Bozen, Göttingen, 12. Oktober 2005
Offener Brief
an den Präsidenten der Republik Serbien Boris Tadic
an den Ministerpräsidenten Serbiens Vojislav Kostunica
an den Präsidenten des Parlaments Serbiens Predrag
Markovic
an den Justizminister Serbiens Zoran Stojkovic
an den Innenminister Serbiens Dragan Jocic
an den Minister für Menschen- und Minderheitenrechte
Serbien- Montenegros Rasim Ljajic
Sehr geehrte Herren,
die bedeutendste und mutigste Menschenrechtlerin Europas, die
Präsidentin des Helsinki Komitees Serbiens Sonja Biserko,
und ihre Familie sind in Lebensgefahr. Wir wenden uns an Sie mit
der dringenden Bitte, diese mutige Frau zu beschützen, der
langjährigen Hetzkampagne gegen sie öffentlich
entgegenzutreten und ihre Arbeit anzuerkennen. Sonja Biserko hat
sich unermüdlich für Menschen- und Bürgerrechte
eingesetzt. Sie hat ihre Stimme gegen den Bosnien-Krieg, gegen
den Genozid an den bosnischen Muslimen erhoben. Sie hat mit der
serbischen Antikriegsbewegung versucht, Serbien und seinen
Nachbarländern diesen Krieg zu ersparen. Sie hat sich
für die Opfer eingesetzt, hat auf internationalen
Konferenzen mit vielen Publikationen, Büchern und Artikeln
gegen die Kriegsverbrechen protestiert, sie hat Projekte für
die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge in die
kroatische Krajina initiiert und sich gemeinsam mit der
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)für die
Frauen von Srebrenica eingesetzt. Und sie hat schon vor dem
Kosovo-Krieg einen serbisch-albanischen Dialog initiiert, der
Krieg und Vertreibung hätte verhindern können.
Im vergangenen Jahr wurde die serbische Menschenrechtlerin
mehrmals vor ihrer Wohnung in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens,
physisch angegriffen. Vor zwei Monaten wurde in ihre Wohnung
eingebrochen, die Polizei wurde in Kenntnis gesetzt und es wurden
Ermittlungen aufgenommen. Doch eine Polizeiwache, vor dem Eingang
ihres Wohnungsgebäudes postiert, wurde vor kurzem
unverantwortlicherweise abgezogen. Die permanente Kampagne aus
Lügen und Hass wurde am 08. September 2005 von der
serbischen Zeitung "Tabloid" ins Unerträgliche gesteigert:
Man beschuldigte Sonja Biserko absurderweise, kroatische Spionin
zu sein, veröffentlichte ihre private Anschrift
(Straße, Eingangs- und Wohnungsnummer) und auch die
persönlichen Daten ihrer engsten Familienangehörigen.
All das kommt einer Aufforderung zur Lynchjustiz bei und
geschieht in einem Land, dessen Ministerpräsident Zoran
Djindjic vor zwei Jahren einem feigen Mordanschlag zum Opfer
fiel.
Wir sind bestürzt darüber, dass die Führung
Serbiens und Serbien- Montenegros nichts unternimmt, um diese
international anerkannte Menschenrechtlerin, die so viel für
die Zukunft Serbiens leistet, zu schützen. Wir bitten Sie
dringend, alles zu unternehmen, um Sonja Biserko vor diesen
pogromartigen Methoden zu schützen. Wir werden dieses
Schreiben heute auch an die Vereinten Nationen, an die
Europäische Kommission, den Europarat, das Europäische
Parlament, die OSZE, an die Menschenrechtsorganisationen der
westlichen Welt sowie an die Regierungen Europas und Nordamerikas
senden.
Der Vorstand der Gesellschaft für
bedrohte Völker International:
Tilman Zülch, Präsident, D-Göttingen
André Rollinger, Vizepräsident, L-Luxemburg
Hans Bogenreiter, A-Wien
Sharon Silber, USA- New York
Fadila Memisevic, BiH-Sarajevo
Hans-Peter Biegler, CH-Bern
Wolfgang Mayr, I-Bozen
Vicente Mariqueo, RCH-Temuco