Bozen, 24. Juni 2004
An den Ministerpräsident Silvio Berlusconi,
an den Regionenminister Enrico La Loggia,
an den Außenminister Franco Frattini
Sehr geehrte Herren,
Zum Abschluß des Europa-Wahlkampfes von Forza Italia hat
sich Außenminister Franco Frattini in Bozen/Südtirol
klar und deutlich für die Rechte der Angehörigen von
Sprachminderheiten ausgesprochen. Während der italienischen
EU-Ratspräsidentschaft ist es Minister Frattini gelungen,
eine entsprechende Formulierung auch im EU-Verfassungsentwurf
festzuschreiben.
Damit hat Italien dafür gesorgt, Geist und Inhalt der
Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten und der
Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates
sowie der UN-Minderheitendeklaration (Resolution 47/135,
18.12.92) in die künftige EU-Verfassung einzubringen.
Unverständlicherweise wandte sich Minister Frattini aber
gegen die Selbstverwaltung der Sprachminderheiten, gegen ein
Europa der Regionen. Laut Minister Frattini sind diese Regionen
eine Gefahr für die EU, weil sie umzäunte Reservate
seien, "kleine Vaterländer", die eine Union der
Nationalstaaten und Nationen verhindere. Frattini stellte damit
die Regionen, die im EU-Ausschuß vertreten sind, als
"reaktionäres" Gegenstück zu einer demokratischen EU
da.
Warum soll eine Dezentralisierung der EU ein Rückschritt
sein? Was spricht gegen die regionale Selbstverwaltung der
Minderheitenregionen? Ist es zulässig, die angenommene
nationalstaatliche demokratische Offenheit der vermuteten
regionalen Engstirnigkeit der Minderheiten
gegenüberzustellen? Kennt die italienische Regierung die
"Gemeinschaftscharta der Regionalisierung" des Europapaparlaments
aus dem Jahr 1988? In dieser Entschließung sprach sich das
Europaparlament klar für die Regionen als dritte Ebene einer
künftigen EU-Verfassung aus, für die regionale
Selbstverwaltung von Sprachminderheiten, für die
grenzüberschreitende Zusammenarbeit, wie sie ja auch von der
italienischen Sprachgruppe im slowenischen und kroatischen
Istrien mit Friaul-Julisch-Venetien angestrebt wird.
Die von Minister Frattini hochgelobte nationalstaatliche
Offenheit lässt zu wünschen übrig. In Italien
verhinderte engstirniges nationalstaatliches Denken auf der
linken und rechten Seite lange Zeit die Umsetzung des
Verfassungsartikels 6. Erst die Mitte-Links-Regierung
erließ ein entsprechendes Rahmengesetz, das endlich den
sprachlichen Pluralismus der italienischen Republik anerkannte.
Ihre mittelinken Vorgänger ratifizierten auch die
Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des
Europarates - unter heftigem Protest von Mitte-Rechts. Die
Rahmenkonvention anerkannt die Rechte der Angehörigen von
Minderheiten, ein Konzept, wie es von Minister Frattini
favorisiert wird.
Enttäuschend deshalb der von Italien an den Europarat
übermittelte Bericht über die Umsetzung der
Rahmenkonvention. Ein Großteil der Aktivitäten
zugunsten der 13 Sprachminderheiten sind laut Bericht
Veröffentlichungen, Konferenzen und Tagungen. Das sind
letztendlich Schein-Aktivitäten, die Initiativen nur
vortäuschen. Italien führt auch das Gesetz für die
slowenische Sprachgruppe in Friaul als Umsetzung der
Rahmenkonvention an. Er soll darin erinnert werden, dass die
Mitte-Links-Regierung dieses Gesetz genehmigte, Ihre
Koalitionspartner von Alleanza Nazionale es zu verhindern
versuchten. Aufgrund des Gesetzes sollen zweisprachige
slowenisch-italienische Personalausweise erlassen werden,
unterlassen wurde bisher auch die Anerkennung des zweisprachigen
slowenischen Sprachgebietes durch die Regierung.
Ungeregelt ist bisher der garantierte Zugang der
Sprachminderheiten zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nur
einige wenige Minderheiten, die deutschsprachigen Südtiroler
und ein Teil der Slowenen, verfügen über ein
akzeptables Rundfunk-Angebot, die große Mehrheit der
Sprachminderheiten hingegen wird von der Rai - trotz Gesetz und
entsprechendem Abkommen - nicht mit muttersprachlichen Sendungen
versorgt.
Domenico Morelli vom Confemili kritisiert zurecht
Telekommunikationsminister Gasparri. Auch er sollte im
Staatenbericht über die Umsetzung der
Minderheitenbestimmungen im Medienbereich informieren. Gasparri
unterließ es, weil sein Ministerium die entsprechenden
Empfehlungen bisher nicht zur Kenntnis genommen hat. Das ist
nationalstaatliche Engstirnigkeit zum Schaden der Minderheiten.
Das Confemili kritisierte das von Gasparri ausgearbeitete und von
der Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament genehmigte Mediengesetz.
Im Gesetz steht kein Wort über die Radio- und TV-Versorgung
jener Staatsbürger, die Angehörige der
Sprachminderheiten sind. Dies ist eine bewusste Ausgrenzung,
letztendlich eine Diskriminierung von Staatsbürgern.
Offenbar ist es für diese Regierung kein Anliegen, die
mediale Versorgung der Sprachminderheiten in deren Muttersprache
zu garantieren.
Als positiv werden im Report die mehrsprachigen Projekte an den
Schulen der Minderheiten angeführt. Das reicht noch nicht.
Das Recht auf Bildung steht auch den Angehörigen der
Minderheiten zu, dieses Recht auf Bildung heißt aber auch
Bildung in der eigenen Muttersprache, heißt
Mehrsprachigkeit vom Kindergarten bis zu den Oberschulen. Ein
doch europäisches Anliegen, das wenig mit Abkapseln in
Reservaten zu tun hat.