Offener Brief
Bozen, 28. März 2008
Das Internationales Olympisches
Komitee (IOC) und damit auch das Italienische Olympische Komitee
(Coni) feiern im August in Peking Olympia. Wissen Sie, was Sie
feiern? Sie feiern den Sport, sagen Sie. Und mit diesem Argument
lehnen sie jedes Wort und jede Aktion ab, die auf die politische
Lage in China hinweisen würde. In Peking werden die
Staatschefs und die Sportfunktionäre dem chinesischen
Staatschef die Hand schütteln - einem Mann, der 1989 als
KP-Chef in der "autonomen" Region Tibet Proteste brutal
niederschlagen ließ. Die wenigen Videos belegen die rohe
Gewalt der so genannten "Sicherheitskräfte". 1989 ließ
die kommunistische Staatsführung in Peking auf dem "Platz
des Himmlischen Friedens" in Peking 200 friedlich protestierende
Studenten abschlachten. Die Opfer von damals wurden bis heute
nicht rehabilitiert.
Der Nachfolger des Staatschefs in Tibet kopiert seinen
Vorgänger. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus,
dass mehr als 100 Menschen bei den jüngsten Protesten
ermordet wurden. Mehr als 1.000 wurden bereits inhaftiert.
Chinesische Gefängnisse haben mit den westlichen
Haftanstalten nichts gemein - sie sind Folterstätten. Und
die Gefängnisse sind weniger ein Ort, an dem Kriminelle
festgehalten werden, sondern auch - in erschreckendem
Ausmaß - ein Ort, an dem Oppositionelle mundtot gemacht
werden. China ist eine Diktatur, in der Demokratie,
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, kulturelle und politische
Rechte von Minderheiten kategorisch abgelehnt und mit aller
Härte militärischen Durchgreifens verhindert
werden.
Zurzeit wird Tibet "gesäubert", von Demonstranten und allen
anderen, die Kritik am System äußern. Fünf Monate
vor den Olympischen Spielen soll ein möglicher "Unruheherd"
unter Kontrolle gebracht werden. Es wurde oft wiederholt, mit den
olympischen Spielen würde man China quasi automatisch in
Richtung Demokratie bringen. Das Gegenteil ist der Fall: um
während der Spiele gut dazustehen, wird alles
weggeräumt, was auch nur die leiseste Kritik am
totalitären System äußert und dem aufpolierten
Image Schaden zufügen könnte.
Die Sportverbände und Sportfunktionäre nehmen in
dieser Situation eine beschämende Haltung ein. Die Spiele
sollen von Tibetern nicht als Forum für ihre Anliegen
"missbraucht" werden, hört man. Das Gegenteil ist der Fall:
Sportfunktionäre missbrauchen den Sport, um dem
totalitären China in einer Propaganda-Aktion beizustehen,
die auf dem Rücken der Bevölkerung und der Völker
des Riesenstaates ausgetragen wird. Die Sportler werden mit ihren
Leistungen dem totalitären Staat China ein großes
Propaganda-Geschenk machen. Was werden Sie feiern? Den
Propaganda-Erfolg Chinas? Den Erfolg, dass es China möglich
war, ein weiteres Mal Demokratie und Menschenrechte zu verhindern
und die Lage der Menschenrechte weiter zu verschlimmern?
Können Sie da noch feiern? Oder feiern Sie und blenden die
Wirklichkeit aus? China wird die Spiele als Propaganda-Feldzug
inszenieren, und Sie werden brav die Statisten spielen: eine
unverzichtbare Stummrolle, denn ohne Sie wäre das
Propagandastück "Olympia" nicht aufführbar.
Es werden immer die Interessen der Sportler vorgeschoben: die
armen Sportler würden die Gelegenheit verlieren, ihre
Medaillen zu holen. So aber verlieren Millionen Menschen in
dieser Diktatur - Oppositionelle, Vertreter der Religionen,
Angehörige der Minderheiten - die Gelegenheit, auf ein
halbwegs menschenwürdiges Leben. Sie zeigen also klar, was
Ihnen mehr wert ist: Die Glorie von Sportlern ist Ihnen mehr wert
als Rechte der Menschen in China. Ihre Haltung erinnert fatal an
das Jahr 1936, als sich die Welt einfand und dem NS-Regime eine
unwiederholbare Propaganda-Gelegenheit bot. Den Menschenrechten,
der Demokratie haben solche Veranstaltungen - entgegen aller
anderslautenden Beteuerungen - noch nie etwas gebracht, im
Gegenteil.
Schon bisher - also lange vor Beginn der Spiele selbst - hatte
das "völkerverbindende" olympische Fest direkte Folgen
für die Armen in der Hauptstadt. Denn nur mit
Vorgangsweisen, die in einem Rechtsstaat unvorstellbar sind, ist
es überhaupt möglich, die Infrastrukturen zu bauen, die
für die Großveranstaltung notwendig sind. Vom enormen
Bauboom für Olympia sind zehntausende Bewohner ärmerer
Stadtviertel betroffen: Jeden Monat müssen 13.000 Menschen
aus diesen Vierteln ihre Wohnungen und Häuser verlassen, um
Platz zu machen für neue Hotels und Stadien. Mehr als eine
Million Menschen sind laut dem "Center on Housing Rights and
Evictions" bereits zwangsweise umgesiedelt worden sein. Das IOC
und der Coni sind als Auftraggeber dafür direkt
mitverantwortlich. Das IOC - und somit das Coni - haben sich
für diese Olympischen Spiele ein Land ausgesucht, das sich
in keinster Weise an die UN-Menschenrechte hält.
Jährlich werden bis zu 8.000 Menschen hingerichtet, in mehr
als 280 so genannten Umerziehungslagern werden 300.000 Menschen
festgehalten. In den Regionen der nicht-chinesischen Völker
wie in Tibet und bei den Uiguren geht der Staat mit
äußerster Brutalität vor. Die kommunistische
Regime ermordete 300.000 Uiguren, seit dem so genannten Anschluss
Tibets an China kamen mehr als eine Million Menschen ums
Leben.
Das IOC hält Spiele in einem Land ab, in dem es keine
Menschen-, Bürger- und Arbeitnehmerrechte gibt.
Hunderttausende von Menschen werden versklavt, das boomende Land
verheizt regelrecht seine Kumpels. In den 28.000 Kohlegruben
sterben jährlich 10.000 Bergarbeiter. Jährlich
müssen mehr als 10.000 Menschen ihre Häuser
räumen, weil sie dem modernen Städtebau weichen
müssen. Menschenleben und Menschenrechte sind in China
nichts wert. Die Volksrepublik China wurde auf einem Leichenberg
aufgebaut. Laut dem Schwarzbuch des Kommunismus fielen fast 60
Millionen Menschen der kommunistischen Machtergreifung und deren
Folgen zum Opfer. Man darf sich deshalb von IOC und Coni mit
Recht erwarten, dass der Kurs der Anbiederung beendet wird und
endlich eine menschenwürdige Sprache gesprochen wird: ein
Ende jeder Zusammenarbeit und die Absage der Olympischen
Spiele.
Brief chinesischer Intellektueller, die einen Wechsel der chinesischen Tibet-Politik verlangen, in [PDF] www.gfbv.it/2c-stampa/2008/080328let.pdf.
Fotos in www.freetibet.org/press/pr180308.html. Sie zeigen blutüberströmte Leichen mit Einschusswunden. Bitte öffnen Sie die Fotos nicht unvorbereitet.