Bozen, Göttingen, 13. Januar 2006
Anlässlich des Antrittsbesuches von Bundeskanzlerin
Angela Merkel beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in
Moskau am kommenden Montag weist die Gesellschaft für
bedrohte Völker (GfbV) auf die fortdauernden
Kriegsverbrechen in Tschetschenien hin. Dort sind seit 1994 bis
zu 180 000 Menschen durch die Hand der russischen Armee und so
genannter Spezialeinheiten sowie durch Bombardements der
Luftwaffe ums Leben gekommen. Das ist nach Auffassung der GfbV
und anderer internationaler Menschenrechtsexperten
gemäß der Konvention der Vereinten Nationen zur
Verhütung und Bestrafung des Völkermords Genozid.
"Die von Kanzlerin Angela Merkel geführte Bundesregierung
hat die deutsche Russlandpolitik erfreulicherweise modifiziert
und begonnen, auch Bürgerrechts- und Menschenrechtsprobleme
anzusprechen", sagt der GfbV-Generalsekretär Tilman
Zülch. Die Menschenrechtsorganisation appelliert an die
Kanzlerin und an Außenminister Frank-Walter Steinmeier dazu
beizutragen, Frieden in Tschetschenien herzustellen. Die Politik
der Regierung Schröder/Fischer habe sich dadurch
ausgezeichnet, dass sie keinen ernsthaften Anlauf nahm, die
kontinuierliche Menschenjagd in Tschetschenien zu kritisieren.
Die GfbV hatte seit 2000 immer wieder darauf hingewiesen, dass
diese vergangene Bundesregierung in jenem Jahr sogar eine
Delegation des BND in die völlig zerstörte
tschetschenische Hauptstadt Grosny unter Führung von August
Hanning entsandte, als in deren Kellern nach dem Bombardement
durch die russische Luftwaffe noch unzählige Tote
lagen.
Die GfbV-Tschetschenien-Expertin Sarah Reinke berichtet, dass
das Grauen in der kleinen Republik im Nordkaukasus noch immer
andauert. "Es vergeht keine Nacht, in der nicht Menschen von
Spezialeinheiten aus ihren Häusern verschleppt, in
Folterkeller gesperrt, dort misshandelt und ermordet werden. Auch
Frauen und Kinder sind vor Entführungen nicht sicher." Der
GfbV sind zahlreiche Fälle von Verschleppung von
Angehörigen mutmaßlicher tschetschenischer
Kämpfer bekannt. So sollen diese dazu bewegt werden, sich zu
stellen. Gerade in der Bergregion beschießt die russische
Luftwaffe Dörfer und Waldgebiete.
Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Angehörige von
Hilfsorganisationen werden an ihrer Arbeit gehindert, bedroht,
verhaftet. Mindestens 13 Menschenrechtler wurden seit 2000
ermordet. Auch Personen, die sich wegen der anhaltenden
Straffreiheit von Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien an
den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in
Straßburg wandten, werden verfolgt und bedroht. Die
humanitäre Lage ist katastrophal. Die Hälfte der
Neugeborenen kommt schon krank auf die Welt. Minen, verseuchtes
Trinkwasser, erhöhte Radioaktivität und fehlende
sanitäre Anlagen tragen weiter zu Erkrankungen bei. Wie
folgende Beispiele zeigen, waren auch die ersten Tage 2006 von
schweren Menschenrechtsverletzungen und dem Terror gegen die
tschetschenische Zivilbevölkerung geprägt.