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Tschetschenien

Wer ist mit dem Genozid solidarisch?

Bozen, 13. September 2004

Grosny. Foto: GfbV-ArchivDas Geiseldrama von Beslan hat in vielen Fällen ein verantwortungsloses, eines demokratischen Staates nicht würdiges Vorgehen der Medien an den Tag gelegt. Wo blieb die kritische Berichterstattung, wo die Hinterfragung von offiziellen Verlautbarungen, wo die Ausgewogenheit der Information, wo wie Analyse statt der rassistischen Panikmache? Viele Medien haben das Geschehen aufgezählt und nacherzählt und haben sich dabei auf die Depeschen der russischen Behörden, vor allem des berüchtigten Geheimdienstes FSB (ex KGB) gestützt, ohne die Mitteilungen zu hinterfragen und zu prüfen. Zahlreiche Medien, nicht zuletzt solche, die sich selbst gerne als seriös sehen, haben die Verlautbarungen unverändert und oft auch noch ohne Ergänzungen und Relativierungen übernommen - Verlautbarungen von Politikern und Militärs, die für einen an Brutalität kaum zu überbietenden Völkermord an den Tschetschenen verantwortlich sind.

In vielen Medien war so vom "Rebellenführer" bis hin zum "Terroristenführer" Aslan Maschadow die Rede - doch ist Maschadow der rechtmäßig gewählte tschetschenische Präsident, der von Putin aus dem Amt gejagt wurde - alles spätere waren Marionetten Putins und des KGB, die mit Scheinwahlen ins Amt gehoben wurden - ein Putsch also, und die westlichen Medien übernehmen die Terminologie der Putschisten und stellen die gewählten demokratischen Vertreter als Verbrecher hin. Maskierte Polizisten haben 30 Personen der Familien des gewählten Präsidenten verschleppt. Es sind die Methoden des Stalinismus, es sind die Methoden der SS - doch die Medien nehmen das gelassen zur Kenntnis. Die russische Propaganda sprach von der Finanzierung durch Al Kaida und davon, dass Araber unter den Attentätern sein sollen. Die westlichen Medien übernahmen die Propagandalüge ohne Hinterfragung und schmiedeten auch schon apokalyptische Visionen eines islamisierten Kaukasus. (Augenzeugen berichteten jedoch, dass kein Araber unter den Terroristen war. Politik und Behörden hatten sich auch darauf beschränkt, die Meldung zu verbreiten - Dokumente legten sie selbstverständlich keine vor. Doch man brauchte keine Dokumente, schließlich fielen Presse und Politik auch so in die Falle.)

Aber selbst wenn unter den Attentätern nicht ein einziger Tschetschene gewesen wäre, ist die internationale Komponente von geringer Bedeutung: ohne Zweifel ist das Attentat ein Spiegelbild des Schlachtfelds in Tschetschenien. Putin will sein brutales Vorgehen in Tschetschenien dadurch rechtfertigen, dass er sich zum Opfer des islamistischen Terrors macht. Politik und Medien im Westen nehmen Putin in ihrer Naivität diese Lüge ab und solidarisieren sich mit ihm. Doch haben die Terroristen islamistische Forderungen gestellt? Die Attentäter forderten den Rückzug der föderalen Truppen aus dem tschetschenischen Gebiet; von russischer Seite wurde diese Notiz jedoch verleugnet und durch eine andere ersetzt: eine Forderung der Freilassung aller kürzlich in Inguschetien gefangengenommenen Tschetschenen. Anna Politovskaya, eine regimekritische russische Journalistin, die zum Ort des Geschehens fliegen wollte, musste mit Vergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert werden - und die Medien des Westens melden dies, also wäre es eine Selbstverständlichkeit. Andrej Babitskij, ein anderer russischer Journalist, der nach Ossetien fliegen wollte, wurde verhaftet. Doch die Presse hat daran wenig auszusetzen und übernimmt weiter unkritisch die Version der Behörden.

In den langen Stunden des Geiseldramas und danach war in zahlreichen Zeitungen die Chronik der tschetschenischen Attentate aufgezählt. Warum bringen die Medien nicht die Chronik der russischen Verbrechen in Tschetschenien? Trotz aller Brutalität ist die Zahl der Toten des Terrorangriffs ein Bruchteil von der Zahl der Opfer der Tschetschenienkriege. Warum schweigen die meisten Medien mit Putin über die Ursachen dieses Terroranschlages? In zwei Kriegen haben die russischen Streitkräfte mindestens 160.000 Menschen getötet, darunter 40.000 Kinder. Dazu kommen Gefolterte, Vergewaltigte, Verschollene - und die vielen Menschen, die aufgrund von Krankheiten zugrunde gehen. An die 180.000 Tote dürfte die Bilanz der 10 Jahre Krieg in Tschetschenien sein - ein Fünftel der Bevölkerung der kleinen Republik. In Tschetschenien ist nicht eine Schule verwüstet, sondern ein ganzes Land liegt in Schutt und Asche. Doch darüber berichten die Medien nicht. Das ist Komplizenschaft mit dem Völkermord. Politiker im Westen wollen Kritik an Putin nicht zulassen. Wie viele Tote braucht es, damit die EU gegen die "Endlösung" der Tschetschenienfrage eine kritische Stimme erhebt? Eine Frage an die Medien, aber auch an Schröder, Fischer, Prodi: Reichen 200.000 Tote nicht?


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040901de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040826de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040723de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040720de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040615de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030930de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030918de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030708de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030703de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030630de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030619de.html | www.gfbv.it/3dossier/cecenia/010613cecenia.html | www.gfbv.it/3dossier/cecenia/cecen-224.html

* www: www.chechnya-mfa.info | www.memo.ru | www.perlentaucher.de/artikel/1868.html

Letzte Aktual.: 23.9.2004 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040913de.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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