Bozen, Göttingen, 9. September 2005
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat eine
neue Kampagne zur Abschaffung des so genannten
Anti-Terrorismus-Gesetzes in Chile gestartet. Damit will die
internationale Menschenrechtsorganisation erreichen, dass die
Kriminalisierung von Repräsentanten der indianischen
Bürgerrechtsbewegungen beendet wird und inhaftierte
Mapuche-Indianer freigelassen werden.
"Das Gesetz Nr. 18.314 macht Mapuche-Indianer in Chile zu
Terroristen, nur weil sie mit Mitteln des zivilen Ungehorsams ihr
legitimes Recht auf Rückgabe ihres geraubten Landes
einfordern", erläutert die GfbV-Referentin Yvonne Bangert.
"Mapuche-Bürgerrechtler beklagen, dass sie schon allein
deshalb wegen Terrorismus angeklagt werden können, weil sie
auf die Enteignung ihrer Ländereien unter der
Pinochet-Diktator zum Beispiel mit friedlichen
Protestmärschen oder Kundgebungen aufmerksam machen.
Gewaltfreie Aktionen richteten sich auch gegen den Rassismus,
unter dem ihr Volk auch heute noch vielfach leidet." Die
Besetzung von Waldgebieten der Mapuche, die heute als
Holzplantagen für die Zellstoffindustrie genutzt werden,
oder die Blockade von Zufahrtsstraßen zu dem Besitz von
Forstkonzernen könnten ebenfalls zur Anklage auf Grundlage
des Antiterrorismus-Gesetzes führen. "Terroristische
Brandstiftung gegen Fahrzeuge, Maschinen oder Holzstapel sind
dann die üblichen Anklagepunkte", berichtet Bangert. "Es
sind meist einfache Bauern, die gegen Großgrundbesitzer um
ihre nackte Existenz kämpfen."
"Ein solches Gesetz, das noch aus der Zeit der Diktatur 1973-1990
stammt und 1997 sogar noch verschärft wurde, ist einer
Demokratie nicht würdig", kritisiert die GfbV in einem
Schreiben, dass an Hunderte Adressen von Regierung,
Parlamentariern, NGOs und Medien in Chile, der EU und anderen
Staaten versandt wird. "Dieses Gesetz, das gezielt gegen die
Menschenrechte einer ethnischen Minderheit gerichtet wird, muss
abgeschafft werden." Ausdrücklich begrüßt die
GfbV in ihren Schreiben jedoch auch die jüngste
Verfassungsreform in Chile als eine wichtige Weiche hin zur
Verarbeitung der Vergangenheit. Die chilenische Regierung fordert
die GfbV in ihrer Kampagne dazu auf, die zu hohen Haft- und
Geldstrafen verurteilten und inhaftierten
Mapuche-Bürgerrechtler Patricia Troncoso Robles (36),
Pascual Pichún Paillalao (52), Rafael Pichún
Collonao (21), Aniceto Norin Catriman (43), Victor Ancalaf Llaupe
(37), Florencio Jaime Marileo Saravia (27), José Marileo
Saravia (31) und Juan Huenulao Lielmil (38) umgehend
freizulassen. Laufende Verfahren gegen andere nach dem
Antiterrorismus-Gesetz angeklagte Bürgerrechtler
müssten eingestellt werden.
Zum Prozess gegen Mapuche-Repräsentanten kommt es oft erst
nach monatelanger Untersuchungshaft. Die Anklage darf anonyme
Zeugen vorbringen, deren Aussage von der Verteidigung nicht
geprüft werden kann. Geld- und Haftstrafen sind
ungewöhnlich hoch. International renommierte
Menschenrechtler wie etwa der UN-Sonderberichterstatter für
Indigene Völker, Rodolfo Stavenhagen, kritisieren scharf die
Anwendung einer solchen Sondergesetzgebung bei vergleichsweise
harmlosen Vergehen gegen Sachen, die nicht darauf abzielten,
Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Die Mapuche sind
die größte Ureinwohnergruppe Chiles. Sie stellen mit
rund 1,3 Millionen Menschen fast zehn Prozent der
Gesamtbevölkerung Chiles. Sie haben ihr Land Jahrhunderte
lang gegen die Inka und die spanische Konquista verteidigt, erst
der junge chilenische Staat konnte sie Ende des 19. Jahrhunderts
unterwerfen. Ihr Land wurde zwischen Chile und Argentinien
geteilt. Vielen blieben durch den Landraub vor allem in der
Pinochet-Diktatur nur so kleine Flächen, dass inzwischen
fast die Hälfte der Mapuche in den Städten leben
müssen.