Bozen, Göttingen, Sarajevo, 24. September 2003
Auf eine Roma-Großfamilie in Bijeljina im serbisch
regierten Teil Bosniens ist am frühen Dienstagmorgen ein
Sprengstoffattentat verübt worden. Der Präsident der
Gesellschaft für bedrohte Völker International, Tilman
Zülch, berichtete am Mittwoch aus Bijeljina, dass drei Roma,
der 35-jährige Mehemedalija Suljic und der 24-jährige
Nedzad Hidamovic sowie ihr Besucher aus Serbien, der 24 Jahre
alte Roma Djordje Jovanovic, dabei verletzt wurden. Zur Zeit des
Anschlags hielten sich in dem Haus 15 Roma auf, darunter zehn
Kinder.
Da die Familie nicht genug Geld für ihre Behandlung
aufbringen konnte, wollte das Krankenhaus das jüngste Opfer
zunächst abweisen. Erst auf Intervention der GfbV, die das
Geld bereitstellte, wurde er medizinisch versorgt. Zülch war
wenige Stunden nach dem Anschlag in Bijeljina eingetroffen. Dies
war das fünfte Attentat mit primitiven Sprengsätzen auf
die von der Caritas Schweiz 2002 neu errichtete Romasiedlung von
Bijeljina mit 18 Häusern. Außerdem wurden zwei
Scheunen der Roma niedergebrannt und einmal Feuer an einem Haus
gelegt. Bisher habe die Polizei behauptet die Attentate seien von
Roma selbst verübt worden, sagten Betroffene. Doch beim
jüngsten Anschlag habe ganz in der Nähe ein
Polizeiwagen geparkt.
"Rückkehrer sind in der so genannten Republika Srpska in
einer gefährlichen Lage", sagte Zülch. Auch in
Bijeljina hätten noch immer diejenigen Serben entscheidende
Positionen in Administration und Polizei inne, die 1992 die
muslimische und die Roma-Minderheit aus der Stadt getrieben
hätten. Bijeljina war die erste bosnische Stadt in der eine
planmäßige "ethnische Säuberung"
durchgeführt wurde. Am 1. April 1992 kamen die
paramilitärischen Truppen des berüchtigten serbischen
Kriegsverbrechers Zeljko Raznjatovic, alias "Arkan" nach
Bijeljina und jagten alle Nichtserben aus der Stadt. Dabei wurden
mindestens 160 inoffiziellen Schätzungen zufolge bis zu 500
Menschen ermordet und verscharrt. Bis heute sind ihre Gebeine
nicht exhumiert worden. Die bosnischen Muslime stellten damals
zusammen mit den Roma etwa zwei Drittel der Einwohner.
In Bijeljina lebten vor 1992 rund 6.000 Roma. Sie gehörten
zu den wohlhabendsten Familien der Stadt. 4.000 von ihnen landen
während des Krieges Zuflucht in Berlin. Rund 1.800 sind
inzwischen zurückgekehrt. Jahrelang mussten sie in
Behelfsunterkünften auf die Rückgabe ihrer Häuser
und Grundstücke warten. Viele haben ihr Eigentum bis heute
nicht zurückerhalten wie eine Roma-Familie, deren vier
männliche Angehörige von serbischen Truppen ermordet
wurden. Auf ihrem Grundstück wurde das serbisch-orthodoxe
Gemeindezentrum errichtet. Seit dem Krieg haben die Roma von
Bijeljina kein Einkommen mehr und müssen vom Hand in den
Mund leben.