Bozen, Göttingen, Hamburg, 11. Juni 2008
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am
heutigen Mittwoch eindringlich vor einem Scheitern des
Afghanistan-Paktes gewarnt. "Zwei Jahre nach der Unterzeichnung
des von der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen
Regierung ausgearbeiteten Abkommens sind die meisten darin
gegebenen Versprechen nicht eingelöst", sagte GfbV-
Asienreferent Ulrich Delius, der gemeinsam mit dem prominenten
afghanischen Journalisten Yacub Ibrahimi in Hamburg einen
31seitigen Menschenrechtsreport zur dramatischen Lage in
Afghanistan vorlegte. Anlass ist die morgen in Paris
stattfindende Afghanistan-Konferenz, während der die
Geberländer Afghanistans und die Kabuler Regierung über
Fortschritte bei der Umsetzung des Paktes zur Förderung von
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit beraten
werden.
Nachdrücklich appellierte die GfbV an die Teilnehmer der
Konferenz, die Lage in Afghanistan nicht länger zu
beschönigen, sondern sich offen über die bestehenden
Probleme auszutauschen. "Statt der im Pakt zugesicherten "guten
Regierungsführung" behindern Vetternwirtschaft und
Korruption die Funktionsfähigkeit von Regierung und
Verwaltung", kritisierte Delius. Dies sei eines der Kernprobleme
des Landes, das auch die Menschenrechtsverletzungen
begünstige. Ohne eine wirksame Bekämpfung der
Korruption könne auch der Drogenanbau- und -handel nicht
spürbar eingedämmt werden. "Nur mit neuen finanziellen
Zuwendungen und größerem militärischem Engagement
alleine ist den Menschen in Afghanistan nicht geholfen",
erklärte Ulrich Delius. Stattdessen müsse die
internationale Gemeinschaft konsequent auf eine Einhaltung des
Paktes drängen.
Besonders dramatisch sei die Menschenrechtslage von Frauen und
Kindern. 87 Prozent der Frauen gäben an, Opfer von Gewalt
geworden zu sein. Mehrere hundert Frauen würden sich jedes
Jahr aus Verzweiflung verbrennen. Zwangsheiraten von Mädchen
im Alter ab sechs Jahren, Entführungen und Fälle von
Schuld-Sklaverei würden immer häufiger registriert. Die
Hälfte aller Eheschließungen seien heute
Zwangsheiraten mit Gläubigern, weil die Familie ihre
Schulden nicht mehr bezahlen könne.
Der Warlord-Experte Ibrahimi wies auf den ungebrochenen Einfluss
der Kriegsfürsten hin, die ungehindert Frauen und
Mädchen entführten, ihre Milizen mit neuen Waffen
aufrüsteten und selbst nach schwersten
Menschenrechtsverletzungen straflos blieben. Nachdrücklich
forderte Ibrahimi die sofortige Freilassung seines Bruders Sayed
Parvez Kaambakhsh, der in einem unfairen Gerichtsverfahren im
Januar 2008 zum Tode verurteilt worden war. Mit der Verurteilung
versuchte man den engagierten Journalisten und Warlord-Kritiker
Ibrahimi mundtot zu machen.