Bozen, Berlin, Wien, 17. April 2003
"Wir werden an der Konferenz in Naseriyah nicht
teilnehmen", sagt Abdulaziz Al-Hakim, "denn der richtige Weg
liegt darin, die auf den Tagungen der irakischen Opposition in
London und Salah ad-Din beschlossenen Punkte anzunehmen." Am
Nachmittag des 14. April 2003 gab Abdulaziz Al-Hakim, der
Militärsprecher des Obersten Rates der Islamischen
Resistance im Irak, im Teheraner Sitz des Rates eine
Pressekonferenz, zu der 40 Vertreter von Nachrichtenagenturen,
Zeitungen sowie Fernseh- und Radiostationen erschienen.
Zu Beginn der Pressekonferenz hielt Al-Hakim eine kurze Rede, in
der er die Lage im Irak zusammenfasste und auf die Gefahren
infolge des schnellen Sturzes von Saddam Hussein infolge dieses
Krieges verwies. Er umriss auch den Standpunkt des Obersten Rates
hinsichtlich der Entwicklungen und Geschehnisse im Land sowie die
Zukunft des Irak, wie sie nach Ansicht der irakischen Opposition
aussehen sollte, und wofür auch in London und Salah ad-Din
der Grundstein gelegt wurde. Zwischen den verschiedenen
irakischen Oppositionsgruppierungen herrsche Einigkeit, dass man
sich an den auf diesen Konferenzen festgelegten Punkten
orientieren müsse.
Als Antwort auf eine Frage der Korrespondenten meinte Al-Hakim,
der Oberste Rat sei bestrebt, eine demokratische Regierung der
nationalen Einheit zu errichten, und an der Verwirklichung dieses
Zieles müsse sehr ernsthaft gearbeitet werden. Die irakische
Opposition habe in London und Salah ad-Din ihre Vorstellungen
einer künftigen Regierung präsentiert, und es sei zu
bedauern, dass die herrschenden Kräfte im Irak nicht
angemessen mit dem von der Opposition gewählten
Führungsgremium zusammenarbeiten. Ebenso bedaure der Oberste
Rat auch die vielen Toten und die Zerstörung des Unterbaus.
Der Oberste Rat habe vor Ausbruch des Krieges den Alliierten
dargelegt, welche Folgen zu erwarten seien, deshalb tragen sie
die volle Verantwortung für die Geschehnisse im Irak.
Al-Hakim versicherte, dass das irakische Volk die Verantwortung
für den Aufbau des Landes und die Errichtung einer
nationalen irakischen Regierung übernehmen wolle und weniger
nicht akzeptieren werde. Befragt zur Konferenz der Opposition in
Naseriyah meinte Al-Hakim, der Oberste Rat sei wohl eingeladen
worden, doch habe man beschlossen, an dieser und ähnlichen
Konferenzen nicht teilzunehmen, denn der richtige Weg liege
darin, die von der irakischen Opposition bei den Tagungen in
London und Salah ad-Din beschlossenen Punkte umzusetzen und das
gewählte Führungsgremium arbeiten zu lassen. Zudem
würden laufend weitere Zusammenkünfte stattfinden, so
etwa am 14. April 2003 mit Jalal Talabani. Nach diesem
Gespräch habe der Oberste Rat beschlossen, alles
daranzusetzen, um die von der irakischen Opposition angenommenen
Beschlüsse zu verwirklichen.
Auf die Frage eines Journalisten führte Al-Hakim aus, dass
jene Parteien, die an der Konferenz in Naseriyah teilnehmen, dem
Obersten Rat versichert hätten, Zweck dieser Konferenz sei
die Erörterung der gegenwärtigen Lage und nicht die
Errichtung einer Verwaltung oder Regierung, und man würde
auch keine Regierung wählen. Auch die Mitglieder des
Führungsgremiums würden nicht teilnehmen, aber
möglicherweise Vertreter entsenden. Weiters führte
Al-Hakim aus, der Oberste Rat glaube nicht an ein
schiitisch-sunnitisches Problem, denn das irakische Volk sei ein
Volk und der Rat wünsche eine Regierung, die die Rechte
aller Volksgruppen ohne Unterschied garantiere. Es gäbe
allerdings auch Negativbeispiele, wie etwa in Nejef geschehen,
doch diese Fälle seien abzulehnen.
Auf die Frage eines Journalisten, ob er in den Irak einreisen
könne, antwortete Al-Hakim, er fahre seit zwei Monaten immer
wieder in den Irak und werde dies auch weiter tun. Befragt zu den
gemeinsamen Bemühungen der irakischen Opposition versicherte
Al-Hakim, es gäbe eine gute Koordination mit den islamischen
und nationalen Kräften, sowie mit den Kurden und Turkmenen,
und es gäbe auch kein wirkliches Problem zwischen den
verschiedenen Gruppierungen. Die Arbeit würde fortgesetzt,
und in vielen Städten sei die Lage sehr gut. Der Oberste Rat
konzentriere sich auf die Sicherheit, da diese die Basis für
alles weitere sei. Das irakische Volk habe den Kräften der
islamischen Opposition einen warmen Empfang bereitet, und es sei
auch nicht zu Chaos und Zerstörung gekommen, mit Ausnahme
von Gegenden, wo Kämpfe stattgefunden hätten.
Bezüglich der Präsenz der so genannten Badr-Truppen
versicherte Al-Hakim, die Mehrheit dieser Einheiten würden
seit langem im Irak arbeiten, im Ausland gäbe es nur eine
geringe Zahl, deren Aufgabe es sei, dem irakischen Volk zu dienen
und ihm das Leben zu erleichtern, sowie die irakische
Gesellschaft zu festigen und negative Situationen zu vermeiden.
Diese Einheiten spielen eine wichtige Rolle bei der Verwaltung
zahlreicher Städte im Irak, und sie werden auch von einem
Gebiet in ein anderes transferiert, wenn es dort Probleme mit der
Sicherheit oder der Verwaltung gibt.
Befragt zu seinen Vorstellungen bezüglich der
Übergangszeit meinte Al-Hakim, diese entsprächen den
Vorstellungen der Opposition und des gewählten
Führungsgremiums. Vor allen Dingen sei es notwendig, nach
dem Sturz Saddam Husseins eine provisorische nationale irakische
Regierung einzurichten, und der Oberste Rat befürworte
entsprechend der Linie der irakischen Opposition die
Durchführung freier Wahlen und die Schaffung einer dauernden
Verfassung. Zudem müsse dem Volk die Möglichkeit
gegeben werden, seine Rolle zu erfüllen und an diesem
Prozess wahrhaft teilzuhaben.
Auf eine neuerliche Frage zu der Konferenz in Naseriyah meine
Al-Hakim, der Oberste Rat habe seit Beginn die
Unabhängigkeit hochgehalten und würde keine
ausländische Besatzungsmacht, ob Amerika oder eine andere,
akzeptieren. Das irakische Volk lehne dies ebenfalls ab und es
gäbe auch keine Berechtigung für diese Konferenz, da
die Opposition schon unzählige Tagungen abgehalten habe, um
alle Aspekte und Angelegenheiten zu erörtern. Die
Nichtteilnahme des Obersten Rates ist im Interesse des Volkes und
soll seinen Standpunkt untermauern. Bezüglich des Dialogs
mit Amerika meinte Al-Hakim, der Dialog würde mit allen
Staaten der Welt fortgesetzt, insbesondere mit den ständigen
Vertretern im Sicherheitsrat.
Angesprochen auf General Garner und die dreimonatige
Übergangsverwaltung sagte Al-Hakim, der Oberste Rat sei der
Ansicht, dass die Regierung eine nationale Regierung sein
müsse, im wahrsten Sinne des Wortes. Es müssten freie
Wahlen abgehalten werden, denn alles andere sei nicht im
Interesse des Volkes.
Über den Verbleib der alliierten Truppen im Irak meinte
Al-Hakim, man erwarte nicht, dass die Truppen noch einen einzigen
Tag im Irak bleiben und würde dies auch nicht
gutheißen, denn der Irak sollte von seinem Volk selbst
verwaltet werden. Man beabsichtige allerdings nicht, es auf
bewaffnete Auseinandersetzungen mit den ausländischen
Truppen ankommen zu lassen. Was die Teilnahme der anderen
Oppositionsgruppen an der Konferenz in Naseriyah anbelange, so
sei dies deren Entscheidung, die der Oberste Rat respektieren
werde. Allerdings sei der Oberste Rat der Ansicht, dass das
irakische Volk damit nicht einverstanden sei und dass es noch
eine Reaktion von irakischer Seite geben werde. Der Rat vertraue
auf Allah und das irakische Volk.
Nochmals befragt zur Konferenz in Naseriyah meinte Al-Hakim, der
Oberste Rat messe dieser Konferenz keine große Bedeutung
bei, und er definiere seine Rolle auch nicht über die
Teilnahme oder Nichtteilnahme daran.
Oberster Rat und PUK: Amerikaner haben im Irak Fehler
begangen
Ayatollah Muhammad Baqr al-Hakim empfing am Abend des 14. April
2003 in seinem Teheraner Büro den Generalsekretär der
Patriotischen Union Kurdistans (PUK), Jalal Talabani, uns seine
Begleitdelegation. Zu Beginn der Zusammenkunft
beglückwünschten sich die beiden zum Fall des Regimes
von Saddam Hussein nach 35 Jahren Diktatur und Unterdrückung
des Volkes. Danach erörterten beide Parteien verschiedene
Aspekte der gegenwärtigen Lage im Irak. Sie verwiesen
darauf, dass die Amerikaner im Irak eine Reihe von Fehlern
begangen haben. Unter anderem jenen, dass das irakische Volk und
die politischen Kräfte keine Rolle bei der inneren
Verwaltung spielen. Dies habe zu Anarchie und Chaos geführt,
wie anhand der Plünderungen, die in den vergangenen Tagen in
zahlreichen irakischen Städten stattgefunden haben, zu sehen
sei.
Beide Seiten wiesen darauf hin, dass es in jenen Städten, in
denen nach der Befreiung irakische politische Kräfte die
Kontrolle übernommen haben, nicht zu diesen
Plünderungen gekommen ist. Diese politischen Kräfte
waen in der Lage, öffentliche Gelder zu schützen, die
Sicherheit aufrechtzuerhalten und die Situation im Interesse des
Volkes zu kontrollieren.
Weiters sorgten sich beide Seiten, dass die amerikanische
Verwaltung weiterhin die großen Gefahren ignorieren
könnte, die der Verlust der Sicherheit in den irakischen
Städten mit sich bringt. Sie betonten jedoch die positiven
Schritte, die von Seiten der irakischen Opposition bis jetzt
gesetzt wurden.
Dhia AL DABBASS, Oberster Rat der Islamischen
Resistance im Irak/Büro Wien und Berlin