Bozen, Göttingen, 30. März 2004
Roma und Aschkali haben nach Auffassung der Gesellschaft
für bedrohte Völker (GfbV) im Kosovo keine Zukunft und
müssen schnellstens vor der extremistischen Mehrheit der
Albaner in Sicherheit gebracht werden. Auf einer Pressekonferenz
der Menschenrechtsorganisation am Dienstag in Berlin hat der
GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch die internationale
Gemeinschaft gemeinsam mit Augenzeugen und Betroffenen dazu
aufgefordert, die noch im Kosovo verbliebenen oder dorthin
zurückgeschobenen Angehörigen dieser Minderheiten zu
evakuieren. Die internationale Öffentlichkeit habe
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, dass sich die
brutalen Massenausschreitungen auch gegen Aschkali und Roma
gerichtet hätten, sagte Zülch. In verschiedenen Orten
seien die Aschkali von einem albanischen Mob verjagt und ihre
wieder aufgebauten Häuser in Brand gesteckt worden. Die
Roma, die meist in serbischen Dörfern lebten, hätten
das Schicksal der Serben geteilt. Wenn sie nicht fliehen mussten,
säßen auch sie in vielen Dörfern auf gepackten
Koffern. Roma und Aschkali, unter ihnen auch aus Deutschland
abgeschobene Asylsuchende, wagten sich nicht mehr in die meist
von Albanern beherrschten Straßen, Siedlungen und
Städte. Weil die Minderheitenangehörigen in akuter
Gefahr seien, begrüßte die GfbV ausdrücklich die
Ankündigung der UNMIK, keine abgeschobenen Roma und Aschkali
mehr ins Land zu lassen.
"Nach fünf Jahren Beobachtung vor Ort kann ich kategorisch
feststellen, dass es für diese beiden Minderheiten keine
Zukunft mehr im Kosovo gibt"; sagte der Leiter des
GfbV-Menschenrechtsteams im Kosovo, der US-Amerikaner Paul
Polansky, der direkt nach Berlin gekommen war. "Die albanische
Mehrheit wird von aggressiven Rassisten dominiert. Diese Leute
wollen ein unabhängiges Kosovo ohne jegliche Minderheiten.
Daran arbeiten sie unentwegt." Polansky musste seine
Roma-Mitarbeiter in ihrem eingeschlossenen Dorf im Kosovo
zurücklassen. Auch sie sind in existentieller Gefahr. Der
GfbV liegt auch ein Bericht eines deutschen Staatsbürgers
aus Prizren vor, der deutsche Kfor-Soldaten zu Beginn der
Übergriffe vergeblich um Hilfe gebeten hatte.
Eine deutsche Augenzeugin hat die beängstigenden Ereignisse
in Vucitrn am 17. März miterlebt, konnte zwei Tage
später das Land verlassen und brachte einen Videofilm mit,
der auf der Pressekonferenz gezeigt wurde: 56 Aschkali-Familien,
insgesamt 280 Menschen, wurden von albanischen Polizisten in eine
Turnhalle geschleppt. Dann legte der albanische Mob Feuer. Alle
Aschkali-Häuser gingen in Flammen auf. Aschkali, die zum
Teil stundenlang auf der Polizeiwache festgehalten wurden, wurden
misshandelt und eingeschüchtert. "Viele von uns hatten ihre
Häuser zum zweiten Mal wiederaufgebaut. Jetzt ist alles
wieder zerstört. Unsere Leute haben im Kosovo keine Chance",
sagte die Zeugin. Sie konnte - wie alle anderen - nur das retten,
was sie auf dem Leibe trug. Jetzt leben die Aschkali von Vucitrn
wieder in Zelten, die trotz der Kälte nicht beheizt sind.
Unter den Vertriebenen sind aus Deutschland abgeschobene
Asylsuchende, die hier im Kosovo in Lebensgefahr kamen. Mehrere
der inzwischen deportierten deutschsprachigen Aschkali baten in
dem Videostreifen um Hilfe. Deutsche Innenminister hatten die
Abschiebungen trotz Warnungen der GfbV vorgenommen.
Den Innenpolitikern war bekannt, dass nach der Rückkehr der
eine Million albanischen Flüchtlinge 1999 Extremisten,
unterstützt von großen Teilen der Bevölkerung,
14.000 der 19.000 Häuser der Roma und Aschkali und 75 ihrer
Dörfer zerstört hatten. Damals waren bereits 80% der
etwa 150.000 Angehörigen dieser Minderheiten vor Mord,
Misshandlung, Vergewaltigung und Entführung ins Ausland
geflüchtet, 30.000 von ihnen nach Deutschland. Zwischen 1999
und 2004 flüchteten weitere zehn Prozent, weil die
internationale Gemeinschaft weder den Wiederaufbau der
zerstörten Wohnviertel und Häuser noch den Schutz
für Leib und Leben außerhalb der Siedlungen, weder
medizinische Mindestversorgung noch Rückgabe der noch
existierenden Arbeitsplätze, der von Albanern besetzten
Häuser und Grundstücke noch die Einschulung der Kinder,
geschweige denn ihre Sicherheit für den Schulweg
gewährleisten konnte.