Bozen, Göttingen, 24. November 2005
Anlässlich der bevorstehenden Parlamentswahlen in
Tschetschenien am kommenden Sonntag (27.11.) zieht die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in einer
Vorabveröffentlichung ihres neuen 35-seitigen Reports
über die aktuelle Menschenrechtslage in Tschetschenien und
die Auswirkungen des Krieges auf die Nachbarrepubliken sowie die
russische Gesellschaft Bilanz. "Die Parlamentswahlen werden
keinen Frieden bringen", befürchtet die
Menschenrechtsorganisation, "im Gegenteil, sie werden die
Spaltung der tschetschenischen Gesellschaft vertiefen. Denn die
gezielte Teile-und-herrsche-Politik Russlands in Tschetschenien
und den Nachbarrepubliken führt dazu, dass sich die
Gewaltspirale weiter dreht: Russlands Politik bereitet den
Nährboden für terroristische Verbrechen."
Von der neuen Bundesregierung forderte die GfbV eine Kurswechsel
gegenüber dem Kreml: "Die guten Beziehungen zu Russland
müssen genutzt werden, um Menschenrechte für
Tschetschenien einzufordern und auf Missstände in Russland
aufmerksam zu machen." Dem Report zufolge haben die
Menschenrechtsverletzungen in den Wochen vor den Wahlen weiter
zugenommen. Jede Nacht verschwinden Menschen, die dann in den
Folterkellern der unterschiedlichen russischen, pro- russischen
oder auch tschetschenischen Gruppen auftauchen. In der Bergregion
werden immer wieder Dörfer bombardiert. Nicht nur die
quälendsten Probleme der Zivilbevölkerung, das
Verschwindenlassen von Zivilisten, Morde, die Willkür der
Sicherheitskräfte und die vollkommene Straflosigkeit, waren
im Wahlkampf tabu. Auch das wichtigste Thema, die Suche nach
einer friedlichen Lösung des seit elf Jahren anhaltenden
Krieges, wird ignoriert.
Als besonders erschreckend bezeichnet es die
Menschenrechtsorganisation, dass rassistische und antisemitische
Gewalt in Russland im Verlauf des Tschetschenienkriegs stark
zugenommen haben. Jüngstes Opfer sei der 20 Jahre alte St.
Petersburger Student und Antifaschist, Timur Katschavara, der am
13.11.2005 nach fünf Messerstichen in den Hals noch am
Tatort verstarb. Die Angreifer flohen und konnten bislang nicht
ermittelt werden. Nachdem tschetschenische
Menschenrechtsorganisationen seit Jahren verfolgt und schikaniert
worden seien, bereite die russische Regierung nun auch den
Angriff auf russische Organisationen vor. Ein Gesetzesentwurf,
der die Arbeit ausländischer Stiftungen erschweren und es
den Behörden leicht machen wird, gemeinnützige
Organisationen zu verbieten, wurde am Mittwoch, den 23.11., in
erster Lesung angenommen.