Bozen, 30. Januar 2006
Offener Brief an den Präsidenten des österreichischen Nationalrates Andreas Khol
Sehr geehrter Herr Präsident,
Ihre gemeinsame Petitions-Aktion mit den Tiroler Schützen
erweist sich als politischer Boomerang. Nicht von ungefähr
kritisierte der SVP-Ulivo-Senator Oskar Peterlini im Sender Bozen
der RAI die Aktion als wenig hilfreich für die SVP. Die
Aktion gefährdet den Wahlerfolg von Peterlini, der in den
vergangenen fünf Jahren die SVP und die italienischen
Mitte-Links-Parteien im Senat vertrat. Seit Ihrer
Petitions-Initiative sind die Chancen für das italienische
Rechtsbündnis um einiges größer geworden, den
Senatssitz zu erobern.
Ihre Initiative für das Selbstbestimmungsrecht für
Südtirol - sind Sie doch Initiator und Adressat - ist mehr
als verwunderlich, Herr Präsident. Die großen Parteien
Österreichs sind nicht bereit, in der neuen Verfassung die
Rechte der sechs Sprachminderheiten festzuschreiben. Das
überrascht nicht. Die derzeitige Regierung denkt nicht
einmal dran, Urteile des Verfassungsgerichts zu zweisprachigen
Ortstafeln in Süd-Kärnten umzusetzen. Das Bundesland
Kärnten mit Landeshauptmann Jörg Haider plant gar den
Abbau der bestehenden zweisprachigen Ortstafeln. Der
Koalitionspartner ÖVP
findet kaum Worte der Kritik für dieses Vorgehen, vielmehr
schwenken viele - wenn auch nicht so frontal wie Haider - auf
eine Reduzierung der vom Verfassungsgericht geforderten
Ortstafeln. Einzig Erhard Busek rettet die Ehre Ihrer Partei,
denn aufgrund der großen Mehrheit der heutigen Mandatare
muss man leider feststellen, dass sich die ÖVP nicht mit der
demokratischen Verfassung des Landes und dem in ihr
festgeschriebenen Minderheitenschutz abfindet.
Zwar haben auch Sie betont, Herr Präsident, daß
Urteile des Verfassungsgerichts umgesetzt werden müssen.
Aber nur, wenn ein Konsens erzielt wird. Damit machen Sie wieder
den Rückzieher, damit verneinen Sie die Umsetzung der
Verfassungsvorschriften, damit erteilten Sie dem Auftrag der
Verfassungsrichter wieder eine Absage. Die Worte und die Logik
sind andere - scheinheiligere - als jene des Herrn Haider, die
Richtung aber unterscheidet sich nur unwesentlich. Die
nationalistischen "Heimatverbände" in Kärnten sowie Ihr
Bündnispartner BZÖ sind gegen die Erfüllung des
Minderheitenschutzes wie von den Verfassungsrichtern festgelegt.
Also bedeutet ein "Konsens" nichts anderes als den Verzicht der
Slowenen auf ihre Minderheitenrechte - sprich: Die Nichtumsetzung
mit slowenischem Einverständnis. Ist das alles, was ein Herr
Khol zu sagen hat - jener Herr Khol, der für Südtirol
die Selbstbestimmung fordert, für die Minderheiten im
eigenen Land nicht einmal die Verfassung umzusetzen bereit
ist?
Sie schlagen vor, an dem bereits im September 2002 erzielten
"Kompromiss" anzuschließen und 158 zusätzliche
zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufzustellen. Ein
Kompromiss, der letztendlich über die Betroffenen hinweg
erzielt wurde und die Minderheitenrechten nicht anerkennt. Ein
von den großen Parteien und sogenannten
"Traditionsverbänden" erzielter Konsens geht auf Kosten der
Minderheit, schränkt deren Rechte laut Staatsvertrag
gehörig ein: Der Staatsvertrag sieht 800 zweisprachige
Ortstafeln vor, das Verfassungsgericht 300. Mit Ihrem "Konsens"
müssten die Slowenen auf ihre Rechte verzichten.
Erkenntnisse des Verfassungsgerichtes sind aber umzusetzen und
nicht zu verwässern und auszutricksen. Wie sagt Erhard
Busek: "Da wäre Andreas Khol daran zu erinnern, dass er
öfter schon vom Verfassungsbogen gesprochen hat." Busek ist
kategorisch, wie man den Ortstafelstreit beenden soll: "Die
Ortstafeln aufstellen." Vom der Verwässerung durch einen
"Konsens" hält Busek nichts: "Also wenn es ein Erkenntnis
gibt, gibt es eigentlich keinen Konsens mehr." Er könne ja
auch nicht zu Gericht gehen, dort nicht Recht erhalten und dann
beschließen "jetzt reden wir darüber, wie wir das
Ergebnis nicht einhalten". Busek hat halt Format.
Die innenpolitische Lage gefällt der ÖVP, denn als
offizieller Schuldiger steht Jörg Haider da. Haider bremst,
die ÖVP gibt sich nach außen konziliant - im Kern
verweigert auch sie die Erfüllung der Normen zum
Minderheitenschutz - so weit wie Ihre Partei, Herr Khol, geht
nicht einmal Alleanza Nazionale. Enttäuschend ist auch die
Kärntner SPÖ und deren Bürgermeister, die in
Haiders Fahrwasser schwimmen und die Ufer des Rechtsstaates nicht
mehr im Blick haben. Erstaunlich hingegen die Wortmeldung des
rechten EU-Abgeordneten Andreas Mölzer: Die Ortstafeln seien
aufzustellen. Wie man sieht, werden selbst die Deutschnationalen
von der ÖVP rechts überholt.
Umso erstaunlicher ist die emsige Aktivität in Sachen
Südtirol. Minderheitenrechte gelten also nur für
Deutschsprachige. Sie werden entgegnen, dass die Ladiner
mitberücksichtigt sind. Falsch. Das Recht der Ladiner auf
ihre eigene Selbstbestimmung wird nicht erwähnt. Zudem ist
nur von den Ladinern Südtirols die Rede. Durch die
Selbstbestimmung würde also die ladinische Minderheit also
in zwei Staaten aufgeteilt. Benito Mussolini hat die Ladiner
zwecks rascherer Assimilierung in drei Provinzen aufteilten
lassen, sie machen sich stark für die Aufteilung auf zwei
Staaten. Damit würden selbst Mussolinis Unrecht
übertroffen. Offenbar gibt es zwei Klassen von Minderheiten:
Die deutschsprachigen - für deren Rechte Sie sich einsetzen,
und die anderen. Doch nur für die eigenen setzen sich alle
ein - auch AN oder
der MSI
setzen sich für die Italiener in Istrien. Aber nicht
für die Slowenen im Friaul.
Es ist schlicht und einfach eine Schande, dass die Republik
Österreich und das Bundesland Kärnten der Rechtspflicht
nicht nachkommen. Österreich ist kein Rechtsstaat mehr, da
weder Kanzler noch Parlament willens sind, die eigene Verfassung
und die entsprechenden Gerichte anzuerkennen. Gleichzeitig wollen
Sie das Recht der Südtiroler auf Selbstbestimmung in der
neuen österreichischen Verfassung verankern. Wenn sie
belegen wollen, dass dies kein Nationalismus ist, so
gewähren Sie doch den Sprachminderheiten in Österreich
all jene Rechte und Schutzklauseln - samt Selbstbestimmung -, in
deren Genuß die deutschsprachigen Südtiroler durch
Österreichs Hilfe gekommen sind.