Bozen, Göttingen, 27. Dezember 2006
Deutschland muss seine Entwicklungshilfe für
Äthiopien aussetzen, wenn die äthiopischen Truppen
nicht sofort aus Somalia abgezogen und jegliche Angriffe auf das
Nachbarland eingestellt werden. Diese Forderung hat die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch
erhoben. "Deutschland und die Europäische Union müssen
ein deutliches Zeichen dafür setzen, dass Krieg kein Mittel
der Konfliktlösung ist", erklärte der
GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius in Göttingen und warnte
davor, dass zehntausende Menschen ins Flüchtlingselend
getrieben werden. Das Horn von Afrika sei ein Pulverfass und
daher müsse jeder zur Rechenschaft gezogen werden, der
mutwillig mit dem Feuer spiele und so die Stabilität einer
ganzen Region gefährde.
In Europa sei Deutschland wichtigstes Geberland Äthiopiens.
Berlin habe Äthiopien 2005 nicht nur Hilfen in Höhe von
69 Millionen Euro für die folgenden drei Jahre zugesagt.
Darüber hinaus seien dem Land im Dezember 2004 auch 67
Millionen Euro Schulden erlassen worden, um die
Armutsbekämpfung voranzutreiben. Die Bundesregierung
müsse jetzt sicherstellen, dass mit diesen direkten und
indirekten Hilfen nicht Äthiopiens Kriegstreiberei
gefördert werde.
Äthiopiens Ankündigung, seine Truppen innerhalb einer
Woche abzuziehen, sei wenig glaubwürdig, da sie bereits seit
August 2006 in Somalia operierten. "Dieser Krieg wird auch nicht
in sieben Tagen enden, sondern droht zu einem Flächenbrand
zu werden", warnte Delius. Zwar versuche Äthiopien, sich als
Bollwerk gegen Somalias Islamisten zu empfehlen. Das Land
betreibe jedoch knallharte Interessenspolitik, die nicht mit
deutschen Steuergeldern finanziert werden dürfe. Seit 1964
hätten Äthiopien und Somalia bereits mehrfach Krieg um
das rohstoffreiche Gebiet Ogaden geführt. Im Horn von Afrika
stünden sich nicht "böse" Islamisten in Somalia und
"gute" Äthiopier gegenüber, wie vereinfachend oft
behauptet werde, sondern sowohl Somalia als auch Äthiopien
strebten nach Expansion auf Kosten des jeweiligen Nachbarlandes.
Verschärft werde der Konflikt noch durch Eritreas
Einflussnahme auf Seiten radikaler Muslime in Somalia, um dem
verfeindeten Nachbarland Äthiopien zu schaden.
"Äthiopiens Machthaber sind für schwere
Menschenrechtsverletzungen in dem zwischen Somalia und
Äthiopien umstrittenen Ogaden verantwortlich", erklärte
Delius. Mit großer Brutalität gingen die
äthiopischen Sicherheitskräfte dort seit Jahren gegen
die Somali-Zivilbevölkerung vor, um die
Widerstandsorganisation Ogaden National Liberation Front zu
zerschlagen. So seien seit 1992 mehr als 2900 Menschen
verschwunden und 2030 Personen gewaltsam getötet worden. Der
Streit mit Somalia um den Ogaden werde noch weiter eskalieren,
nachdem umfangreiche Öl- und Erdgasvorkommen in der Region
entdeckt wurden. Scharfe Kritik übte die GfbV am Verhalten
der Afrikanischen Union (AU). Sie verspiele ihre Kompetenz als
regionaler Schlichter, weil sie einseitig auf Seiten
Äthiopiens interveniert habe.