Bozen, Göttingen, 16. Juli 2007
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am
Montag auf die dramatische Lage von mehr als 400.000
Flüchtlingen im Osten des Tschad aufmerksam gemacht. 235.000
Flüchtlinge aus dem benachbarten Darfur und 172.000
Binnenflüchtlinge bräuchten dringend Schutz und mehr
humanitäre Hilfe, erklärte die
Menschenrechtsorganisation. Die GfbV appellierte an
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, eine geplante
Interims-Schutztruppe der Europäischen Union (EU) nicht zu
blockieren. Vor allem aus Deutschland wird in Brüssel
Skepsis gegenüber der geplanten EU-Truppe aus Polizisten und
Soldaten laut, über deren Entsendung die EU voraussichtlich
noch im Juli entscheiden wird.
Die geplante Truppe soll bis zum Eintreffen von UN-Blauhelmen
den Schutz von Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen
gewährleisten, die verstärkt Opfer von Übergriffen
werden. Nach dem Vorbild der "Operation Artemis", bei der im
Sommer 2003 im Osten des Kongo europäische Soldaten eine
Eskalation der Gewalt verhinderten, soll die Tschad-Mission
Zivilisten vor Überfällen sudanesischer Janjaweed und
ihrer Verbündeter sowie eine Eskalation der Gewalt zwischen
einzelnen Bevölkerungsgruppen verhindern. Arabische und
afrikanische Gruppen beschuldigen sich gegenseitig
gewalttätiger Übergriffe.
Angesichts immer größerer Gewalt habe die Zahl der
Binnenflüchtlinge im Osten des Tschad seit Juni 2006 um
140.000 Menschen zugenommen. "Aufgrund der Belastungen für
die Bundeswehr durch andere Auslandseinsätze geht es nicht
darum, ausgerechnet deutsche Soldaten oder Polizisten in den
Tschad zu entsenden", sagte der GfbV-Afrikareferent Ulrich
Delius. "Doch wenn nicht schnell der Schutz der Flüchtlinge
verbessert wird, droht im Tschad nicht nur der Tod tausender
Vertriebener, sondern auch das weitere Abgleiten in Chaos und
Anarchie." Aus Angst vor der Gewalt seien 40.000
Darfur-Flüchtlinge bereits in die Zentralafrikanische
Republik weiter geflohen. Doch auch dort seien sie nicht
sicher.
"Die Sicherheitskräfte des Tschad schützen die
Vertriebenen nicht, sie versagen auf ganzer Linie", kritisierte
Delius. Der mangelnde Schutz werde von humanitären Helfern
als eines der größten Probleme bei der Versorgung
aller Flüchtlingsgruppen gesehen. Auch sei die
humanitäre Hilfe unzureichend und oft schlecht koordiniert.
Insbesondere die Lage der Binnenflüchtlinge sei dramatisch.
So stünden in dem Lager Habile nur 100 Toiletten für
25.000 Menschen zur Verfügung. Im Krankenhaus von Goz Beida
müssten zwei Ärzte 100.000 Binnenflüchtlinge
versorgen. In anderen Camps gebe es gar keine medizinische
Betreuung. Jeder fünfte Binnenflüchtling sei
unterernährt, bei Kindern im Alter unter fünf Jahren
sogar fast jedes zweite. Die GfbV erinnerte daran, dass sich auch
Deutschland in der Milleniums-Erklärung vom September 2005
zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Vertreibung und
schwersten Menschenrechtsverletzungen bekannt habe. "Die
Tschad-Mission ist ein Test-Fall, ob man den Lippenbekenntnissen
auch Taten folgen lässt", erklärte Delius.