von Thomas Schmidinger
Bozen, 7. August 2003
Der arabische Nationalismus ist als antikolonialer
Befreiungsnationalismus entstanden. Er übernahm das
Nationenkonzept seiner Kolonialherren und wendete es gegen sie.
Der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende europäische
Kolonialismus übte nach dem Zusammenbruch des Osmanischen
Reiches in der arabischen Welt zuerst eine indirekte Herrschaft
aus, indem er auf die traditionellen feudalen Eliten und lokalen
Herrscher zurückgriff. Ein klassischer Siedlerkolonialismus,
in dem die gesamte Elite durch europäische Zuwanderer
ausgetauscht wurde, blieb auf Algerien beschränkt, das
bereits im 19. Jahrhundert von Frankreich ins "Mutterland"
integriert wurde. Während sich die traditionellen Eliten mit
den französischen und britischen Protektoraten weitgehend
arrangierten, war es den jungen aufstrebenden Akademikern in den
arabischen Städten vorbehalten, sich gegen die neuen
Kolonialherren zu wenden. Die Idee einer arabischen Nation, die
die alte Vorstellung der islamischen Umma als Gemeinschaft aller
Muslime ablösen sollte, war besonders für
religiöse Minderheiten attraktiv.
Waren Christen und Juden im traditionellen islamischen Recht nur
als Schutzbefohlene (Dhimmis) geduldete Minderheiten, so konnten
sich insbesondere arabische Christen in einer europäisch
definierten arabischen Nation als gleichberechtigte Mitglieder
wiederfinden. Die arabischen Christen waren es auch, die in den
vielen christlichen Schulen den leichtesten Zugang zu
europäischen Sprachen und Ideologien fanden. Es verwundert
deshalb kaum, dass neben dem Gründer und führenden
Theoretiker der Ba'th-Partei, Michel Aflaq, auch eine Reihe
anderer prominenter arabischer Nationalisten aus den christlichen
Gemeinschaften des Nahen Ostens stammte.
Der frühe arabische Nationalismus orientierte sich noch
überwiegend am französischen Konzept einer
Staatsbürgernation. Erst mit dem Aufstieg des
nationalsozialistischen Deutschland, das wegen seiner
Gegnerschaft zu den Kolonialmächten Frankreich und
Großbritannien als potenzieller Verbündeter betrachtet
wurde, gelangten verstärkt völkische Konzepte in den
arabischen Nationalismus, vermischten sich mit den bestehenden,
verdrängten sie oder führten zur Entstehung der vom
deutschen Nationalsozialismus beeinflussten faschistischen
Gruppen wie der Misr al-Fatat in Ägypten, der al-Futuwwa im
Irak oder der syrischen Sozial-Nationalistischen Partei.
Der Einfluss des Nationalsozialismus beschränkte sich nicht
auf säkulare nationalistische Gruppen, sondern schlug sich
auch in der in Ägypten von Hasan al-Banna gegründeten
Muslimbruderschaft und in der vom Mufti von Jerusalem, Amin
al-Husseini, geleiteten palästinensischen Nationalbewegung
nieder. Husseini kooperierte auch mit der erfolgreichsten
profaschistischen Bewegung des Nahen Ostens, die mit dem Regime
Rashid Alis im Irak an die Macht kam und von britischen Truppen
gestürzt wurde. Wenn auch die faschistischen Gruppierungen
im Nahen Osten nach dem Zusammenbruch des Faschismus in Europa
rasch verschwinden sollten, so beeinflussten ihre ideologischen
Prämissen gemeinsam mit Elementen antiimperialistischer
Ideologie die späteren nationalistischen Bewegungen. Die
bedeutendsten dieser Bewegungen waren der Nasserismus, der 1952
mit einem unblutigen Militärputsch in Ägypten die
Staatsführung übernehmen sollte, und die Ba'th-Partei,
die in den sechziger Jahren in Syrien und im Irak an die Macht
kam.
Die Ba'th-Partei hingegen konnte sich, wenn auch in zwei
unterschiedlichen Varianten, bis heute in Syrien und bis vor
wenigen Wochen im Irak an der Macht behaupten. Gemeinsam ist
beiden Flügeln ein völkischer Nationalismus mit stark
antisemitischen Tendenzen, allerdings hat die unterschiedliche
soziale Basis auch unterschiedliche Herrschaftsmechanismen
hervorgebracht. Während die syrische Ba'th-Partei weitgehend
von den religiösen Minderheiten, insbesondere den Alewiten
und Christen, getragen wird, verstand sich der irakische
Flügel von Anfang an als die Partei der
arabisch-sunnitischen Bevölkerungsgruppe. Bereits vor ihrer
endgültigen Machtübernahme im Jahr 1968 und lange vor
den mörderischen Feldzügen gegen Schiiten und Kurden in
den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wandte
sie sich gegen die religiösen und sprachlichen Minderheiten
des Landes.
Aus pogrom-bedrohte Völker 219 (3/2003)