Bozen, Göttingen, 5. April 2006
Nach der Ankündigung eines zweiten Prozesses gegen den
gestürzten irakischen Staatschef Saddam Hussein wegen
Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) heute
gefordert, auch in Deutschland diejenigen Firmen zur
Verantwortung zu ziehen, die an der Vorbereitung dieser
Verbrechen beteiligt waren. Saddam Hussein wird vorgeworfen, die
von Giftgasangriffen begleitete so genannte Anfal-Offensive auf
kurdische und assyro-chaldäische Dörfer im Nordirak
initiiert zu haben. Dabei waren seit 1987 verschiedenen
Schätzungen zufolge zwischen 100.000 und 182.000 Menschen
vernichtet worden.
Unter Führung der beiden hessischen Unternehmen Karl Kolb
GmbH und Pilot Plant hatten eine Reihe von deutschen Firmen den
Aufbau der Giftgas-Anlagen im irakischen Samarra vorangetrieben.
Im Frühjahr 1987 hatte die GfbV als erste über
Giftgasangriffe gegen Dörfer der kurdischen und
assyro-chaldäischen Bevölkerung berichtet, im März
1988 starben bei einem Giftgasangriff der irakischen Luftwaffe
5.000 Einwohner der kurdischen Stadt Halabja. Die GfbV hatte
diese Firmen bereits im April 1987 in Presseerklärungen
beschuldigt, für die Vernichtung von Tausenden Zivilisten in
den Kurdenregionen des Irak Verantwortung zu tragen. Das Bonner
Landgericht hatte unserer Menschenrechtsorganisation bei einer
Androhung von zwei Mal 500.000 DM Bußgeld am 4. August 1987
untersagt, diese Beschuldigungen zu wiederholen. Das Kölner
Oberlandesgericht hatte dann diesen Richterspruch am 11. Januar
1988 aufgehoben, nachdem die GfbV sich auf israelische Quellen
berufen hatte.
Nach vorliegenden Dokumenten hatte Saddam Hussein seinem Cousin
Ali Hassan al-Majid den Befehl für die Anfal-Offensive
gegeben. Die Giftgasangriffe 1986-1988 seien so furchtbar
gewesen, notierte ein Report der Vereinten Nationen, "und von so
gewaltigem Umfang, dass nur wenige Präzedenzfälle seit
dem Zweiten Weltkrieg zu finden sind". Überlebende Opfer in
den angegriffenen Siedlungen wurden von der irakischen Armee
liquidiert. Hunderttausende von kurdischen und assyrischen
Zivilisten wurden ins Innere des Irak getrieben, viele
Zehntausende von ihnen bei Massenerschießungen
hingerichtet. Nach der Niederschlagung des kurdischen Aufstands
nach dem ersten Golfkrieg hatte Ali Hassan al-Majid den
kurdischen Unterhändlern eingestanden, bei dieser Offensive
seien "nur" 100.000 Kurden vernichtet worden. Mehr seien es nicht
gewesen.