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Ein Bund der Ganoven

Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung - für alle.
Die arabischen Länder abseits der Menschenrechte.
Mit westlicher Hilfe.

von Tilman Zülch

Bozen, 8. August 2003

Den amerikanischen Invasoren im Irak war Böses vorausgesagt worden: ein endloslanger Krieg mit dem erbitterten Widerstand von großen Teilen der irakischen Bevölkerung, eine geschlossene Ablehnungsfront der arabischen Welt, unzählige Attentate von islamischen Extremisten und arabischen Nationalisten. Davon ist bisher kaum etwas eingetroffen. Die USA und Großbritannien erleben und erleiden das Schicksal vieler Besatzer: auch die Bevölkerung des Irak, Kurden, Schiiten und Sunniten, wollen ihr Schicksal möglichst bald selbst bestimmen. Die fremden Truppen haben viele Schwierigkeiten, sich auf die irakische Nachkriegsituation einzustellen. Nichts desto trotz: die Masse der irakischen Bevölkerung aller Nationalitäten und Religionsgemeinschaften ist dankbar für das Ende der Terrorherrschaft Saddam Husseins, trotz großer Ängste vor der Ungewissheit.

Die arabische Welt hat den Angriffskrieg der Koalition hingenommen wie so viele westliche Entscheidungen und Interventionen der vergangenen Jahrzehnte. Nach der Blütezeit der arabischen Kultur im Mittelalter hatten sich die arabischen Völker Jahrhunderte lang an fremde Herren gewöhnen müssen. Nach den Mongolenstürmen unterwarfen die Osmanen die arabischen Länder bis nach Algerien. 1830 besetzten die Franzosen den Maghreb, erklärten Algerien zum Teil des französischen Mutterlandes, erklärten später Marokko und Tunesien zu Protektoraten. Ägypten geriet wie der Sudan unter britische Kontrolle. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1918 teilten sich Briten und Franzosen dessen arabische Regionen. Syrien und Libanon wurden französisch, der Irak, die Golfregion und Palästina mit Jordanien britisch. Nur Zentralarabien bewahrte seine Unabhängigkeit unter der strengen islamistischen Herrschaft der Wahabiten. Bis heute empfinden viele Angehörige arabischer Völker die Herrschaft des britischen und französischen Kolonialismus als Demütigung uralter Kulturvölker. Dazu zählt auch die britische Palästinapolitik. Mit der Gründung Israels auf 78% ihres Territoriums sowie der Flucht und Vertreibung der Bevölkerung mussten die Palästinenser für den Holocaust bezahlen, den deutsche Nationalsozialisten und ihre Verbündeten angerichtet hatten.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis Anfang der sechziger Jahre mussten Franzosen und Briten ihren Schutzgebieten, Kolonien und Protektoraten die Unabhängigkeit gewähren. Das geschah in den meisten Fällen unblutig. Nur in Algerien fielen zwischen 1945 und 1962 fast eine Million Menschen - 10% der Bevölkerung - der französischen Armee und ihren genozidartigen Methoden zum Opfer. Als wir 1961 in Hamburg mit algerischen Kommilitonen für die Unabhängigkeit Algeriens demonstrierten, erwarteten wir nicht, dass erst vier Jahrzehnte später ein Präsident Jaques Chirac diese Verbrechen bedauern würde. Schließlich waren alle arabischen Länder von Mauretanien bis Khatar souveräne Staaten geworden und hatten sich in der Arabischen Liga zusammengeschlossen, die heute 22 Mitglieder mit etwa 250 Millionen Menschen zählt.

Kein Aufbruch
Der Unabhängigkeit sollte eine nationale Renaissance der arabischen Völker folgen. Schon 1954 verkündete Ägyptens Staatschef Gamal Abdel Nasser nach seinem Putsch die panarabische Revolution in vielen arabischen Ländern und faszinierte mit seiner Propaganda die Jugend. Doch die Einigungsversuche mit dem Irak, mit Syrien und dem Jemen scheiterten ebenso wie zwei Versuche der Befreiung Palästinas 1973 und 1978.

Im Sommer 1960 konnte ich als Gast ägyptischer Studienkollegen in Alexandrien, auf dem Lande bei Zagazik und in Kairo, die Zwiespältigkeit des Regimes erleben. Um die Wirtschaft nach kommunistischem Vorbild zu verstaatlichen, wurden vor allem die nicht-ägyptischen Minderheiten - Juden, Griechen, Armenier, Italiener, Malteser und Maroniten - gnadenlos aus dem Lande gejagt. Die besten Köpfe fehlten danach und die Wirtschaft fiel immer weiter zurück. Lawrence Durrel hat in seiner faszinierenden vierbändigen Romanreihe auch den Niedergang des multiethnischen Alexandriens geschildert.

Der große Aufbruch der arabischen Länder blieb so bis heute aus. Vom syrisch dominierten Libanon abgesehen, werden die Völker der arabischen Halbinsel und Nordafrikas von Diktatoren, autoritären Regimes oder Monarchen beherrscht. Der Erfolgsstory der europäischen Union, dem Fall der Diktaturen in Griechenland, Spanien, Portugal und den osteuropäischen Ländern Europas steht das völlige Versagen der Arabischen Liga gegenüber. In den letzten Jahrzehnten haben sich zudem die Nationaleinkommen der arabischen Völker ebenso halbiert wie der Wirtschaftsaustausch mit dem Rest der Welt. Die arabischen Eliten sind vielfach rückwärts gewandt, haben die Demütigung durch den europäischen Kolonialismus nie überwunden und betrachten die fortschreitende aggressive Siedlungspolitik Israels in Restpalästina als Fortsetzung westlicher Dominanz.

Eine Demokratisierung des Irak könnte erstarrte Fronten wieder in Bewegung bringen. Sollte die erzkonservative Regierung der USA das Nahostproblem Nummer eins wirklich lösen wollen, könnte ein demokratisches, mit Israel versöhntes Palästina wohl Wunder wirken, denn die Sehnsucht nach Menschenrechten und Demokratie ist universell. Diktaturen sind nicht gottgewollt - in keiner Region der Erde, auch die arabischen Diktaturen können fallen, wie die meisten Diktaturen in Osteuropa und in Lateinamerika gefallen sind.

Das bedeudet aber nicht, dass diese Vielfalt von Ethnien, Kulturen, Religionen und Konfessionen unbedingt eine Einheit werden muss. Die arabischen Staaten, die arabischen Eliten haben Jahrzehnte lang großzügig über Kriegs- und Völkermordverbrechen arabischer Armeen an so genannten Minderheiten hinweggesehen. Sie schwiegen, als General Haffes Assad in Hama 40.000 Sunniten umbrachte, als Muhammed Ghaddafi die Massenmorde Idi Amins in Uganda unterstützte und den Tschad in Trümmer legte. Und sie protestierten nicht, als ägyptische Piloten die Dörfer der Ibos in Biafra bombardierten und als ägyptisches Militär an Tötungsaktionen im Südsudan oder an der Niederwerfung jemenitischer Stämme mit Giftgas teilnahm.

Seit 1961 und vor allem seit Machtantritt des Ba'th-Regimes 1968 wurden mindestens eine halbe Million irakische Kurden, mit ihnen Assyrochaldäer, Yeziden und Turkmenen, vernichtet, zum Teil mit Giftgas. Im südlichen Sudan einschließlich der Nubaberge und den anderen von Schwarzafrikanern bewohnten Regionen starben seit 1955 2,5 Millionen Menschen. Bis heute werden schwarze Mauretanier als Sklaven gehalten, wird die berberische Bevölkerung Nordafrikas sprachlich und kulturell unterdrückt. "Wir, die Berber, die sich Masiren nennen, sind mit den Kabylen, den Tuareg und vielen anderen Berbergruppen die Ureinwohner Nordafrikas. Wir sind 25 Millionen Menschen. Gehört der Algerier, der Marokkaner, mit masirischen Vorfahren nicht eigentlich zu uns? Nordafrika ist eigentlich kein Teil der arabischen Welt. Wir sind nur wenige Kilometer von Sizilien, von Andalusien entfernt. Uns trennen tausende Kilometer von Bagdad und Kairo", erklärte der Repräsentant der berberischen Bewegung auf der Jahresversammlung der Gesellschaft für bedrohte Völker in Hann. Münden am 24. Mai 2003.

Der Irak hat Anteil an beidem, an Arabien und an Kurdistan. Der Nordirak ist nicht Teil der arabischen Welt. Seine Bevölkerung kann nicht ohne Autonomie, ohne eigene Armeeeinheiten existieren. 40 Jahre Terrorbombardements mit Napalm, Phosphor und Giftgas, die Zerstörung von über 5.000 kurdischen, dazu assyrischen und yezidischen Dörfern, die Massendeportationen, die Konzentrationslager und Exekutionen von Zehntausenden sind nicht vergessen. Das haben uns die Vertreter der kurdischen Ärzteschaft aus dem irakischen Kurdistan und die Sprecherin der Frauen des Barzan-Tals, dessen 8.000 Männer über 12 Jahre von Saddams Garden liquidiert wurden, deutlich gemacht: "Es gibt keine Sicherheit ohne echte Autonomie in einer irakischen Föderation mit eigenen Truppen. Pazifismus ist edel, zurzeit taugt er nicht für unsere Region."

"Wir, die schwarzafrikanischen Völker mit eigenen Sprachen und Kulturen stellen über 60% der Bevölkerung des Sudan. Unsere arabischen Brüder des Nordsudan sind dunkel und haben viele afrikanische Vorfahren", sagt Phillip Tatisio für die Südsudanesische Studentenvereinigung in Deutschland, "aber sofern sie an der Arabisierung festhalten, solange Angehörige unserer Völker bis heute in die Sklaverei verkauft werden können, ist ein Zusammenleben ohne Krieg nicht möglich. Wir brauchen einen demokratischen Sudan mit Selbstverwaltung für Nord und Süd, nicht endlose Vertreibung, die jetzt weitergeht, weil internationale Ölkonzerne das Öl im Südsudan weiter ausbeuten wollen. Sie unterstützen die Beseitigung unserer Bevölkerung, denn ohne unseren Widerstand beherrschen sie die Ölquellen."

Ethnische Minderheiten, die eigene Nationen sind, Mehrheiten in ihren Regionen, werden verfolgt. Andere sind kollektiv ausgewandert, wie die jüdischen Minderheiten von Tunesien bis Irak. Dort hatte das Ba'th-Regime einige von ihnen öffentlich hängen lassen. Andere hatte der große Kurdenführer Mustafa Barzani in den Irak geschleust und so ihr Leben bewahrt. Arabischsprachige Christen, die Kopten in Ägypten und die Maroniten in Libanon fühlen sich unterdrückt. Aber andere religiöse Minderheiten gehören auch zu den Verfolgern. So stützt sich die Diktatur Assads in Syrien auf die alevitische Minderheit (10 %). Vielleicht wird der Wandel im Irak die Demokratisierung in der arabischen Welt einleiten, vielleicht wird es, wie in Europa, Minderheitenprobleme lösen und Zusammenleben ermöglichen.

Aus pogrom-bedrohte Völker 219 (3/2003)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/me/arab.html | www.gfbv.it/3dossier/me/kopten.html | www.gfbv.it/3dossier/me/libyen.html | www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq-ander.html | www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq-majid.html | www.gfbv.it/3dossier/iraq/iraq.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030204de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030131ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030128de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030128de-dok.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-3/021031ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020221de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020315de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/1-01/15-3-dt.html

* www: Kurdistan Regional Government: http://www.krg.org/
Iraq Research and Documentation Project (IRDP): www.fas.harvard.edu/~irdp/
Assyrische Demokratische Organisation: www.ado-world.org
Kurdische Yeziden: www.yezidi.net
Internationale Assyrische Nachrichtenagentur: www.aina.org
Assyrer in der Welt: www.nineveh.com
Kurdische Demokratische Partei: www.kdp.pp.se
Patriotische Union Kurdistan: www.puk.org
Irakischer Nationalkongreß: www.inciraq.com
International Alliance for Justice: www.i-a-j.org
Entwicklungspolitische Organisation wadi e.V und Koalition Demokratischer Irak: www.wadinet.de
Marsch Araber: www.amarappeal.com
Shia News: www.shianews.com

Letzte Aktual.: 8.8.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/me/arab-zue.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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