Logo


In: Home > News > Verfassungsreferendum in Chile: Neustart mit echter Beteiligung für Indigene

Sprachen: DEU | ITA


Verfassungsreferendum in Chile

Neustart mit echter Beteiligung für Indigene

Bozen, Göttingen, 22. Oktober 2020

Protestkundgebung der Mapuche während eines Verfahrens am Gericht von Victoria, Chile. Foto: Massimo Falqui Massidda. Protestkundgebung der Mapuche während eines Verfahrens am Gericht von Victoria, Chile. Foto: Massimo Falqui Massidda.

Am kommenden Sonntag, den 25. Oktober, können mehr als 14 Millionen Wahlberechtigte über die Frage entscheiden, ob Chile eine neue Verfassung bekommen soll. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) befürwortet eine Abkehr von der bisherigen Verfassung, die teils verheerende Traditionen aus der Militärdiktatur fortführt. "Eine neue Verfassung bietet Chile die Gelegenheit, alte Wunden endlich zu heilen und die vielen Indigenen des Landes effektiv politisch einzubeziehen", erklärt Yvonne Bangert, GfbV-Referentin für indigene Völker. "Dafür müssen sie schon bei der Formulierung des neuen Textes einen festen Platz am Tisch bekommen, sodass sie die Regeln, die sie betreffen, auch aktiv mitgestalten können." Auch die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, die Chile ratifiziert hat, fordere diese Beteiligung.

Die aktuelle Verfassung des Landes benachteilige die indigene Bevölkerung. "Das Anti-Terror-Gesetz aus der Zeit der Diktatur wird praktisch nur noch eingesetzt, um Anführer der Mapuche-Landrechtsbewegung zu kriminalisieren. Durch eine Vielzahl unfairer Regeln bleiben sie oft jahrelang ohne Anklage in Haft. Wenn es Gerichtsprozesse gibt, laden anonyme Zeugenaussagen zu Missbrauch ein, Dolmetscher in die Mapuche-Sprache werden nicht gestellt", berichtet Bangert. "Mapuche-Frauen berichten über entwürdigende Behandlung nach ihrer Verhaftung, Razzien in Dörfern laufen oft gewaltvoll ab, Todesfälle werden bisweilen als Suizid deklariert und nicht untersucht oder aufgeklärt." In einer neuen Verfassung ließen sich diese Relikte aus der Pinochet-Zeit beseitigen und Rechtsstaatlichkeit schaffen, die auch Indigene fair behandelt. Verfassungsmäßig garantierte Rechte ließen sich überdies einklagen.

Ein weiteres Manko der derzeitigen Verfassung Chiles ist die weitgehende Privatisierung wichtigster Grundlagen des täglichen Lebens. "Seit der Diktatur sind selbst das Bildungswesen und die Wasserversorgung in privaten Händen", so Bangert. "Arme Bevölkerungsgruppen wie die Indigenen können sich dadurch kaum Bildung leisten, selbst Trinkwasser ist oft unerschwinglich. Stattdessen müssen sie zusehen, wie ihre Gewässer durch Staudämme oder Fischzuchtbetriebe für sie unbenutzbar werden." Eine Landreform, die die Enteignungen der Pinochet-Zeit wirksam aufhebt, sei mehr als notwendig. Diese Enteignungen seien der Ausgangspunkt für die heutigen Landrechtskonflikte.