslimischen Hui
zugute, die nach Tibet einwanderten, kritisieren Tibeter. Rund 60
Prozent der Tibeter leben noch immer als Nomaden oder
Halbnomaden, 15 Prozent sind als Bauern tätig. Ihre Chancen
auf eine angemessene und ihrer Kultur entsprechende Schulbildung
sind gering. 55 Prozent der Tibeter sind noch immer Analphabeten,
in anderen Provinzen der Volksrepublik liegt der Prozentsatz der
Analphabeten bei 20 Prozent. Doch mangelnde Ausbildung ist nicht
der entscheidende Grund für das verbreitete berufliche
Scheitern der Tibeter . So protestierten im Oktober 2006 mehrere
hundert sehr gut ausgebildete und um eine berufliche Karriere
bemühte Tibeter vor Regierungsgebäuden in Lhasa gegen
die Bevorzugung von Han- Chinesen und anderen nach Tibet
eingewanderten Bevölkerungsgruppen bei der Vergabe von
Arbeitsstellen (Washington Post, 23.3.2008).
Nach Beginn der Unruhen im Frühjahr 2008 und der damit
einsetzenden Wirtschaftskrise nahm diese Diskriminierung bei der
Arbeitsplatzvergabe weiter zu. Viele chinesische
Geschäftsleute, Händler und Unternehmer entließen
ihre tibetischen Mitarbeiter und stellten an ihrer Stelle
Han-Chinesen ein (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.2.2009). Die
Arbeitslosenquote unter Tibetern steige weiter stark an,
berichten Beobachter . Schon heute soll die Arbeitslosenrate
unter Tibetern rund 20 Prozent betragen. Aufgrund des Zuzugs von
immer mehr chinesischen Migranten und der tief greifenden
Veränderungen in der tibetischen Wirtschaft und Gesellschaft
ist die Inflation in Lhasa stark angestiegen. Sie belief sich
2008 auf 5,8 Prozent (NDTV, 11.2.2009).
Da zugleich die Verarmung unter den noch in Lhasa lebenden
Tibetern weiter zunimmt, wachsen auch die Spannungen zwischen
Tibetern und eingewanderten Han-Chinesen und Hui.
Schätzungen zufolgen stellen die Tibeter heute nur noch 20
Prozent der Bewohner der ehemaligen Hauptstadt ihres Landes. So
war es kein Wunder , dass gerade in Lhasa die Proteste im
Frühjahr 2008 nicht nur friedlich blieben. Teure Luxusautos
chinesischer Migranten wurden ein Raub der Flammen, ein
beunruhigendes Indiz dafür , dass die Kluft zwischen Arm und
Reich vor allem in Lhasa immer größer wird und die
Diskriminierung der Tibeter im Wirtschaftsleben schon bald auch
massive Folgen für die Sicherheitslage mit sich bringen
könnte.
Auch in anderen Gebieten der Autonomen Region Tibet hat der
Lebensstandard der Tibeter im Vergleich zu anderen Bürgern
Chinas nicht zugenommen, sondern der ohnehin bestehende Abstand
vergrößerte sich weiter. Rund 35 Prozent der Tibeter
leben noch immer von weniger als einem US-Dollar am Tag. Es ist
kaum zu erwarten, dass ihr Lebensstandard in nächster Zeit
deutlich wachsen wird. Denn viele dieser tibetischen Nomaden oder
Halbnomaden haben in den letzten drei Jahren aufgrund der
chinesischen Siedlungspolitik ihre Viehherden und damit ihre
wirtschaftliche Lebensgrundlage verloren. Mit dem
Umsiedlungsprogramm wurden sie vom chinesischen Staat zu
Almosenempfängern gemacht und in weitere Abhängigkeit
getrieben.
Selbst tibetische Unternehmer bekommen immer mehr Probleme mit
den chinesischen Behörden, die auch von erfolgreichen
Geschäftsleuten erwarten, dass sie regelmäßig
Prüfungen in der chinesischen Sprache ablegen und ihren
Unternehmen chinesische Namen geben. So wird auch im
Wirtschaftsleben die tibetische Identität immer mehr vom
Chinesischen verdrängt. Die chinesische Regierung
kündigte für den Zeitraum zwischen 2006 und 2010 eigene
Investitionen in Höhe von 10,23 Milliarden US-Dollars in 180
Projekte in der TAR an (Xinhua, 2.7.2007). Wirtschaftsexperten
geben denn auch zu bedenken, dass der so genannte Wirtschaftsboom
in Tibet mit außergewöhnlich hohen jährlichen
Wachstumsraten vor allem durch staatliche Investitionen getragen
wird und nicht die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung
widerspiegelt. Im Rahmen der im Juni 1999 vom damaligen
Staatspräsidenten Jiang Zemin verkündeten
"Entwicklungsstrategie für den Westen" sollen die im
Vergleich zu den prosperierenden Provinzen an der Ostküste
Chinas wirtschaftlich weniger entwickelten Gebiete im Westen der
Volksrepublik besonders gefördert werden. Diese Regionen
machen rund 70 Prozent der Fläche Chinas aus. Die
chinesische Regierung versprach, im Rahmen der Strategie gezielt
den Ausbau der Infrastruktur voranzutreiben und in- sowie
ausländische Investoren zu einem Engagement im Westen Chinas
zu gewinnen.
Bergbau und Energiewirtschaft werden bedeutende
Wirtschaftszweige [ oben ]
Tibeter und Uiguren in der benachbarten Region
Xinjiang/Ostturkestan äußerten hingegen Bedenken
gegenüber dem Projekt, das offensichtlich vor allem dazu
beitragen solle, den enormen Rohstoffbedarf der boomenden
chinesischen Industrie zu decken. Tatsächlich sind beide
Regionen für ihren Rohstoffreichtum bekannt. Schon der
chinesische Name Tibets "Xizang" (Schatzkammer des Westens) weist
auf den Reichtum Tibets an Bodenschätzen hin. Mehr als 115
Lagerstätten von Bodenschätzen (Kupfer, Gold, Uran,
Eisen etc.) wurden inzwischen ermittelt. Bergbau ist zu einer der
bedeutendsten Wirtschaftszweige Tibets geworden, erklärte
das staatliche Investitionsbüro für die Region (PTI,
24.7.2007).
Von den 200 Großprojekten, die China zurzeit in Tibet
betreibt, kommen nach Einschätzung der tibetischen
Exilregierung nur sehr wenige den Tibetern tatsächlich zu
gute. Viele der Projekte umfassen die Erschließung von
Bodenschätzen und Energievorkommen, von der vor allem die
Volkrepublik profitieren wird. Dies gilt besonders für die
zahlreichen Staudammprojekte, die ohne Rücksicht auf die
lokale Bevölkerung und katastrophale ökologischen
Folgen vorangetrieben werden. So gibt es allein auf dem
tibetischen Hochland rund 500 Staudämme, die auch
Städte und Industrie-Unternehmen außerhalb der TAR mit
Energie versorgen. Am Oberlauf des Gelben Flusses wurden im
tibetischen Hochland in der Provinz Qinghai (Amdo) alleine 13
neue Dämme erbaut, da die am Unterlauf des Flusses erzeugte
Energie nicht ausreichte, um chinesische Städte mit
Elektrizität zu versorgen. Ohne Rücksicht auf die
religiösen Gefühle der Tibeter ließ China auch
ein Kraftwerk am Yamdrok-See errichten, der den Tibetern heilig
ist. Umweltschützer befürchten nun eine Austrocknung
des Sees, dessen Wasserspiegel immer weiter sinkt (Klemens
Ludwig, Welt- Sichten, 5/2008).
Umstrittene Eisenbahnlinie fördert Wirtschaft und
Zuwanderung [ oben ]
Der Bergbau wird gefördert durch die im Juli 2006 fertig
gestellte Eisenbahnlinie zwischen Golmud (Provinz Qinghai) und
Lhasa. Entlang der Strecke haben Geologen bereits 16
Rohstoffvorkommen ermittelt. Deren Abbau wird durch die nahe
Bahnstrecke deutlich attraktiver (BBC, 30.7.2007). Auch lassen
Erdölunternehmen auf der Bahnlinie
Ausrüstungsgegenstände für die Erforschung neuer
Öl-Lagerstätten transportieren (Interfax, 7.8.2007). 75
Prozent aller Güter Tibets, die in anderen Provinzen Chinas
veräußert wurden, werden über diese
Eisenbahnlinie befördert (Xinhua, 8.2.2008).
Auf der über 1956 Kilometer langen Strecke wurden im ersten
Betriebsjahr 1,5 Millionen Menschen befördert (Xinhua,
2.7.2007). Bis Ende 2007 steigerte sich diese Zahl sogar auf 5,95
Millionen Passagiere. 43 Prozent aller Touristen, die Tibet
besuchen, sollen nach offiziellen Angaben auf dieser
Eisenbahnstrecke an- und abreisen (Xinhua, 8.2.2008). Doch nicht
nur für die Tourismusindustrie ist die neue Eisenbahnlinie
von größter Bedeutung. Chinas Behörden sprechen
nicht gerne darüber , dass mit der Eisenbahn auch Soldaten
und hunderttausende chinesische Einwanderer nach Tibet gekommen
sind. Nach einem Grenzzwischenfall mit Indien waren im November
2007 erstmals Soldaten mit der Eisenbahn transportiert worden,
berichteten offizielle chinesische Medien (The Times of India,
1.12.2007). In den ersten 17 Monaten nach ihrer Eröffnung
war die Eisenbahn nicht für Truppentransporte genutzt
worden, um nicht international Kritik zu provozieren. Kritiker
des umstrittenen Bahnprojekts hatten schon vor langer Zeit die
Befürchtung geäußert, China könnte die
Bahnlinie auch für militärische Zwecke einsetzen. Ein
nicht genannter Vertreter der Chinesischen Volksbefreiungsarmee
erklärte denn auch gegenüber der Nachrichtenagentur
Xinhua, dass die "Eisenbahn eine wichtige Option werden wird"
für den Transport von Truppen nach Tibet.
Doch auch ohne den regelmäßigen Transport von Soldaten
schafft die Eisenbahn viele Probleme für Tibet. Denn immer
mehr Zuwanderer kommen auf der Schiene in das tibetische
Hochland. Vor allem nach den großen Flutkatastrophen im
chinesischen Tiefland im Frühjahr 2007 hat der Zuzug von
Migranten stark zugenommen. In den Straßen Lhasas waren
tausende Zuwanderer auf der Suche nach Arbeit und Wohnung zu
finden. Die Preise für Grundnahrungsmittel und
alltägliche Gebrauchsgegenstände seien daraufhin stark
gestiegen, was wiederum die Inflationsrate in die Höhe
getrieben habe, berichteten Tibeter (TCHRD, 3.8.2007). Und immer
neue Bahnlinien sollen gebaut werden. Bis zum Jahr 2020 sind
sechs weitere Bahnstrecken und mehrere Stichstrecken von
einzelnen Punkten der Bahnlinie geplant. (Xinhua, 3.12.2008). Der
Bau einer zweiten Linie von Xining nach Golmud neben der bereits
bestehenden Strecke ist bereits begonnen und soll im Jahr 2012
fertig gestellt werden. Auch ist im April 2008 mit dem Bau einer
Bahnlinie von Lhasa nach Nepal begonnen worden (AFP , 26.4.2008).
Im Jahr 2010 soll eine Bahnlinie von Lhasa nach Shigatse ihren
Betrieb aufnehmen.
Erstmals räumten die Behörden im September 2008
offiziell ein, dass es vor allem nach der Eröffnung der
neuen Eisenbahnlinie ein Problem mit der unkontrollierten
Zuwanderung von Migranten gibt. Die Behörden in Tibet
sollten unbedingt die Bedeutung einer angemessenen Betreuung und
Steuerung des Zuzugs nach Tibet erkennen, forderte der
stellvertretende Parteisekretär in der TAR, Zhang Yijiong,
auf einer Pressekonferenz am 2. September (ICT, 16.9.2008).
Rund 20 Prozent der Bevölkerung der Volksrepublik gelten als
Wanderarbeiter . Aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise haben
Millionen ihre Arbeitsplätze verloren. So könnte auch
der Einwanderungsdruck in Tibet noch weiter zunehmen in den
nächsten Monaten. Doch gleichzeitig ist in Tibet die
wirtschaftliche Lage besonders kritisch geworden, weil mit dem
Zusammenbruch des Tourismus im Frühjahr 2008 auch sehr viele
Arbeitsplätze wegfielen. So überlegen nun auch in Tibet
viele eingewanderte Han-Chinesen, ob sie die Region nicht wieder
verlassen sollen. Ein neuerlicher Ausbruch von Unruhen würde
diesen Abwanderungsprozess sicherlich verstärken.
Sinisierung gefährdet Tibets
Identität [ oben ]
In der Autonomen Region Tibet und in den angrenzenden tibetischen
Siedlungsgebieten in chinesischen Provinzen ist die Einwanderung
von immer mehr Han-Chinesen und muslimischen Hui zur
größten Gefahr für den Fortbestand der
Identität Tibets geworden. In Lhasa werden immer neue
Stadtviertel errichtet, um die Zuwanderer ansässig zu
machen. So entsteht zurzeit der Liuwu New District, in dem
110.000 Menschen neue Wohnungen finden sollen. Nicht nur in Lhasa
geht der Anteil der tibetischen Bevölkerung deutlich
zurück, auch in tibetischen Siedlungsgebieten in
chinesischen Provinzen, die an die TAR angrenzen, wird eine
ähnliche Entwicklung beobachtet. So sind die Tibeter
inzwischen auch in fünf von zehn Tibetischen Autonomen
Präfekturen in der Minderzahl. So stellen die Tibeter
inzwischen in den tibetischen Siedlungsgebieten in der Provinz
Qinghai nur noch 20 Prozent der Bevölkerung. Chinas
Behörden bezweifeln regelmäßig diese
alarmierenden Zahlen und legen geschönte
Bevölkerungsstatistiken vor, die den Eindruck erwecken
sollen, dass die chinesische Zuwanderung nach Tibet nur minimal
ist. So sollen 92,6 Prozent der Bewohner Tibets noch immer
Tibeter und nur sechs Prozent Han-Chinesen sein (Xinhua,
11.4.2008). Jeder Augenschein lehrt auch den Reisenden eines
Besseren: Chinas wirksamste Waffe in seinen Bemühungen um
eine Assimilation Tibets ist die gezielte Förderung der
Einwanderung von Han-Chinesen und Angehörigen anderer
Nationalitäten in die tibetischen Siedlungsgebiete.
Selbst wenn viele Han-Chinesen das ungewohnte Klima im
tibetischen Hochland fürchten, so sind die in Aussicht
gestellten Vergünstigungen doch so interessant, dass viele
chinesische Migranten sich auf den Weg nach Tibet machen. Denn
dort erwarten die Zuwanderer zwei- bis dreimal höhere
Löhne, steuerliche Vergünstigungen und die zügige
Vermittlung von Wohnungen. Nirgendwo sonst als in Tibet und
Xinjiang / Ostturkestan werden chinesische Zuwanderer so
umfassend von den Behörden unterstützt.
Für die Tibeter ist diese Politik nicht nur ein
Ärgernis, sondern wird immer mehr zur Überlebensfrage.
Sie fürchten, China werde mit seiner
Bevölkerungspolitik gezielt Fakten schaffen und die
Sinisierung Tibets vorantreiben. Dank der neuen Eisenbahnlinien
und eines breitflächigen Ausbaus der Infrastruktur
könnte die Volksrepublik schon bald ihr Ziel in Tibet
erreichen und die Tibeter nicht nur in Lhasa, sondern in allen
tibetischen Siedlungsgebieten zur Minderheit im eigenen Land
gemacht haben. Mit der fortschreitenden Assimilation der
tibetischen Gesellschaft und Kultur sowie mit der massiven
Einmischung der Kommunistischen Partei in die inneren
Angelegenheiten des tibetischen Buddhismus drohen die Tibeter
ihre Identität zu verlieren. Nur glaubwürdige
Gespräche zwischen der chinesischen Führung und der
Exilregierung des Dalai Lama könnten eine dauerhafte und
friedliche Lösung der Tibet-Frage ermöglichen.
Gescheiterter sino-tibetischer Dialog
[ oben ]
Wenn ein Dialog Erfolge zeigen soll, dann müssen beide
Gesprächspartner verhandlungs- und kompromissbereit sein.
Vertrauen ist eine der Grundvoraussetzungen für jeden
erfolgreichen Dialog. Wenn eine Konfliktpartei nicht bereit ist,
die Gegenseite respektvoll zu behandeln und ihr zuzuhören,
steht es schlecht um die Chancen einer Kompromisslösung. Im
Falle Tibets, mangelt es nicht nur am respektvollen Umgang der
chinesischen Regierung mit den Tibetern, sondern es fehlt auch
grundsätzlich am politischen Willen, Ziel führende
Gespräche zu beginnen. Seit Jahrzehnten bemüht sich der
Dalai Lama ernsthaft um einen Dialog mit der chinesischen
Regierung über die Zukunft Tibets. Im August 1979 entsandte
er eine erste Fact-Finding-Mission nach Tibet, um Wege für
einen Dialog mit China zu suchen. Zwei weitere Tibet-Besuche von
Vertrauten des Dalai Lama folgten im Jahr 1980.
Im April 1982 besucht erstmals eine Delegation der tibetischen
Exilregierung Peking und bemüht sich um ernsthafte
Gespräche. Doch die tibetischen Unterhändler scheitern
mit ihren Bemühungen um einen nennenswerten Dialog. Eine
weitere Gesprächsrunde im Oktober 1984 führt ebenfalls
zu keinen Ergebnissen. Nachdem der Dalai Lama in einem Aufruf vor
dem Europaparlament am 15. Juni 1988 sein Interesse an einer
Verhandlungslösung bekräftigt, begrüßt China
im September 1988 die Gesprächsbereitschaft der Tibeter .
Als Vorbedingung nennt Peking, zur Diskussion könne nur eine
Lösung stehen, gemäß der Tibet ein Teil der
Volksrepublik China bleibe. Im Januar 1989 zieht Chinas
Führung ihr Verhandlungsangebot zurück. Im Oktober 2001
bemüht sich der ältere Bruder des Dalai Lama in Peking
um die Aufnahme glaubwürdiger Gespräche. Doch die
chinesische Führung behandelt ihn nicht als Abgesandten des
Dalai Lama.
Im September 2002 ist es dann endlich soweit. Eine
vierköpfige tibetische Delegation unter Führung des
Sondergesandten Lodi Gyari besucht Peking und Lhasa und
führt erste Gespräche mit Vertretern der chinesischen
Regierung. Weitere Gespräche finden in den folgenden Jahren
statt. Zuletzt trafen beide Seiten am 4./5. November 2008 in
Peking zu ihrer achten Gesprächsrunde zusammen. Die
tibetische Delegation bereitet sich regelmäßig
umfassend auf die Gespräche vor . Im Jahr 1999 hatte die
tibetische Exilregierung eine Task Force gebildet, die vor allem
diesen Gesprächsprozess mit China vorbereiten und begleiten
soll. Die Task Force unter Tibets Premierminister Professor
Samdhong Rinpoche tagte bereits 18 Mal, auch ein Indiz
dafür, wie ernst die tibetische Seite den
Gesprächsprozess nimmt.
Während der achten und bislang letzten Gesprächsrunde
übergab die tibetische Delegation in Peking ein Memorandum,
in dem die Eckpunkte einer tatsächlichen Autonomie für
Tibet aufgelistet sind. In dem Schriftstück bekräftigt
die Exilregierung ihr Festhalten an einer Autonomie Tibets
innerhalb des chinesischen Staatsverbandes und widerspricht somit
den Vorwürfen Pekings, tatsächlich für einen
unabhängigen Staat Tibet zu kämpfen. Betont wird in dem
Memorandum die Bedeutung eines besseren Schutzes des Sprache,
Kultur und Religion. Die Entwicklung und Förderung der
Wirtschaft sei wichtig, solle aber darauf abzielen, dass Tibet
sich selbst versorgen kann und nicht von anderen Provinzen
abhängig wird, heißt es in dem Memorandum. Besondere
Bedeutung wird einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
für Nicht-Tibeter in Tibet beigemessen. Auch vier Monate
nach der Überreichung des Memorandums hat Chinas
Führung noch nicht offiziell gegenüber der tibetischen
Exilregierung auf das Memorandum reagiert. Gegenüber
Drittländern hat Peking aber bereits die Ablehnung des
Memorandum signalisiert und dabei der tibetischen Exilregierung
vorgeworfen, mit der Präsentation des Memorandums Pekings
Autorität in der Region zu schwächen zu wollen
(Associated Press, 18.1.2009). Sowohl Chinas Regierung als auch
die Unterhändler des Dalai Lama zeigten sich enttäuscht
vom Ausgang der Verhandlungen im November 2008 und erklärten
die Gespräche für gescheitert. Gegenseitig wies man
sich die Schuld dafür zu (NZZ / BBC, 10.11.2008). Schon bei
der vorangegangenen Gesprächsrunde im Juli 2008 hatten viele
Beobachter Zweifel an der Gesprächsbereitschaft Pekings
geäußert und der chinesischen Regierung vorgeworfen,
die Unterredung nur zu führen, um die Olympiade in Peking
nicht zu gefährden (Washington Post, 6.7.2008).
Diffamierung des Dalai Lama [
oben ]
Als "Demagogen", "Saboteur","Manipulator der
Weltöffentlichkeit", "Drahtzieher der Unruhen" und "Wolf im
Schafpelz" bezeichneten offizielle chinesische Medien den Dalai
Lama im Jahr 2008 (Reuters, 28.4.2008 / BBC, 3.5.2008 / Phayul,
16.1.2009 / FAZ, 6.5.2008). Mehrfach wurde ihm unterstellt, in
Tibet eine Theokratie und den Feudalismus wieder herstellen zu
wollen (Associated Press, 12.12.2007 / UPI, 4.12.2008).
Mit so absurden Vorwürfen, die zum Teil nur wenige Stunden
vor neuen Gesprächsrunden in offiziellen chinesischen Medien
verbreitet wurden, schafft man keine vertrauensvolle
Atmosphäre für einen glaubwürdigen Dialog. So
mangelt es bei der Pekinger Führung an
Gesprächsbereitschaft und politischem Willen, mit diesem
Dalai Lama eine dauerhafte und für alle Seiten befriedigende
Lösung des Tibet-Problems zu finden. Peking verspielt dabei
eine Chance, denn mit keinem Nachfolger dieses Dalai Lama
dürfte es leichter werden einen vertretbaren Kompromiss in
der Tibet-Frage zu erzielen. Alle potentiellen Nachfolger werden
nicht über die Integrationskraft dieses Dalai Lama
verfügen und mehr Schwierigkeiten haben, die Zustimmung der
Tibeterinnen und Tibeter für Zugeständnisse
gegenüber der chinesischen Regierungsseite zu erhalten, um
eine dauerhafte Lösung der Tibet-Frage zu erzielen.
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090309de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090210de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090127de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090120de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090112de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090105de.html
| www.gfbv.it/3dossier/asia/tibet.html |
www.gfbv.it/3dossier/asia/china.html |
www.gfbv.it/3dossier/asia/china1.html
in www: www.freetibet.org | www.tchrd.org | www.hrichina.org