Bozen, Göttingen, 27. Oktober 2005
Die Gesellschaft für bedrohte Völker International
hat der türkischen Regierung am Donnerstag vorgeworfen,
Europa "ein X für ein U vormachen zu wollen". "Für die
15 Millionen Kurden im Südosten der Türkei gibt es bis
heute keine wesentlichen Fortschritte in Sachen Sprachen- und
Menschenrechte", sagte der Präsident der GfbV International,
Tilman Zülch, in Göttingen mit Blick auf ein
skandalöses Urteil gegen 20 Kurden in der Stadt Siirt. Weil
sie auf ihren öffentlich gezeigten Plakaten zum kurdischen
Neujahrsfest im März 2005 die beiden kurdischen Buchstaben Q
und W verwendet hatten, wurden sie am Mittwoch zu umgerechnet
jeweils rund 61 Euro Geldstrafe verurteilt. Die beiden Buchstaben
Q und W kommen im türkischen Alphabet nicht vor.
"Während die Europäische Union völlig zu Unrecht
nur einige Gesetzeslücken im Bemühen der
türkischen Regierung für die Gleichberechtigung der
kurdischen Sprache in Südostanatolien entdeckt, unterlaufen
türkische Gerichte, Polizei und Sicherheitsorgane in
ununterbrochener Folge mit immer neuen Gesetzen und Verordnungen
alle Versuche kurdischer Institutionen und Persönlichkeiten,
den Gebrauch des Kurdischen in der Öffentlichkeit zu
etablieren", kritisierte Zülch. "Nach wie vor darf die
kurdische Sprache bei Behörden nicht verwendet werden
genauso wenig wie beim Wahlkampf. Im staatlichen Schulsystem
kommt das Kurdische bis heute nicht vor. Die Verteilung von
Zeitungen in kurdischer Sprache wird regelmäßig
behindert, kurdische Sprachkurse in Privatgebäuden werden
auf dem Verordnungsweg mit den absurdesten Argumenten
unterbunden." So gebe es zahlreiche Beispiele für Verbote
mit Begründungen wie "Der Treppenaufgang ist zu eng" oder
"Der Kursus ist nicht rechtzeitig angemeldet worden".
"Angesichts dieser Verhältnisse fragen wir uns, warum die
EU, die Regierungen der Mitgliedsstaaten und auch viele
deutschsprachigen sowie andere europäische Medien der
türkischen Regierung und dem einflussreichen Militär
Reformwillen zugestehen", sagte Zülch.