Bozen, 13. Januar 2005
An den Redaktions-Leiter des Weltjournals Dr. Franz Kössler
Sehr geehrter Her Kössler,
In der gestrigen Ausgabe des Weltjournals zur Flutkatastrophe auf
Aceh (Mittwoch, 12. Jänner 2005) hat der ORF den
indonesischen Machthabern ungebührlich viel Raum gelassen.
Unwidersprochen konnte Minister Kaffa die österreichische
Öffentlichkeit über die unrühmliche Rolle der
Armee in Aceh belügen. Laut seiner Darstellung liefen die
Hilfsaktionen in Aceh deshalb schleppend voran, weil die Flut ein
Drittel der Angestellten der staatlichen Verwaltungen
getötet hatte.
Die Fakten sind aber andere: Die indonesische Regierung und Armee
haben eine wirksame humanitäre Versorgung der
Zivilbevölkerung in der Katastrophenregion Aceh zu
verhindert. Erst fünf Tage nach der Zerstörung weiter
Landstriche ist die Region von der indonesischen Regierung
für internationale Helfer geöffnet worden. Nur einen
Tag zuvor ist indonesischen Hilfsorganisationen die Arbeit in der
hermetisch von der Armee abgeriegelten Bürgerkriegsregion
gestattet worden.
Mit der zögerlichen Öffnung Acehs für zivile
Helfer wird das Überleben von zehntausenden Menschen
gefährdet. Überall in Aceh wurde Kritik an der
schleppenden Verteilung von Hilfsgütern durch die Armee
geäußert. Die indonesische Armee ist offensichtlich
weder Willens noch in der Lage, die Zivilbevölkerung wirksam
mit Hilfsgütern und frischem Wasser zu versorgen. Es ist ein
Skandal, dass die Behörden fünf Tage nach der Flutwelle
nicht in der Lage waren, genauere Angaben über das
Ausmaß der Zerstörung an der besonders von der
Katastrophe betroffenen Westküste Sumatras zu machen. Eine
Armee, die vor kurzem noch den größten Teil der
Zivilbevölkerung in Aceh in Internierungslager einweisen
wollte und für ihre brutale Kriegführung
berüchtigt ist wird humanitäre Hilfe nicht wirksam
leisten.
Es ist blanker Zynismus, wenn die Armee nach der Flutkatastrophe
einen Waffenstillstand ankündigt, doch ungeachtet dieser
schlimmsten Katastrophe in der Geschichte Acehs ihre
Militär-Aktionen gegen die Freiheitsbewegung GAM
unvermindert fortsetzt. Soldaten können nicht gleichzeitig
als Kämpfer und als humanitäre Helfer auftreten. So
wuden in der Stadt Banda Aceh eintreffende erschöpfte und
traumatisierte Flüchtlinge von Soldaten verhört und
nach Kontakten mit der GAM befragt. Das wahre Ausmaß der
Katastrophe ist sehr viel größer, als von der
indonesischen Regierung bislang eingeräumt wird. Als
offiziell 80.246 Tote in Aceh gezählt waren, stellte die
Regierung jede weitere Zählung ein. Der indonesische
Botschafter in Malaysia Rusdihardjo von bis zu 400.000 Opfern
unter den vier Millionen Bewohnern Acehs gesprochen.
Inzwischen beschloß die Regierung, daß die
ausländischen Soldaten das Katastrophengebiet bis Ende
März verlassen müssen. Statt die langfristige Hilfe
ausländischer Armeen dankbar anzunehmen, fügt sich die
indonesische Regierung der Kritik radikal muslimischer Gruppen.
Indonesiens Führung hat nicht das Wohl der Überlebenden
der Flutkatastrophe im Auge, sondern lässt sich von
innenpolitischem Kalkül leiten, wenn es die Hilfe des
Auslands einschränkt". Vor allem US-amerikanische und
australische Soldaten haben wertvolle Katastrophenhilfe in Aceh
geleistet. Die deutsche Bundeswehr ist seit dem 5. Januar mit
einem ersten Kontingent von 50 Sanitätssoldaten in der
zerstörten Provinz. Das Eintreffen des
Einsatzgruppenversorgers „Berlin" der Bundesmarine vor der
Küste Acehs wurde dringend erwartet.
Radikal-muslimische Milizen der „Bewegung der Islamischen
Verteidiger" (FPI) und der „Indonesische Rat der Mujahidin"
(MMI) hatten in den vergangenen Tagen mehrfach einen sofortigen
Abzug der ausländischen Soldaten gefordert, da sie die
Helfer beschuldigten, eine internationale Intervention
vorzubereiten, um einen unabhängigen Staat Aceh zu
gründen. Auch der des Terrorismus und der Zusammenarbeit mit
Osama Bin Laden beschuldigte muslimische Geistliche Abu Bakar
Bashir hatte vor einem langfristigen Engagement
ausländischer Soldaten gewarnt. Bashir war für
Terroranschläge gegen ausländische Touristen in Bali Im
Oktober 2002 verantwortlich. Ursprünglich hatte das
Bundesverteidigungsministerium einen längeren Einsatz der
Bundeswehr in Aceh geplant.
Bedauerlich auch, daß die islamistischen Terroristen in
einem Atemzug mit den Aufständischen in Aceh genannt wurde.
Hier wurde der Eindruck vermittelt, in Aceh proben radiakle
Moslems den Aufstand. Ein völlig falsches Bild. Inzwischen
hat auch die Hiflsorganisation "medica mondiale" (www.medicamondiale.org)
die Kritik der Gesellschaft für bedrohte Völker (www.gfbv.de) an der indonesischen
Armee bestätigt. Siehe auch: www.medicamondiale.org/index_d.html
und: www.medicamondiale.org/index_d.html.
Dankeschön für Ihre Aufmerksamkeit
GfbV-Südtirol