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Bozen, Göttingen, 6. September 2010
Sinti/Roma- Solidaritätskundgebung in Italien.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
protestiert am Montag in Berlin mit einer Mahnwache vor der
französischen Botschaft gegen die skandalöse
Abschiebepraxis der Regierung Frankreichs, der Roma aus
Rumänien und Bulgarien ausgesetzt sind. "Stopp Sarkozy! Roma
in Frankreich legalisieren - nicht deportieren!" heißt es
auf dem Transparent der Menschenrechtsorganisation.
Anlässlich eines Treffens internationaler
Regierungsvertreter, u.a. Deutschlands, Großbritanniens,
der USA, Kanadas und der belgischen EU-Ratspräsidentschaft
zum Thema Asyl und illegale Einwanderung ebenfalls am Montag in
Paris hatten Roma-Verbände aus Rumänen europaweit zu
Protesten aufgerufen.
"Mit der planmäßigen Zwangsräumung von
Roma-Lagern und der kollektiven Zwangsabschiebung der
Minderheitenangehörigen zieht Nicolas Sarkozy die Verdienste
seines Amtsvorgängers Jacques Chirac in den Schmutz",
kritisiert der Präsident der GfbV International, Tilman
Zülch. Chirac hatte 1995 Frankreichs Mitverantwortung
für die kollektive Deportation und Vernichtung tausender im
Lande lebender Juden 1942 eingestanden und von "gemeinsamer" und
"unauslöschlicher Schuld" gesprochen. "Wir erinnern daran,
dass auch Sinti und Roma dem Holocaust zum Opfer fielen und
fordern Sarkozy dazu auf, staatsmännisch zu handeln und
für das Wohlergehen der Angehörigen dieser Volksgruppe
in seinem Land und den EU-Ländern zu sorgen", mahnt
Zülch. Für die GfbV International übergab er der
französischen Botschaft während der Aktion einen Appell
an Sarkozy.
Ende Juli 2010 hatte Sarkozy angekündigt, die Hälfte
der etwa 600 illegalen Roma-Lager in Frankreich innerhalb von
drei Monaten räumen zu lassen. Die Lager wurden dabei als
potenzielle Brutstätten von Menschenhandel und Prostitution
bezeichnet. "Diese Begründung für das rigorose Vorgehen
der Behörden gegen die Roma ist eine pauschale
Vorverurteilung einer ganzen Volksgruppe", sagt Zülch. "Es
stünde Sarkozy gut zu Gesicht, gerade in Sachen Sinti und
Roma die Initiative zu ergreifen für eine
verantwortungsvolle gesamteuropäische Menschenrechts- und
Minderheitenpolitik." Seit Anfang 2010 sind bereits bis zu 9.000
der rund 15.000 ausländischen Roma aus Frankreich
abgeschoben worden oder "freiwillig" in ihre Länder
zurückgereist.
Herr Präsident, bitte beenden Sie dieses
Unrecht!
Sehr geehrter Herr Präsident,
mit der planmäßigen Zwangsräumung von über
50 Behelfssiedlungen der Roma aus Rumänien und Bulgarien und
deren kollektiver "Deportation" in ihre Heimat wenden Sie sich
gegen eine extrem unterprivilegierte europäische
Volksgruppe. Große Teile der "farbigen" Minderheit der Roma
in Ost- und Südosteuropa werden bis heute stigmatisiert,
unterdrückt, verfolgt und ausgebeutet. Einige wenige tausend
von ihnen waren nach Frankreich emigriert, wie auch
hunderttausende andere Ost- und Südeuropäer. Indem Sie,
verehrter Präsident, jetzt diese Aggression ausgerechnet
gegen die auch im Dritten Reich schrecklich verfolgte
Menschengruppe lenken, appellieren Sie an die niedrigsten
Instinkte von Teilen Ihrer Wählerschaft.
Die damalige Präsidentin des europäischen Parlaments,
Simone Veil, kam am 27. Oktober 1979 aufgrund der Einladung
unserer Menschenrechtsorganisation nach Bergen-Belsen, um
anlässlich der Gedenkkundgebung zu Ehren der 500.000
Roma-Opfer des Holocaust in der Gedenkstätte des ehemaligen
Konzentrationslagers zu sprechen. An diesem Ort hatte die
europäische jüdische Präsidentin ihre Mutter
verloren. "Juden und Roma...", so waren damals die Worte von
Simone Veil, "...haben dort getrennt gelitten und sind dort
getrennt gestorben". Und sie fügte hinzu: "Wenigstens jetzt
sollten wir gemeinsam gegen Diskriminierung und neue Verfolgungen
kämpfen".
Ihr Vorgänger im Amt, Präsident Jacque Chirac, hatte
1995 Frankreichs Mitverantwortung für die kollektive
Deportation und Vernichtung zehntausender in Frankreich lebender
Juden eingestanden und von "gemeinsamer und unauslöschlicher
Schuld" gesprochen. "Der kriminelle Wahn der Besatzer wurde von
Franzosen unterstützt, vom französischen Staat", so die
Worte dieses großen Mannes. Eine Reihe von Journalisten und
Autoren Ihres Landes hatten bereits in den 60er und 70er Jahren
darauf hingewiesen, dass auch die Zigeuner Opfer des Holocausts
waren. Anlässlich der Konferenz internationaler
Regierungsvertreter, unter anderem Deutschlands,
Großbritanniens, der USA, Kanadas und der belgischen EU-
Ratspräsidentschaft zum Thema Asyl und Immigration,
appellieren wir an Sie, nicht länger parteipolitische
Interessen auf dem Rücken dieser in vielen Teilen Europas
diskriminierten Volksgruppe auszutragen.
Wir bitten Sie darum, verehrter Herr Präsident, alle Chancen
zu nutzen, um zukünftig gemeinsam mit den 26 anderen
EU-Ländern überzeugende und den Problemen angemessene
Programme für diese größte europäische
Minderheit durchzusetzen. Es ist ein Armutszeugnis der EU-
Menschenrechtspolitik, wenn in den gesellschaftlichen
Kernbereichen Bildung, Arbeit, Wohnung und Gesundheit die Ziele
der "Decade of Roma Inclusion" kaum konsequent umgesetzt wurden.
Dazu gehören etwa: die Auflösung der "Rassentrennung"
in Schulen, die Bekämpfung der Diskriminierung im
Arbeitsleben, die Initiierung von Infrastrukturprojekten in
Roma-Siedlungen und Angebote menschenwürdiger
Unterkünfte und angemessener medizinischer Versorgung.
Es hat uns bewegt, dass Außenminister Bernard Kouchner,
einst ein großer Menschenrechtler, überlegt haben
soll, ob er nicht angesichts dieser radikalen Ausweisungspolitik
seines Präsidenten zurücktreten sollte. Mit
großem Interesse und großer Sympathie haben wir die
vielen Stellung nahmen von Gewerkschaften, Oppositionsparteien,
zahlreichen Intellektuellen und Verbänden Frankreichs gegen
diese Abschiebungen verfolgt. Auch die entschiedene Aussage des
Papstes sollte zur Revision dieser "Roma-Politik" führen.
Auch Institutionen der EU, der UN und des Europarates haben diese
Ihre kollektiven Abschiebungen deutlich kritisiert.
In diesem Sinne bitten wir Sie dringend, dieses Unrecht zu
beenden und die "Deportationen" einzustellen. Auch Minderheiten
können sich emanzipieren und Stück für Stück
mit Unterstützung der Mehrheitsgesellschaften
Gleichberechtigung erlangen, wie die farbige Bevölkerung der
Vereinigten Staaten, deren Situation vor Martin Luther King
durchaus mit der der gegenwärtigen europäischen Roma zu
vergleichen ist.
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090810de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/091222ade.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090407de.html |
www.gfbv.it/2c-stampa/2009/090206de.html |
www.gfbv.it/2c-stampa/2008/080408de.html |
www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/rom2009-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/rom-ita-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/thrakien.html
| www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/20041026-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/sinti-rom/rom.html
| www.gfbv.it/3dossier/rom-dt.html
| www.gfbv.it/3dossier/errc-dt.html
| www.gfbv.it/3dossier/linkgfbv.html#rom
in www: www.errc.org | www.unionromani.org | www.eumap.org