Von Wolfgang Mayr
Bozen, 22. März 2004
Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit werden laut ECRI in Deutschland verharmlost;
die Kommission ist besorgt über den zunehmenden
Antisemitismus und die gewalttätigen Angriffe gegen
Einrichtungen der jüdischen Gemeinde: Schändungen
jüdischer Friedhöfe und Sprengstoffanschläge. Die
Kommission appelliert deshalb an Politiker, religiöse
Gruppen, die Medien und an die Bürger, sich gegen den
Antisemitismus zu stellen. Die Medien sollten deutlich Position
beziehen. Die Kommission warnte auch davor, die jüdische
Einwanderung nach Deutschland oder die Entschädigung der
Zwangsarbeiter hochzuspielen.
Rassistische und antisemitische Gewalt ist eine der
gefährlichsten Ausdrucksformen des Rassismus und der
Intoleranz in Deutschland. Es gibt zahlreiche Berichte über
Belästigungen und Angriffe, teilweise mit Todesfolge, gegen
Angehörige von Minderheitengruppen. Der Kommission liegen
Aussagen von Minderheiten-Angehörigen vor, wonach sie in
einigen Regionen des Landes Angst haben, sich in der
Öffentlichkeit zu zeigen. Die Angriffe richten sich gegen
Menschen ausländischer Herkunft (Schwarz-Afrikaner,
Vietnamesen und Aussiedler aus Ost-Europa) sowie gegen Mitglieder
der jüdischen Gemeinde. Menschen mit vermeintlichen
Merkmalen, die sie als Angehörige von Minderheiten erkennen
lassen, sind solchen Angriffen besonders ausgesetzt.
Die Täter sind hauptsächlich Mitglieder von
Neonazigruppen oder anderen rechtsextremen Gruppen. Die meisten
Täter sind zwischen vierzehn und einundzwanzig Jahre alt.
Verfassungsschützer warnten, dass die militante Rechte in
Deutschland immer besser bewaffnet ist und immer
gewalttätiger wird (siehe die Verhaftung von Mitgliedern
einer braunen Terrororganisation in München im Sommer 2003).
Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) leben mehr
als die Hälfte der gewalttätigen Rechten in den
östlichen Bundesländern. Obwohl nur 2% der ostdeutschen
Bevölkerung Ausländer sind (verglichen mit 9% in
Gesamtdeutschland) und nur 20% der Einwohner in diesem Teil
Deutschlands leben, werden etwa die Hälfte der rassistischen
Straftaten in den östlichen Bundesländern
verübt.
Einer der Gründe sind die besonderen miserablen sozialen und
wirtschaftlichen Bedingungen der Jugendlichen. Gefördert
wird der Rechtsradikalismus aber vom offenen und latent
vorhandenen Rassismus und Antisemitismus. Folge davon ist auch,
dass große Teile der Bevölkerung Rassismus und
Antisemitismus gleichgültig gegenüberstehen. In den
vergangenen Jahren versuchte die deutsche Regierung mit einer
Reihe von Maßnahmen, Rassismus zu bekämpfen und
Diskriminierung zu beseitigen. So wurden mehrere wichtige
internationale Rechtsinstrumente ratifiziert und das
Staatsangehörigkeitsrecht abgeändert, um Zuwanderern
und deren Nachkommen den Erwerb der Staatsangehörigkeit zu
erleichtern.
Verschärft wurde auch das Strafrecht bei rassistischen und
antisemitischen Straftaten. Rassistisch motivierte Gewalttaten
werden aber weiterhin begangen. Die bestehenden Gesetze und die
politischen Maßnahmen sind unzureichend. Besonders
Besorgnis erregend ist die Einstellung gegenüber Menschen,
die als "Ausländer" betrachtet werden; die unzureichenden
Maßnahmen für die Integration; die ethnische Bindung
der Staatsbürgerschaft. ECRI empfiehlt den Behörden,
weitere Maßnahmen gegen Rassismus, Antisemitismus,
Fremdenhass und Intoleranz zu ergreifen. Es braucht angemessene
und wirksame Gesetze und den raschen Abbau der ethnischen
Diskriminierung bei der Zuteilung von Wohnungen, bei Ausbildung
und Beschäftigung. Die Verbindung zwischen rassistischen,
fremdenfeindlichen und antisemitischen Gewalttaten und dem
allgemeinen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz ist zur
Kenntnis zu nehmen und ernsthaft zu bekämpfen.
ECRI: Die ECRI ist ein Organ des Europarates. Ihr Ziel ist
die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus
und Intoleranz. In ihren Länderberichten, die in
Zusammenarbeit mit Behörden und NRO entstehen, analysiert
die Kommission europaweit die Lage der verschiedenen
Minderheiten.
Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 223 - 1/2004).