Bozen, 11. Juli 2008
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist in
grosser Sorge über dem immer feindlicherem Klima
gegenüber den Minderheiten der Sinti und Roma in Italien.
Die Erklärungen verschiedener Politiker und administrativer
Verwalter erinnern allzu gefährlich an die vergangen
geglaubte Zeit des Faschismus, als in Italien Rassengesetzte
erlassen wurden. Die heutige Lage ist äußerst
besorgniserregend, denn anstatt an eine Integrationspolitik der
Sinti und Roma zu denken, schüren italienische Politiker
Rassenhass und billigen Populismus. Eine gefährliche
Haltung, die nur dazu dient, Vorurteile sowohl in der
Mehrheitsbevölkerung als auch in den Minderheiten weiter
auszubauen.
Auch die nur allzu tolerante Haltung der europäischen
Institutionen gegenüber der italienischen Regierung
lässt die GfbV befürchten, dass es sich dabei um eine
stille Zustimmung zu dieser gefährlichen und rassistischen
Regierungspolitik handelt. Nicht nachvollziehbar ist auch die
"Entrüstung" der Minister Maroni und Frattini über die
gestern in Strassburg gewählte Resolution, die sich in
Wahrheit nur auf die geplante Gesetzesvorlage,
Fingerabdrücke von Sinti und Roma zu nehmen, bezieht. Es
dürfte wohl augenscheinlich sein, dass die Aufnahme von
Fingerabdrücken einer einzigen Gruppe von Menschen,
begründet allein durch ihre ethnische Angehörigkeit,
ein klarer und unbestreitbarer Fall von Rassendiskriminierung
ist.
Hinter dem so genannten "Problem der Roma" verbirgt sich in
Wirklichkeit eine katastrophale Integrations- und Wohnpolitik der
italienischen Regierungen gegenüber der Sinti- und
Roma-Minderheiten. Während der letzten Berlusconi-Regierung
hat die starke Opposition der Lega Nord bezüglich der
offiziellen Anerkennung der Sinti und Roma als Minderheit
erreicht, dass Sinti und Roma von der offiziellen Liste der
italienischen Minderheiten im Rahmen des Minderheitengesetztes
482 von 1999 ausgeschlossen wurden. Die volle Umsetzung des
Gesetzes wurde seit seiner Annahme immer wieder stark behindert,
im Fall der Sinti und Roma allerdings ist die Situation mehr als
kritisch: durch die fehlende gesetzliche Anerkennung als
Minderheit können sie nicht einmal auf Mindestgarantien
für ihre Rechte hoffen. Die Ausgrenzung von Sinti und Roma
in schändlich verfallenen so genannten "Zigeunerlagern" ist
in Italien zur Regel und Normalität geworden. Italien ist
das einzige Land der Europäischen Union, in dem die
öffentliche Hand ein ganzes Netz von Ghettos organisiert und
betreibt. Auf diese Weise wird Sintis und Romas jegliche
Möglichkeit genommen, im sozialen und öffentlichem
Leben mit zu wirken und sich in der Gesellschaft integrieren zu
können.
Die heutigen leider erschreckend vorsichtigen Verurteilungen der
italienischen Roma-Politik seitens der europäischen
Institutionen sind jedoch nicht neu: schon 2005 erklärte die
Europäische Kommission für Soziale Rechte (ECOSOC) die
Kollektive Beschwerde gegen Italien, die vom Europäischen
Komitee für die Rechte der Roma (ERRC) eingereicht wurde,
als gültig und bestätigte somit den Vorwurf des ERRC,
Italien verfolge theoretisch und praktisch eine Rassenabsonderung
der Sinti und Roma im Bereich der Wohnpolitik.
In den letzten Jahren wurde seitens der Regierungen nicht einmal
ansatzweise eine Wohnpolitik zu Gunsten von Sinti und Roma
versucht; jegliche Verantwortung für die Lösung aller
damit verbundenen Probleme wurde an die einzelnen Gemeinden
abgetreten. Was erartet uns noch nach den bereits tragischen und
erschreckenden Geschehnissen in den Rom-Lagern von Neapel und
Mailand im Mai 2008? Und, welche Minderheit wird die
populistisch-rassistische Haltung der italienischen Regierung als
Nächste treffen?