In: Home > DOSSIER > Aufruhr der indigenen Vertreter beim Permanenten Forum der UN
Von Katja Wolff, Rebecca Sommer
Bozen, Göttingen, Juli 2008
Teilnehmer der letzten Sitzung des Permanten Forums 2008 rebellieren lautstark gegen den Abschluss-Report. Foto: Arthur Manuel.
2. Mai 2008. Die Jahrestagung des Permanenten Forums für
indigene Angelegenheiten (PFII) am Hauptsitz der Vereinten
Nationen in New York geht nach drei Wochen zu Ende. 70 Staaten
und über 3.000 Vertreter indigener Völker aus aller
Welt haben an diesem siebten Treffen teilgenommen. Doch New York
ist teuer, deshalb sind viele bereits wieder abgereist. An diesem
letzten Sitzungstag ist der Saal kaum zur Hälfte
gefüllt. Nur der Abschlussreport soll noch verabschiedet
werden.
Stattdessen kommt es zum Eklat. Die noch anwesenden indigenen
Vertreter, insbesondere die aus Süd- und Mittelamerika, sind
erbost: Während der gesamten Tagung haben sie immer wieder
deutlich gemacht, dass sie den Emissionshandel um CO² sehr
kritisch sehen und ein Pilotprojekt der Weltbank im Rahmen der
"Clean Energy Mechanisms" ("Saubere Energiemechanismen")
konsequent ablehnen. Aber nachdem PFII-Berichterstatter Mick
Dodson aus Australien den Abschlussreport Zeile für Zeile
vorgelesen hat, wird klar, dass ihre Meinung übergangen
wurde. Entgegen ihrer wiederholten Forderungen, wurden zwei
Artikel (5, 37), die die "Clean Energy Mechanisms" lobend
hervorhoben, nicht aus dem Bericht herausgenommen.
"Wir verlangten, dass die Artikel 5 und 37 gestrichen werden. Artikel 42 hinzuzufügen, ist nicht gut genug." Rocio Rocio Velandia-Calle (International Native Tradition Interchange)
Zornig und enttäuscht fordern die Delegierten deshalb die
Vorsitzende des Permanenten Forums Victoria Tauli-Corpuz, eine
indigene PFII-Expertin vom Volk der Kankanaey-Igorot von den
Philippinen, auf, ihnen entgegen der vorgesehenen Tagesordnung
Rederecht zu gewähren. Keiner von ihnen sitzt mehr auf
seinem Stuhl. Sie fühlen sich übergangen, ignoriert.
Umsonst angereist. Ihre Einwände wurden nicht beachtet. Wie
kann das sein? Ist doch das Permanente Forum speziell für
die Diskussion der Bedenken, Beschwerden, Sorgen und Empfehlungen
der Ureinwohner aus aller Welt eingerichtet worden.
Doch statt sie reden zu lassen und die Situation zu entspannen,
schickt die UN bewaffnete Sicherheitsleute in den Saal. Die
wissen augenscheinlich auch nicht so genau, was sie tun sollen.
Zwar stehen und rufen fast alle Sitzungsteilnehmer durcheinander,
doch niemand randaliert. Der Protest ist friedlich, aber
bestimmt. Das Auftauchen der uniformierten Sicherheitsleute heizt
die Stimmung weiter an. Inzwischen fordern nicht nur die aus
Süd- und Mittelamerika, sondern auch die aus anderen
Regionen der Welt angereisten Delegierten immer vehementer
"¡La palabra!", das Wort. Sie rufen, klatschen,
trampeln.
"Das Permanente Forum ist die Stimme der UN, daran gibt es keinen Zweifel mehr. Es ist nicht die Stimme der indigenen Völker." Roy Laifungbam, Vertreter Meitei Nation aus Indien (Centre for Organisation Research & Education - CORE)
Tauli-Corpuz und all die anderen auf dem Podium sind ratlos. Sie diskutieren, gestikulieren. Schließlich bieten sie der aufgeregten Menge an, nach Ende der Sitzung vorzusprechen - und lösen damit eine Welle lauten und entschlossenen Widerspruchs aus. Die Protestierenden fordern das Rederecht. Hier und jetzt. Es geht um Sie, die indigenen Völker. Sie sollten hier - beim Permanenten Forum und in seinem Abschlussreport - im Mittelpunkt stehen, niemand sonst. Das wollen sie ein für alle Mal klarstellen.
"Sie haben Artikel in unserem Namen in den Bericht eingefügt, als gäben sie unsere Meinung wieder. Später wird sich die Weltbank auf sie berufen, als würden wir mit ihnen übereinstimmen. Aber das tun wir nicht." Miguel Miguel Ibanez (Habitat Pro Association)
Dann haben sie es plötzlich geschafft, ihre "Mai-Revolte"
hat Erfolg: Das Sicherheitspersonal wird aus dem Raum geschickt.
Florina López , eine Vertreterin der Kuna aus Panama, darf
die Beschwerden der süd- und mittelamerikanischen
Delegierten stellvertretend vortragen.
Ein zentraler Punkt in dieser aus den Fugen geratenen
Auseinandersetzungen um die "Clean Energy Mechanisms" ist eine
Initiative der Weltbank namens REDD (Reduced Emissions from
Deforestation in Developing Countries). Durch eine reduzierte
Abholzung von Wäldern in Entwicklungsländern,
insbesondere in der südlichen Hemisphäre, soll REDD zur
Senkung des CO²-Ausstoßes beitragen und damit den
Klimawandel dämpfen. Die entsprechenden Regierungen bekommen
Geld, um bestimmte Wälder zu erhalten anstatt sie für
Erdölförderung oder ähnliche Projekte freizugeben.
Alle anderen Waldgebiete wären weiterhin nicht vor
Abholzungen geschützt.
Im Rahmen von REDD können Firmen damit sogenannte
CO²-Fallen kaufen - also Bäume im Süden. Im
Gegenzug können sie beispielsweise fossile
Brennstoffproduktionen und andere
Energiegewinnungsmaßnahmen auf der Nordhalbkugel weiter
ausbauen und die dadurch erhöhte CO²-Emission wieder
"ausgleichen". Bereits während der ersten Woche des PFII
brachten Vertreter indigener Völker in zahlreichen
Stellungnahmen ihren Widerstand gegen die REDD-Initiative zum
Ausdruck.
"Wie kann man Luft privatisieren? Das ist es, was sie tun. Und die UN glaubt das auch noch. Wir wissen, dass es falsch ist." Tom Goldtooth, indigener Vertreter aus Nordamerika (Indigenous Environmental Network)
Der Hauptfinanzier dieses Vorhabens ist die Weltbank. 250
Millionen US-Dollar will sie in ihr Pilotprojekt stecken. Doch
viele indigene Völker fürchten, in einem solchen
Prozess übergangen zu werden und keinen Einfluss darauf zu
bekommen, ob ihre Heimatwälder privatisiert oder
kommerzialisiert werden. Es wäre schließlich nicht das
erste Mal, dass sie in solche Entscheidungen nicht mit einbezogen
werden würden, deren Hauptleidtragende sie zugleich sind. So
verletzen marktorientierte Mechanismen wie der
CO²-Emissionshandel, die Produktion von Agrarbrennstoffen
sowie freiwillige CO²-Ausgleich-Projekte, die Abholzungen in
bestimmten Gebieten verhindern sollen, oft die fundamentalen
Menschenrechte indigener Völker.
Schon bei Konsultationen mit der Weltbank in Süd- und
Mittelamerika waren Vertreter der indigenen Völker
aufgestanden und hatten aus Protest die Gespräche
abgebrochen. Dass nun auch das Permanente Forum ihre Interessen
missachtete, brachte das Fass zum Überlaufen.
"In Wirklichkeit fragen sie uns nie um unseren Rat. Sie bezahlen ein paar indigene Verräter, die hinter verschlossenen Türen verhandeln. Später wird die Weltbank dann sagen, dass allem zugestimmt worden ist. Aber trotz der vielen Verhandlungen in Hinterzimmern mit indigenen Gruppen oder Vertretern, für die die Weltbank kleine Projekte finanziert, sodass diese das Gefühl haben, allem zustimmen zu müssen, sind die indigenen Vertreter aufgestanden und haben diese Konsultationen verlassen - das sollte uns etwas sagen." Nicolas Chango, indigener Vertreter aus Ecuador
Anstatt die strittigen Artikel 5 und 37 zu streichen, wurden dem Abschlussbericht des PFII zwei Zusatzartikel (41, 42) angefügt - ein halbherziger Beschwichtigungsversuch: Darin wird angemerkt, dass sich die meisten indigenen Vertreter ausdrücklich gegen die REDD-Initiative der Weltbank verwahren. Außerdem enthalten sie die Aufforderung, bei REDD-Programmen den Wille der lokalen indigenen Bevölkerung sowie die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker zu respektieren. Die Frage ist nur: Werden sich Regierungen und globale Konzerne an solche Aufrufe halten?
Was ist das Permanente
Forum?
Das Permanente Forum für Indigene Angelegenheiten (PFII) ist
eine beratende Institution für den Wirtschafts- und
Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Es wurde am 28. Juli
2000 gegründet mit dem Mandat, "indigene Angelegenheiten
innerhalb des Mandats des Rates in Bezug auf ökonomische und
soziale Entwicklung, Kultur, die Umwelt, Bildung, Gesundheit und
Menschenrechte zu diskutieren." So soll das Permanente Forum
Expertenwissen und Empfehlungen in indigenen Angelegenheiten an
die UN durch den Rat weitergeben.
Das Permanente Forum besteht aus 16 unabhängigen Experten,
die jeweils drei Jahre lang als Mitglieder tätig sind. Acht
von ihnen werden durch Regierungen ernannt und die anderen acht
direkt von indigenen Organisationen in ihren Regionen
gewählt. Sie dürfen einmal wiedergewählt bzw.
-ernannt werden.
Quelle: www.un.org/esa/socdev/unpfii/index.html
Aus pogrom-bedrohte Völker 248 (3/2008)
Vedi anche in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/palmoel.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html |
www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-nord/lubicon.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-nord/indtrust.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/0608report-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/06report.html
| www.gfbv.it/3dossier/siberia/artic2006-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/siberia/klima2006-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/asia/penan.html
www: http://en.wikipedia.org/wiki/Indigenous_people
| www.wrm.org | www.ienearth.org | www.youtube.com/user/SommerFilms:
www.youtube.com/watch?v=UtORVi7GybY