Bozen, Göttingen, 26. August 2004
Die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat die
für kommenden Sonntag (29.08.) anberaumten Wahlen in
Tschetschenien als "Farce" bezeichnet. Es gäbe eindeutige
Anzeichen dafür, dass die Abstimmung ähnlich
manipuliert sein wird wie die Wahlen am 5. Oktober 2003. Damals
war der im Mai 2004 ermordete Moskau-treue Achmad Kadyrow durch
massiven Wahlbetrug an die Macht gekommen:
- die Wählerverzeichnisse basierten auf der Grundlage der
Volkszählung 2002, deren Ergebnisse in Tschetschenien
gefälscht worden waren.
- Von den 540.000 aufgeführten Wahlberechtigten existierten
rund 200.000 gar nicht.
- Alle ernst zu nehmenden Gegenkandidaten wurden vor den Wahlen
ausgeschaltet, teils durch den russischen Präsidenten
selbst.
- Am Wahltag berichteten Beobachter von einer sehr geringen
Wahlbeteiligung von etwa 25%. Offiziell lag die Beteiligung
jedoch bei 87,7%.
- Ausländische Journalisten und Menschenrechtler
beobachteten, dass etliche Personen mehrmals stimmten und
Säcke mit schon ausgefüllten Stimmzetteln während
der Wahl in die Wahllokale geliefert wurden.
- Wahlzettel, beispielsweise in der Stadt Schali, wurden nicht
von den dafür vorgesehenen Wahlbeamten ausgezählt,
sondern in ein örtliches Regierungsgebäude gebracht, wo
sie von Beamten der Stadt ausgezählt wurden.
Auch am
kommenden Sonntag seien aussichtsreiche Kandidaten von vornherein
teils mit fadenscheinigen Begründungen ausgeschlossen
worden:
- Der Pass des Moskauer Geschäftsmann Malik Saidullaew sei
ungültig, da dort als Geburtsort "Alchan-Jurt,
Tschetschenien" angegeben sei. Doch zum Zeitpunkt seiner Geburt
habe es nur die Autonome Tschetschenisch-Inguschetische
Sowjetische Teilrepublik gegeben.
- Nach Angaben der Moskauer Zeitung "Nowaja Gaseta" vom 23.August
2004 hätten alle Kreisverwaltungen in Tschetschenien die
Anweisung erhalten, dass bei der Wahl am 29. August mindestens 60
bis 70 Prozent aller Stimmen auf den derzeitigen Innenminister
und Kreml- Favoriten Alu Alchanow entfallen müssten.
Anderenfalls drohe den Lokalbeamten die Entlassung.
- Maskierte Bewaffnete hätten das Haus des
Geheimdienst-Offiziers Mowsur Chamidow, des einzigen verbliebenen
Rivalen von Alchanow, gestürmt und dessen Bruder verhaftet.
Auch Chamidows Wahlkampfstab wurde dem Bericht der "Nowaja
Gazeta" zufolge Ziel einer so genannten "Säuberung".
- In der Wahlwerbung sei außerdem nur ein Kandidat auf
Plakaten und in Fernsehspots präsent: der Kreml Favorit Alu
Alchanow.
Alchanow wurde 1957 in Kasachstan geboren. Nach der Eroberung
Grosnys durch russische Truppen 1995 wurde er stellvertretender
Leiter der Eisenbahnpolizei. Ein Jahr später verteidigte er
mit einer Polizeieinheit den Bahnhof von Grosny gegen
anrückende tschetschenische Kämpfer, musste aber
schließlich abziehen. 1997 bis 2000 lebte Alchanow
außerhalb Tschetscheniens. In Tschetschenien selbst gilt er
als äußerst unpopulär. Laut einer Umfrage der
"Nesawisimaja Gaseta" wird er nur von drei Prozent der
tschetschenischen Bevölkerung unterstützt. Als
tschetschenischer Innenminister unter der Regierung Kadyrow ist
Alchanow mitverantwortlich für die anhaltenden massiven
Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.