Bozen, Temuco, 15. Juli 2005
Die Beobachtungsstelle für den Schutz der
Menschenrechtsvertreter, die von der Weltorganisation gegen die
Folter (OMCT) eingerichtet worden ist, und die Internationale
Föderation der Menschenrechtsligen (FIDH) haben Beobachter
nach Temuco/Chile entsandt. Dort wird seit 13. Juli 2005 der
Prozess gegen die Lonko (traditionelle Mapuche-Führer)
Pascual Pichún Paillalao und Aniceto Norín Catriman
sowie 14 weitere Mapuche geführt. Sie sind angeklagt, eine
Vereinigung zur Durchführung von terroristischen
Aktivitäten gegründet zu haben. Luis
Rodríguez-Piñero Royo wurde von der
Beobachtungsstelle nach Temuco entsandt. Der Professor für
Recht und Politik der indigenen Völker an der
Universität von Arizona und Experte für internationale
Rechte der indigenen Völker soll beim dortigen Prozess die
Einhaltung der internationalen Menschenrechte
überwachen.
Die angeblich terroristischen Handlungen der Angeklagten
bestehen darin, dass sie mit der Gruppe Coordinadora Arauco
Malleco (CAM) in Verbindung gebracht werden. Diese hatte zwischen
1997 und 2000 bei verschiedenen Protestkundgebungen mitgemacht,
bei denen es zu Brandstiftung und Schäden an Privateigentum
gekommen war. Derzeit müssen die Angeklagten harte
Haftstrafen absitzen, da auf sie das Antiterrorismus-Gesetz (Nr.
18.314) angewandt wird. Dies hat bereits nationale und
internationale Proteste ausgelöst. Der Prozess ist bereits
der zweite zum gleichen Fall. Der erste fand im November 2004
statt, bei dem alle Angeklagten wegen Mangels an Beweisen
freigesprochen worden sind. Das Urteil ist jedoch
anschließend vom Höchstgericht annulliert worden -
trotz heftiger Proteste.
Die Anwendung des Antiterrorismus-Gesetzes gegen
Mapuche-Führer, die sich gegen den Entzug ihres Landes
einsetzen, ist von verschiedenen internationalen Organisationen
bereits des Öfteren kritisiert worden. Im Jahr 2003 hat
Rodolfo Stavenhagen, Verantwortlicher für indigene
Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen, die chilenische
Regierung gerügt. Sie solle endlich Maßnahmen
ergreifen, damit das Volk der Mapuche wegen ihrer legitimen
Proteste gegen die Wegnahme von Land und sozialer Benachteiligung
nicht kriminalisiert werde. Zum selben Schluss kam auch das
Komitee für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechte der Vereinten Nationen in seinem letzten Chile-Report.
Außerdem behängen bei der interamerikanischen
Kommission für Menschenrechte fünf Eingaben gegen die
chilenische Regierung. Sie betreffen allesamt Prozesse gegen
Mapuche, die wegen des Antiterrorismus-Gesetzes gerichtlich
belangt wurden. Die Beobachtungsstelle hofft, dass das Gericht
von Temuco ein Urteil fällt, dass den Normen des
internationalen Menschenrechts entspricht. Vor allem der
Internationale Pakt zu den zivilen und politischen Rechten
müsse eingehalten werden. Artikel 14.1 legt darin fest, dass
vor dem Gericht alle gleich zu behandeln seien. "Jedes Individuum
hat das Recht auf eine gleiche und öffentliche Anhörung
vor einem ordentlichen Gericht, das unabhängig und
unparteiisch ist, wie vom Gesetz vorgesehen."
Die Beobachtungsstelle rät der chilenischen Regierung von
allen Maßnahmen Gebrauch zu machen, die für einen
ausgeglichenen Prozess notwendig sind. Sollten keine Beweise
gegen die Angeklagten vorliegen, so die Beobachtungsstelle,
müssten alle Anklagepunkte gegen sie fallen und die
Angeklagten umgehend frei gelassen werden. Sollten ihre Rechte
verletzt worden sein, haben sie Anrecht auf eine entsprechende
Entschädigung. Die Beobachtungsstelle kommt außerdem
zum Schluss, dass der chilenische Staat seinem internationalen
Auftrag nur dann nachkommen kann, wenn das Antiterrorismus-Gesetz
- das noch aus der Diktatur von Augusto Pinochet stammt - endlich
abgeschafft wird. Dieses Gesetz verletze nämlich das
Prozessrecht und werde derzeit politisch gegen indigene
Aktivisten missbraucht.