Bozen, Bern, 12. Dezember 2003
Voraussichtlich am Samstag wird in Afghanistan eine
Loya Jirga zusammentreten. An dieser "Grossen Ratsversammlung"
wird eine neue Verfassung verabschiedet. Der zu diskutierende
Verfassungsentwurf sieht implizit die Einführung des
islamischen Rechtssystems der Scharia und weitreichende
Machtbefugnisse des Präsidenten vor. Präsident Karzai
scheint seine Machtposition gefestigt zu haben, zum Preis von
Konzessionen an die fundamentalistischen Kräfte.
Der Verfassungsentwurf, welcher an der Loya Jirga diskutiert
wird, verzichtet auf die Schaffung eines Premierministeramts.
Stattdessen sieht er weitreichende Befugnisse für den
künftigen Präsidenten vor. Gleichzeitig schreibt der
Entwurf dem Islam eine überragende Bedeutung zu. Obwohl die
Scharia nicht explizit erwähnt wird, wird diese durch die
Bestimmung, wonach kein Gesetz den heiligen Prinzipien des Islam
zuwiderlaufen dürfe, indirekt doch als erste Rechtsquelle
des Landes festgeschrieben. Dies deutet auf einen Pakt zwischen
Präsident Karzai und den fundamentalistischen Kräften
hin. Durch Konzessionen an die Fundamentalisten soll die
Zentralregierung gestärkt werden.
Angesichts dieser unheiligen Allianz fordert die Gesellschaft
für bedrohte Völker (GfbV) die Teilnehmenden der Loya
Jirga dazu auf, sich auf Menschenrechte, Minderheitenschutz und
Demokratie zu verpflichten. So soll die Verfassung für die
obersten Regierungsämter Gleichgewichts- und
Rotationsmechanismen enthalten, welche den verschiedenen
Volksgruppen in den künftigen Regierungen eine angemessene
Vertretung garantieren. Auch soll die Bedeutung des Islam
eingeschränkt und die Verfassung klar als oberste
Rechtsquelle verankert werden. Schliesslich muss die
Gleichberechtigung der Geschlechter festgeschrieben werden.
Frauen sollen im privaten und öffentlichen Bereich über
die gleichen Rechte verfügen wie Männer. Die
entsprechenden Verfassungsbestimmungen müssen in volle
Übereinstimmung gebracht werden mit den Bestimmungen der
internationalen Konventionen, welche von Afghanistan ratifiziert
wurden.