Bozen, Göttingen, Berlin, 9. Dezember 2005
Die
gegenseitige Beeinflussung der russischen und tschetschenischen
Sprache war das Thema ihrer Abschlussarbeit an der
Universität in Grosny. Die Trägerin des
Menschenrechtspreises der Stadt Weimar 2005, Libkan Bazajewa, ist
Philologin. Seit nun über einem Jahr lernt sie Deutsch und
freut sich an Wortschöpfungen wie "Heimweh" oder
"Weltschmerz". Diese Gefühle sind ihr gut bekannt. Sie lebt
im Moment fern ihrer Heimat Tschetschenien und doch in
täglichem Kontakt mit dem Leid der Opfer dort. Als
Stipendiatin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte
setzt sie ihre Menschenrechtsarbeit und ihre humanitäre
Hilfe für ihre Landsleute fort. Regelmäßig wird
sie zu Vorträgen eingeladen, eine Schule wird auf ihre
Initiative hin in einem tschetschenischen Bergdorf aufgebaut, das
Frauenzentrum in Grosny, was sie 2002 eingerichtet hat, besteht
weiter und wird von deutschen Spenden maßgeblich
finanziert.
Libkan Bazajewa, 1949 in Kasachstan geboren, kämpft seit
1994 gegen den mörderischen Krieg in ihrem Land. Damals
organisierte sie Friedensdemonstrationen und half russischen
Soldatenmüttern ihre Söhne von der Front nach Hause zu
holen. Bis zum Beginn des zweiten Krieges 1999 arbeitete sie
unter Präsident Aslan Maschadov, der später ermordet
wurde, im Außenministerium in Grosny. Sie baute eine
Landwirtschaftskooperative auf und setzte sich für Witwen
und Waisen ein. Nachdem diese Kooperative zu Beginn des zweiten
Krieges von russischen Bomben zerstört worden war und Grosny
Nacht für Nacht mit Bombenteppichen überzogen wurde,
entschloss sich die Familie Bazajew zur Flucht durch einen
angeblich gesicherten humanitären Korridor. Doch auch dieser
wurde beschossen, die Familie überlebte jedoch wie durch ein
Wunder. Kolleginnen von der russischen Menschenrechtsorganisation
Memorial suchten nach ihr in den Flüchtlingslagern in
Inguschetien und überredeten sie zur Mitarbeit. Lange war
sie eine der wichtigsten Memorialaktivistinnen im Nordkaukasus,
bis die Verfolgung durch den russischen Staat sie zwang, in
Deutschland Schutz zu suchen.
Erste Anlaufstelle für Libkan Bazajewa in Westeuropa war die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Seit 2000
unterstützen wir die Tschetschenin. Wir konnten Kontakte zu
Politikern, Medienschaffenden und Hilfswerken in Europa
knüpfen. Frau Bazajewa trat im Namen der GfbV vor der
UN-Menschenrechtskommission auf und wurde 2001 mit dem
Victor-Gollancz-Menschenrechtspreis der GfbV ausgezeichnet. Der
französische Philosoph Alfred Grosser hielt die Laudatio.
Langsam aber stetig entstand so ein Netz aus Kontakten und
Personen, die Frau Bazajewa als Freundinnen und Freunde
bezeichnen würde. Die GfbV musste jedoch auch zahlreiche
Schutzmaßnahmen für Frau Bazajewa initiieren, die bald
jedoch nicht mehr ausreichten. Ihre Wohnungen in Tschetschenien
und Inguschetien wurden mehrmals durchsucht. Freunde, Bekannte
und Angehörige wurden unter Druck gesetzt. Die GfbV bat die
Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte daraufhin um ein
Stipendium für Frau Bazajewa, das ihr jetzt ermöglicht,
etwas zur Ruhe zu kommen.
Die GfbV gratuliert Frau Bazajewa zum Weimarer
Menschenrechtspreis 2005 und freut sich auf die weitere enge
Zusammenarbeit für die Wiederherstellung des Friedens in
Tschetschenien.