Irakische Verfassung
Gleichberechtigung der kurdischen Sprache ist Fortschritt -
Religiöse Minderheiten weiterhin diskriminiert
Bozen, Göttingen, 26. August 2005
Während Schiiten und Sunniten im Irak noch immer
über den Entwurf der zukünftigen Verfassung streiten,
liegen die Passagen über die Rechte der Minderheiten bereits
fest. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
begrüßt es als beispielhafte und bisher einmalige
Regelung in der arabischen Welt, dass neben dem Arabischen eine
zweite Amtssprache, das Kurdische, offiziell darin anerkannt
worden ist. Kurdisch wird von etwa fünf Millionen irakischen
Staatsbürgern gesprochen. Nach jahrzehntelangen
Kriegsverbrechen und Genozid an etwa 500.000 Kurden (1961-2002)
gewährt ihnen nun eine autonome Teilrepublik Sicherheit, so
dass sich nach menschlichem Ermessen Verbrechen wie in der
Vergangenheit nicht wiederholen werden.
Die GfbV bedauert jedoch, dass die Rechte nicht-muslimischer
Minderheiten durch den Druck radikaler islamischer Kreise nicht
ausdrücklich in der Verfassung verankert und damit
geschützt werden. Der Verfassungsentwurf identifiziert den
Islam als Quelle der Rechtssprechung, gegen seine Prinzipien darf
nicht verstoßen werden. Die islamischen religiösen
Rechte und Bräuche werden explizit garantiert. Das Nachsehen
haben Christen, Mandäer und Yeziden:
- 1. Im Irak leben etwa 650.000 Christen, die bis heute die
Muttersprache Jesu, das Aramäische in einer neuen Variante,
sprechen. Sie finden durch die Bezeichnung Chaldäer und
Assyrer Eingang in die Verfassung, werden aber nicht als
Angehörige der christlichen Religion geschützt. Seit
dem Ende der "heißen" Phase des Krieges werden sie Opfer
von Ermordungen, Entführungen, Kirchenzerstörungen und
Vertreibungen gerade aufgrund der Tatsache, dass sie Christen
sind. Die irakischen Christen gehören heute fünf
Konfessionen an. Zehntausende von ihnen mussten nach Syrien,
Jordanien und in den Nordirak fliehen.
- 2. Die nur etwa 50.000 ebenfalls aramäisch-sprachigen
Mandäer berufen sich auf Johannes den Täufer und sind
eine der ältesten Religionsgemeinschaften im mesopotamischen
Raum. Auch sie haben zahlreiche Opfer zu beklagen. Hunderte
Mandäer wurden entführt, Geschäfte zerstört.
Als sehr kleine Glaubensgemeinschaft haben sie kein
schützendes Netzwerk und sind der Willkür der
islamistischen Gruppen besonders stark ausgesetzt. Hunderte
mandäische Familien sind schon nach Syrien oder nach
Jordanien geflüchtet, nachdem sie häufig nur ihr
nacktes Leben retten konnten. Sie werden in diesen Staaten jedoch
nicht als Flüchtlinge anerkannt, haben kein Recht zu
arbeiten, ihre Kinder können die Schule nicht besuchen und
sie leben häufig in größter Armut.
- 3. Die rund 600.000 kurdisch-sprachigen Yeziden gehören
einer alten eigenständigen Religion an, die auf
mündlicher Überlieferung beruht. Sie wurden wie die
muslimischen Kurden Opfer der Vernichtungspolitik unter Saddam
Hussein. Besonders schwierig ist ihre Lage durch die Verfassung
deshalb, weil ihnen die darin verankerte allgemeine
Religionsfreiheit keinen Schutz gewährt. Das Yezidentum ist
in den Augen vieler Iraker keine Religion, da es keine
Buchreligion ist. Fanatische Moslems ziehen zur Legitimierung der
Verfolgung von Yeziden Quellen des Koran heran. Die Yeziden
wurden in der Türkei so massiv verfolgt, dass schon in den
80er Jahren fast alle flüchten mussten. Allein in
Deutschland sind rund 40.000 von ihnen ansässig
geworden.