Bozen, Göttingen, 2. November 2005
Die russische Steuerfahndung wird zum Erfüllungsgehilfen
für die Verfolgung von Menschenrechtlern in Tschetschenien.
Diesen Vorwurf hat die Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) anlässlich des Prozesses gegen den
Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation
"Gesellschaft für russisch-tschetschenische Freundschaft"
und Chefredakteur der Zeitung "Recht und Schutz", Stanislav
Dmitriewski, erhoben, der am Mittwoch in Nischny Nowgorod
beginnt. Seine Gesellschaft wurde am 16. Juni 2005 von der
Steuerfahndung aufgefordert, 35.000 US Dollar Einkommenssteuer
für die Jahre 2002 bis 2004 nachzuzahlen. Gegen diesen
Bescheid hat sie Widerspruch eingelegt. Die
Menschenrechtsorganisation finanziert ihre Arbeit mit Geldern der
Europäischen Kommission und US-amerikanischer
Sponsoren.
"Nun sollen die wenigen mutigen Menschenrechtler mundtot gemacht
werden, die es trotz Gefahr für Leib und Leben wagen, die
Blockade gegen Informationen aus Tschetschenien zu durchbrechen",
warnte die GfbV-Kaukasus-Expertin Sarah Reinke am Dienstag in
Göttingen. Seit 1994 seien mindestens 13
Menschenrechtsaktivisten ums Leben gekommen, einige von ihnen
waren Mitglieder der "Gesellschaft für russisch-
tschetschenische Freundschaft". Diese dokumentiert und
veröffentlicht Nachrichten über schwere
Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und unterstützt
Angehörige von "Verschwundenen" bei der Suche nach ihren
verschleppten Verwandten.
Die Steuerbehörde beruft sich bei ihrer Forderung gegen die
"Gesellschaft" auf ein Gesetz, nach dem 24 Prozent der
ausländischen Einkommen in Russland als Steuern
abgeführt werden müssen. Es gibt jedoch eine Liste all
jener ausländischen Organisationen, die von dieser
Besteuerung ausgenommen wurden, darunter auch die
Europäische Kommission. Dem ersten Protest der
"Gesellschaft" gegen den Steuerbescheid wurde deswegen zuerst
auch stattgegeben. Gleichzeitig wurde jedoch ein neuer Vorwurf
erhoben, berichtete Reinke. Die "Gesellschaft" habe die von der
Europäischen Kommission zugeteilten Gelder nicht so
verwendet, wie es das die russischen Steuergesetzte vorsehen,
hieß es. Die Mittel seien für Publikationen und nicht
für Bildungs-, Kultur-, Kunst- und Umweltprojekte eingesetzt
worden, wie in den Bestimmungen vorgesehen. Die
Menschenrechtsorganisation hat auch gegen diesen Bescheid Klage
eingereicht. Trotzdem wurden die gesamten Gelder der Organisation
eingezogen.