Türkei-Besuch von Bundeskanzler Schröder
Fünf Argumente gegen einen übereilten EU-Beitritt
der Türkei
Bozen, Göttingen, 3. Mai 2005
Fünf Argumente gegen die übereilte Aufnahme der
Türkei in die EU nennt die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) anlässlich des Türkei-Besuches von
Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der Generalsekretär der
internationalen Menschenrechtsorganisation, Tilman Zülch,
appellierte am Dienstag in einem Schreiben an die
Bundesregierung, die Türkei erst dann zu
Beitrittsverhandlungen einzuladen, wenn sie die Rückkehr von
etwa 1,5 Millionen kurdischen Vertriebenen - davon 378.000 als
Flüchtlinge Registrierte - in die Wege leitet, endlich
ernsthaft ein Wiederaufbauprogramm für die 3.428
zerstörten kurdischen Dörfer realisiert und eine
Amnestie für die rund 3.000 kurdischen politischen
Gefangenen erlässt. Außerdem müssen neben der
armenischen und griechisch-orthodoxen christlichen Minderheit
auch die assyrisch-aramäischen Christen und die Yezidi als
gleichberechtigte religiöse Körperschaften anerkannt
werden und die aus Nordzypern vertriebenen 180.000
griechisch-orthodoxen, aber auch armenischen und maronitischen
Zyprioten zurückkehren dürfen. Zudem muss die
Türkei alle Boykottmaßnahmen gegen die benachbarte
kurdische Region des Irak unterlassen und sie nicht länger
isolieren.
- 1. 1,5 Millionen kurdische Vertriebene, mehr als
3.400 zerstörte Dörfer
Mehr als zwei Millionen Kurden wurden zwischen 1980 und 1999 von
der türkischen Armee aus ihren 3.428 zerstörten
Dörfern vertrieben. Bis heute werden die etwa 1,5 Millionen
Rückkehrwilligen an ihrer Heimkehr gehindert. Laut
UN-Angaben ist das die höchste Zahl von Binnenvertriebenen
auf dem Boden eines Mitgliedsstaates des Europarates. 80% der
Vertriebenen sind arbeitslos, 50% leben bis heute in
Notunterkünften, 82 % haben Gesundheitsschäden, 78%
sind unzureichend ernährt und nur 5% sind krankenversichert.
40% haben keinen Zugang zu reinem Trinkwasser. 42% der
Vertriebenen sind Analphabeten, ein Viertel der Kinder kann die
Schule nicht besuchen.
- 2. Tausende politische Gefangene
Nach wie vor sitzen noch immer mehrere tausend politische
Gefangene - die GfbV schätzt bis zu 3.000 - aus der Zeit des
türkisch-kurdischen Bürgerkriegs in Haftanstalten.
Während die für schwere Menschenrechtsverletzungen
verantwortlichen türkischen Generäle straffrei
ausgingen, wurden diese Kurden von Staatssicherheitsgerichten
wegen "Separatismus" und/oder angeblichem Terrorismus verurteilt.
Die 15 Millionen kurdischen Bürger der Türkei warten
bisher vergeblich auf eine Amnestie für diese politischen
Gefangenen, auf die tatsächliche Zulassung ihrer Sprache im
Bildungssystem und bei den Behörden.
- 3. Besetzung Zyperns
Bis heute verweigert die Türkei 180.000
griechisch-orthodoxen, aber auch maronitischen und armenischen
Zyprioten die Rückkehr in das von 30.000 türkischen
Soldaten und 300 türkischen Panzern besetzte Nordzypern.
1974 hatte die türkische Armee 36% des Inselterritoriums
besetzt und 80% der dort ansässigen Bevölkerung
vertrieben. Auch die Hälfte der türkisch-zypriotischen
Bevölkerung musste Nordzypern inzwischen verlassen. Nach der
Ansiedlung von fast 100.000 türkischen Anatoliern sind nur
noch 40 % der Bevölkerung des türkisch besetzten
Inselteils türkische Zyprioten. Forderung nach der
Rückkehr der Vertriebenen, der Rückgabe des Eigentums
und dem Abzug der türkischen Truppen wurden bisher nicht
erfüllt.
- 4. Diskriminierung der christlichen
Minderheit
Bis heute sind christliche und andere religiöse
Gemeinschaften wie die kurdisch-sprachigen Yezidi in der
Türkei nicht gleichberechtigt. Christlichen Kirchen wird
weiter der öffentlich-rechtliche Status vorenthalten.
Konfisziertes kirchliches Eigentum wurde nur in
Ausnahmefällen zurückgegeben. Weitere Beschlagnahmungen
kommen vor.
- 5. Behinderung des Zugangs zum autonomen irakischen
Kurdistans
Regierung und Armee der Türkei haben die direkte
militärische Bedrohung des benachbarten irakischen
Bundesstaates Kurdistan aufgegeben. Doch häufig wird der
Grenzverkehr nicht nur auf dem Landweg erschwert. Darüber
hinaus blockieren die türkischen Behörden den Luftweg
aus der Türkei zu dem neu ausgebauten Flughafen Arbil bis
heute. So wird die freie Entfaltung von Wirtschaft und
Entwicklung im kurdischen Nordirak behindert.