Bozen, 20. August 2004
Offener Brief an den Präsidenten der EU-Kommission Romano Prodi
Sehr geehrter Herr Präsident,
Wir sind enttäuscht über die Entscheidung der
EU-Kommission, das European Bureau for lesser used languages
nicht mehr zu finanzieren. Damit wird das wertvolle Engagement
zugunsten der Sprachminderheiten unmöglich gemacht. Die EU
verzichtet letztendlich darauf, eine Minderheitenpolitik zu
betreiben. Trotz der vielen Lippenbekenntnisse wurden in die
Grundrechtecharta noch in die Verfassung Sprachenrechte
aufgenommen. Eine absurde Haltung auch deshalb, weil die EU von
den neuen osteuropäischen Mitgliedern die Einhaltung von
Minderheitenrechte eingefordert hatte. Für
Sprachminderheiten gibt es offenbar keinen Platz im Haus Europa.
Die EU delegierte die unbequemen Menschenrechtsfragen an den
Europarat. Das ist ein Eingeständnis des
Desinteresses.
Mit der verweigerten Finanzierung des Eblul in Brüssel wird
eine Institution abgeschafft, die abseits nationalistischer
Positionen aber hartnäckig-diplomatisch Minderheitenbelange
in den EU-Apparat einbrachte. Die acht Mitarbeiter sind bereits
entlassen, Generalsekretär Markus Warasin kündigte
angesichts der Entwicklung. Damit verlieren die minderheitlichen
Sprachgruppen in der EU eine Lobby-Stelle in der EU-Hauptstadt.
Vier vom Eblul eingebrachte Finanzanträge lehnte die
Kommission mit dem Hinweis ab, daß das
Minderheitenbüro verschuldet ist. Die Anträge wurden
teilweise zu spät eingereicht. Die zuständige
Funktionärin informierte falsch das Büro über die
gültigen Abgabetermine.
Das Minderheiten-Büro wurden in den vergangenen Jahren nur
mehr spärlich finanziert, es gab keine gesetzliche Grundlage
für ein eigenes Budget. Das Eblul hing somit vom guten
Willen der Kommission ab. Der scheint jetzt aufgebraucht zu sein.
Im vergangenen Jahr kritisierte in äußerst scharfem
Ton ein konservativer griechische Europaparlamentarier die Arbeit
des Eblul. Der griechische Parlamentarier wandte sich auch
deshalb gegen das Eblul, weil es in Athen eine Minderheitentagung
organisiert hatte. Der Vorwurf einer Einmischung in
innerstaatliche Belange war nur einer der Kritikpunkte. Auch der
zuständige Kulturreferent der autonomen spanischen Region
Navarra warf dem Eblul vor, mit seinem Engagement für die
baskische Sprache in Navarra den Terror zu
unterstützen.
Beispiele dafür, daß die EU die "Abwürgung" des
Eblul schon seit einiger Zeit vorbereitet hatte? Auch die mit dem
Eblul verbundene Minderheitenagentur eurolang verlor die
Finanzierung. Gearbeitet wird derzeit noch ehrenamtlich. Es ist
abzusehen, daß auch eurolang seine Tätigkeit
einstellen wird. Es war das Europaparlament, das mit seinen
Berichten über die Lage der Minderheiten die Gründung
des Eblul "erzwang". Handelt die EU-Kommission im Auftrag der
EU-Regierungen, abseits des Parlaments, denen das Eblul zu
unbequem geworden ist?
Das Eblul versucht jetzt auf ehrenamtlicher Basis
weiterzuarbeiten. Die francophone Gemeinschaft Belgiens stellt
dem Eblul das Büro in Brüssel unentgeltlich zur
Verfügung. Die Mitglieder des Eblul wollen ihren "Apparat"
verkleinern, um im nächsten Jahr dann doch zu einer
EU-Finanzierung zu kommen. Das Eblul will sparen und hofft,
dafür von der EU belohnt zu werden. Sind die Anliegen der
Sprachminderheiten der EU so wenig wert?