von Thomas von der Osten-Sacken
Bagdad, 7. November 2003
Ob in Amara, Nadjaf oder Kut, überall im Südirak
prägen die Bilder derjenigen, die das Saddam Regime ermorden
ließ, das Stadtbild. An Mauern, Moscheewänden und
Geschäften haben die Bewohner Kopien alter
Schwarzweißphotographien angebracht, die an die Opfer des
Baathregimes erinnern. An einer Bäckerei in Amara
hängen zwölf Bilder, der Inhaber erklärt uns, dass
all seine Brüder in einem Jahr, 1981, ermordet wurden. Er
zeigt auf die Kopien alter Photographien aus den späten 70er
Jahren, junge Männer mit Koteletten, die Nickelbrillen
tragen, wie es damals im Irak Mode war. Einige erinnern an
Rocksänger oder Serienschauspieler. 22 Jahre lang war es bei
drakonischen Strafen verboten, öffentlich dieser Toten zu
gedenken. Und bis heute weiß der Bäcker, so wenig wie
Hunderttausende andere Irakis, wo die Leichen seiner Brüder
verscharrt sind. Inzwischen wurden 178 Massengräber im Irak
entdeckt, nach Aussage eines Mitarbeiter der lokalen
Menschenrechtsorganisation in Amara vermutet man weitere hundert
über das Land verstreut. Im bislang größten
Massengrab, in Mahawil nahe der Stadt Hilla hatten Bewohner 15
000 Leichen entdeckt, viele von ihnen konnten bis heute nicht
identifiziert werden Das "Komitee ehemaliger politischer
Gefangener" hat inzwischen im ganzen Land Niederlassungen
eröffnet, um bei dieser Suche behilflich zu sein. Alleine in
Bagdad verwaltet es 7 Millionen Akten aus den Gefängnissen
des Landes. Häufig wurde den Opfern, bevor sie erschossen
wurden ein Armband mit einer Nummer umgebunden, das zu ihrer
Identifikation dient. Oft aber sind die alten Photos das einzige,
was von den "Verschwundenen" geblieben ist.
Auch im neu eröffneten Büro der Kommunistischen Partei
von Amara hängen, neben Bildern von Karl Marx und Lenin, 42
Schwarzweissphotographien, Bilder der "Märtyrer" der Partei
aus dieser südirakischen Provinzhauptstadt. Die KP residiert
in einem Büro an der Hauptstraße der Stadt, auf das in
den letzten Monaten zwei Anschläge verübt worden sind,
wie man uns erzählt. "Das waren die Baathisten", meint Fadil
Mohammad, der jüngste der anwesenden Kommunisten. "Wir waren
aktiv im Untergrund und haben seit einem Jahr die Befreiung
unserer Stadt vorbereitet" erklärt er. Die Baathisten und
ihre Armee wurden im April aus Amara und dem umliegenden Misan
Distrikt ohne direkte Hilfe der Koalitionstruppen vertrieben.
Eine Allianz aus verschiedenen Parteien und den Stämmen des
Umlandes bemächtigte sich am 7. April unter Führung des
im Süden legendären Abu Hatem, der mit seinen
Anhängern seit 1991 gegen die Baathpartei einen Kleinkrieg
führte und nun Mitglied des provisorischen Regierungsrates
in Bagdad ist, der Stadt. "Wir haben die Briten als Gäste
nicht als Befreier empfangen" erklärt Fadil, der betont,
dass die KP ein gutes Verhältnis zu den Koalitionstruppen
unterhalte, wenn sie ihnen auch kritisch gegenüber stehe und
für einen baldigen geordneten Abzug plädiert. Wie schon
in den 20ern suchten die Briten die Zusammenarbeit mit den
Stämmen, nicht mit der städtischen Intelligenz.
Außerdem sei die neue 5 800 Mann starke Polizei in dem
Gouvernorat durchsetzt von ehemaligen Baathisten. Laut Aussagen
des Pentagon arbeiten inzwischen 90 000 Irakis landesweit in den
neuen Polzei- und Sicherheitskräften. Inzwischen sind
Polizeistationen in Bagdad ein vorrangiges Ziel terroristischer
Anschläge geworden. Allerdings kritisieren viele Iraker,
dass die Überprüfung neueingestellter Polizisten durch
die Koalition zu lax verlaufe und viele ehemalige Baathisten
wieder im Dienst seien.
Gemeinsam mit anderen Parteien habe die KP in Amara deshalb eine
Untersuchungskommision eingesetzt, um die Vergangenheit der
einzelnen Polizisten zu durchleuchen. Die Zusammenarbeit zwischen
den irakischen Parteien im Süden sei gut, auch mit den
religiösen habe man keine größere Probleme, es
sei der Iran und andere Nachbarländer, die mittels Agenten
für Unruhe sorgten. Nur wenn es nicht gelänge diesen
Einfluss zu unterbinden, drohe eine nachhaltige Islamisierung des
Irak; täglich sickerten auch in Misan, das an der Grenze zum
Irak liege Dutzende islamischer Kämpfer ein. Anders als im
Nordirak, wo die Kurden über eine vergleichsweise effiziente
Polizei verfügen, die monatlich hunderte Djihadisten
festnimmt, gäbe es hier noch keine effektiven Kontrollen. Im
ganzen Südirak - wie im Norden auch - ist inzwischen die
neue irakische Polizei für die Sicherheit verantwortlich.
Anders als im Zentralirak sieht man im Süden so gut wie
keine alliierten Truppen, in Amara bewegen sich die Briten meist
in ungepanzerten Fahrzeugen, Checkpoints sind fast
ausschließlich von irakischen Sicherheitskräften
bemannt. Tagsüber ist die Lage vollkommen ruhig. Das
bestätigen uns auch Mitarbeiter einer tschechischen
Hilfsorganisation, die hier tätig ist.
Geschäfte, Restaurants und Teehäuser haben bis abends
geöffnet, die Märkte sind voll und die Stromversorgung
ist inzwischen stabiler als zu Saddams Zeiten. Entgegen
verschiedener UN-Prognosen ist es auch im Sommer zu keiner
humanitären Katastrophe gekommen, weder haben sich Epidemien
unkontrolliert ausgebreitet noch fehlte es an
Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung. Der Einfluss
der verschiedenen islamisch-schiitischen Parteien macht sich
allerdings überall deutlich bemerkbar, die Restaurants
schenken keinen Alkohol mehr aus, auf CD-Läden wurden nachts
Brandanschläge verübt und auf der Straße sieht
man keine Frau ohne schwarze Abbaya. Zwar haben sich auch in
Amara einige Frauenorganisationen gegründet, doch ihre
Aktivitäten werden kritisch verfolgt. "Die letzten zwanzig
Jahre waren für Frauen eine Katastrophe", meint die
Vertreterin der neugegründeten Organisation "Women for
Tomorrow", "Saddam Hussein hat uns systematisch aller Rechte
beraubt, es war sogar verboten als Rechtsanwältin zu
praktizieren. Wir wurden zurück in unsere Häuser
verbannt und es wird sehr lange dauern, bis sich hier
grundsätzlich etwas ändert."
Sowohl die Stämme als auch die religiösen Parteien
zeigen wenig Interesse an einer Veränderung. Früher
war, berichtet uns ein alter Mann im Markt, Amara mit Kut und
Basra eine der Hochburgen der Linken und säkularen
Opposition im Irak. Während in Kut diese Vergangenheit
lebendig geblieben ist und auf öffentlichen Plätzen
Bilder des Revolutionärs und zwischen 1958-1963 regierenden
irakischen Präsidenten Abdul Karim Kassim angebracht wurden,
ist inzwischen in Amara das Konterfei des kürzlich bei einem
Suicide Bombing in Najaf ermordeten Führers des Supreme
Council of the Islamic Resistance in Iraq Ayatollah al Hakim
omnipräsent. SCIRI, die al-Dawa Partei und lokale
Stämme hätten neben dem eher weltlichen Abu Hatem hier
das Sagen erklären uns die Kommunisten. Erst merkliche
wirtschaftlicher Verbesserungen würden den geschwächten
säkularen Kräften helfen, die Arbeitslosigkeit
betrüge 90%, Analphabetismus sei auf dem Land die Regel.
Saddam habe den Süden dreißig Jahre lang vollkommen
vernachlässigt und jede Opposition so brutal
unterdrückt, dass alle Strukturen nachhaltig zerstört
seien.
Ein Blick auf die Stadtbilder von Amara, Najaf, Hilla oder Kut
belegt eindrucksvoll, wie vernachlässigt diese Region im
Vergleich zu Bagdad oder Mosul ist. Fast alle Häuser stammen
aus den fünfziger und sechziger Jahren, nur wenige,
privilegierte Stadtviertel verfügen über ein
geschlossenes Abwassersystem, die meisten Dörfer
verfügen nicht einmal Trinkwasserleitungen. An den Mauern
einer heruntergekommen Dorfschule steht in Pidginenglisch: "Liebe
Befreier, Vergesst unser Dorf nicht." Ein Großteil des
Misandistrikts ist zudem völlig zerstört. Hier befanden
sich einst die Marshen, von Euphrat und Tigris gespeiste
Sumpfgebiete, in denen etwa eine halbe Million Menschen lebten.
Diese Sümpfe wurden in den letzten 12 Jahren systematisch
trockengelegt, die Bewohner entweder getötet oder
vertrieben. Die Straße von Diwaniye nach Amara führt
fast hundert Kilometer durch eine trostlose Steppe, unterbrochen
von den Ruinen zerstörter Dörfer. Wir passieren eine
Kamelkarawane, die durch dieses ehemalige Sumpfgebiet nach
Süden zieht.
Nahe des Ortes Qalat Saleh an der Straße nach Basra, die
von riesigen ehemaligen Militärlagern gesäumt ist,
ließ das Regime den Saddam Damm errichten, um den
Zufluß von Tigriswasser in die Marshen zu verhindern.
Rechts und links des Dammes haben sich hunderte von
Marshbewohnern in Notbehausungen angesiedelt. Anders als in
Kurdistan, wo das Regime in den 80er Jahren Tausende Dörfer
zerstörte und die Bewohner in sogenannte Sammelstädte
umsiedelte, wurde diesen Menschen nicht einmal Baumaterial
für neue Häuser zur Verfügung gestellt. Inzwischen
hat die in Amerika ansässige Iraqfoundation begonnen in
Nassiriya einige Marshen wieder zu fluten. Es ist allerdings
äußerst umstritten, ob dieses Projekt mit dem
wohlklingenden Namen "Eden Again" Erfolg haben wird.
"In Misan liegt eines der größten Erdölfelder des
Irak und die Menschen trinken Tigriswasser". Wir sprechen mit
einem jungen Arzt im Krankenhaus von Amara, das einst Saddam
General Hospital hieß. Die Gesundheitslage sei weiter
verheerend aber langsam verbessere sie sich im Vergleich zu
vorher. "Warum haben die Amerikaner uns nicht 1991 Saddam
stürzen lassen, sondern weitere 12 Jahre gewartet?"
Antiamerikanismus sei im Grunde keiner zu spüren, meint
einer der Tschechen, die Leute seien verhalten dankbar",
fürchteten aber einen wachsenden Einfluss des Iran. Bislang
aber sei es, bis auf wenige Ausnahmen, im Südirak ruhig
Konflikte, die vor allem in Basra hin und wieder ausbrächen,
hätten vor allem einen tribalen Hintergrund. Selbst Angriffe
auf Amerikaner, die jüngst in Kerbala stattfanden schreiben
die Kommunisten sunnitischen Islamisten oder ehemaligen
Baathisten zu. Dieser selbsternannte "irakische Widerstand", der
in Städten wie Falluja, Rammadi und auch Bagdad mit blutigen
Anschlägen und Suicide Bombings Terror verbreitet, findet im
Süden keine Unterstützung. Man vermutet, dass es sich
dabei um eine temporäre Zusammenarbeit zwischen Baathisten
und sunnitischen Islamisten aus anderen arabischen Ländern
handelt. Im Gegenteil, der Terror wird überall scharf
kritisiert. "Warum stellen sie keine Freiwilligenbrigaden auf"
werden wir immer wieder gefragt "Zehntausende Irakis aus dem
ganzen Land wären bereit in diesen Städten für
Ruhe zu sorgen." "Und anders als die Amerikaner haben wir keine
Erfahrung mit Menschenrechten" fügt ein alter Mann hinzu,
"wir würden durchgreifen." Ein anderer im Café
kritisiert, dass die Amerikaner die Todesstrafe im Irak
suspendiert haben. Wer Zivilisten umbringe, wie Saddam es zuvor
getan habe, gehöre hingerichtet.
Nachdrücklich werden die Anschläge gegen Amerikaner und
Iraker, die mit der Coalition Provisional Authority (CPA)
zusammenarbeiten, von den Ayatollahs in den heiligen Städten
Najaf und Kerbala verurteilt. Selbst Moqada al Sadr, der
selbsternannte radikale Führer der Schiiten, der ansonsten
nicht müde wird die Amerikaner, Zionisten und Imperialisten
zu verurteilen, bemüht sich sichtlich, Distinktion zu den
Anschlägen im Zentralirak zu wahren. AL-Qaida ist im
Südirak ebenso verhaßt wie die Baathpartei, ist sie
doch eine sunnitisch-djihadistische Organisation, die aus ihrer
anti-schiitischen Haltung kein Hehl macht. Kürzlich soll ein
AL-Qiada Sprecher erklärt haben, Schiiten seien noch
schmutziger und verächtlicher als Juden.
Insgesamt fehlen im Südirak auch, anders als im sunnitischen
Dreieck oder in einigen Stadtvierteln Bagdads, die
Amerikafeindlichen oder antiisraelischen Slogans an
Hauswänden oder öffentlichen Gebäuden, auch wenn
hier, anders als im kurdischen Nordirak, weiter die
Verschwörungstheorien florieren. Besonders beliebt: Saddam
sei in Wirklichkeit ein zionistischer Agent gewesen, dessen
Aufgabe die Auslieferung des irakischen Öls an die
Amerikaner gewesen sei. Zudem melden sich häufig Vertreter
von SCIRI oder al-Dawa zu Wort, die das unmoralische Verhalten
der Amerikaner beklagen, die sich nicht an die islamischen Sitten
halten würden. Dies führe zu Unmut und
Widerstand.
Massaker an Irakis, wie sie in Najaf oder Bagdad stattgefunden
haben, seien im Grunde ein Ausdruck der Schwäche, meint der
Arzt und fasst zusammen, was viele Irakis denken. Sie zeigten,
dass weder die Baathpartei noch Al Qaida im Irak breite
Unterstützung genießen würden. "Sonst käme
es zu Demonstrationen oder Aufständen. Das Bild, das die
arabischen und europäischen Medien, vor allem BBC, vom Irak
zeichnen ist völlig einseitig. Das sunnitische Dreieck, in
dem fast alle Anschläge stattfinden, macht gerade einmal 5%
der Gesamtfläche des Landes aus." Da dieser Widerstand
unpopulärer ist, griffe man zum Mittel des blanken Terrors,
um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Anders als in den von Moqadata al Sadr kontrollierten
schiitischen Stadtvierteln Bagdads, der offen zum Kampf gegen die
Okkupanten mobilisiert, kam es selbst in Kerbala bislang zu
keinem ernsthaften Konflikt zwischen Koalitionstruppen und
Bevölkerung. Bislang sind zumindest alle Versuche al Sadrs
seine Basis im Süden auszuweiten, kläglich gescheitert.
Als er Mitte Oktober mit einigen Anhängern seiner "Armee des
Mehdi" versuchte, Kerbala zu "befreien", wurde er von
Koalitionstruppen und Anhängern des gemäßigten
und einflußreichen Ayatollah Sistanis
zurückgeschlagen.
Die Frage, ob die Kleriker in den heiligen Städten, die wenn
auch um Distanz bemüht, den von den USA eingesetzten
provisorischen Regierungsrat unterstützen nur auf Zeit
spielen, um so ihr Ziele, die Schaffung einer islamischen
Republik Irak, zu erreichen, kann niemand mit Sicherheit
beantworten. Die jüngst ausgebrochenen Differenzen um die
neue Verfassung des Irak könnten so gedeutet werden: die
schiitischen Vertreter des Rates fordern erst Wahlen abzuhalten,
bevor eine gültige Verfassung verabschiedet wird. Sie
spekulieren offenbar darauf, dass die Schiiten, die etwa 60% der
irakischen Bevölkerung ausmachen auch mehrheitlich für
religiöse Parteien stimmen würden. Je eher Wahlen
abgehalten werden, das wiederum wissen die Amerikaner so gut wie
die kurdischen Parteien und der Iraqi National Congress, desto
mehr Stimmen könnten die gut organisierten Parteien Dawa und
SCIRI auf sich vereinigen, da andere politische Gruppen im
Südirak sich erst konsolidieren müssen. Bislang haben
sich diese Parteien allerdings nicht öffentlich den
Forderungen Deutschlands und Frankreichs nach baldigen Wahlen
angeschlossen, wohl weil das "alte Europa" eher auf eine
Stärkung der verbliebenen sunnitisch panarabische
Kräfte setzt, mit denen man in der Vergangenheit so gut
auskam.
Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers in Saudi Arabien, dass
die Schiiten als einen Hauptfeind betrachten, wird von Rezzo
Schlauchs Iranvisite nicht aufgewogen. Immer wieder betonen
nämlich in Gesprächen Leute, die ansonsten keineswegs
besonders politisch scheinen, dass sie eine zu starke
Einflußnahme des Iran im Südirak fürchten.
Deutschland ist hier, wie im kurdischen Nordirak, alles andere al
wohlgelitten. Mehrmals erkundigte man sich bei uns, warum
Deutschland Saddam Hussein so bis zuletzt unterstützt habe,
auch die jüngsten Vorstöße der Deutschen und
Franzosen im UN-Sicherheitsrat stoßen auf keinerlei
Verständnis. Inzwischen sei die Mehrheit der
Bevölkerung sicher, dass die Amerikaner keine neue
sunnitische Minderheitenregierung im Irak installieren wollten,
meint einer der Tschechen. Es gäbe inzwischen ein gewisses
Vertrauen in die Übergangsregierung, das allerdings sehr
fragil sei. Wenn nicht bald eine grundlegende Verbesserung der
Lage eintrete könne dies Vertauen in offene Abneigung
umschlagen, auch wenn weiterhin eine große Dankbarkeit
herrsche, dass Saddam Hussein gestürzt worden sei. Noch
nämlich sehen die Menschen wenig Resultate der von den
Amerikaner und Briten ins Land gebrachten Dollars. Allerdings
versichern die Vertreter der CPA immer wieder, dass die
Großprojekte anlaufen würden und eben ihre Zeit
bräuchten.
Die von den USA mit dem Wiederaufbau beauftragten Firmen Bechtel,
Halliburton, Kellog und Brown jedenfalls haben sich bislang nicht
durch besondere Aktivitäten hervorgetan. Laut der
englischsprachigen Wochenzeitung "Iraq Today" machen die USA den
Fehler, auf ausländische Großunternehmen zu setzen,
statt den irakischen Mittelstand zu fördern. Erst eine
gezielte und gelenkte Privatisierung der maroden Staatsfirmen
aber ermögliche es erst, dem völlig bankrotten und
verschuldeten Land, such langfristig zu erholen, statt in neue
Abhängigkeiten zu geraten. Ähnlich argumentieren die
Kommunisten in Amara, man sei für die Stärkung des
Mittelstandes aber gegen eine schnelle Privatisierung der
Staatsbetriebe, vor allem der Ölindustrie, dies führe,
wie in der ehemaligen Sowjetunion, lediglich zu einer
Mafiotisierung der Gesellschaft, von der neben ausländischen
Unternehmen gutorganisierte ehemalige Baathisten
profitierten.
Nach einem mehrtägigen Aufenthalt im Süden des Landes
stellen mein kurdischer Begleiter und ich jedenfalls fest, dass
die Berichterstattung in den Medien mit der Realität vor Ort
so wenig zu tun hat wie im Norden des Landes. Von einem Land, das
im Chaos versinkt oder vom "Aufstand im Ghetto: Schiiten in
Bagdad", wie das ZDF kürzlich meinte eine Reportage betiteln
zu müssen, kann keineswegs die Rede sein. Im Gegenteil,
abends um zehn sind die Kaffeehäuser in Kut noch voller
Menschen, die uns versichern, dass auch um Mitternacht die Stadt
völlig sicher sei. Und auf der Rückfahrt berichten uns
Freunde in Bagdad, dass einer Umfrage des Fernsehsenders Al
Jazeera zufolge inzwischen 2/3 der Bagdadis der Ansicht sind,
dass ihre Lage heute besser sei als unter Saddam Hussein. Zwei
Wochen später sterben am ersten Tag des Ramadans über
40 Irakis bei fünf Suicide Bombings, über 200 werden
schwer verletzt.
Der Autor ist Mitarbeiter der im Irak tätigen
Hilfsorganisation WADI e.V, schreibt regelmäßig
für die KONKRET und ist Mitherausgeber des Buches "Saddam
Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den III. Golfkrieg",
Hamburg 2002. Gekürzt erschienen in Jungle World vom
5.11.2003.